Der Kampf gegen die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus bestimmt den Alltag, bringt die Menschen auf Distanz. Neue Rituale und Verhaltensweisen werden per Staatsverordnung eingeübt.
Interview mit Dr. Theresa Wechsler Das Virus im Kopf – was macht Corona mit unserer Psyche?
Was macht das mit Menschen, die psychisch angeschlagen sind? Was macht es mit uns als Gesellschaft, bekommen wir eine neue soziale Programmierung? Die möglichen Konsequenzen für die psychische Gesundheit unserer Gesellschaft sind vielfältig, sagt Dr. Theresa Wechsler, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Psychologie der Universität Regensburg und psychologische Psychotherapeutin.
Frau Dr. Wechsler, wie ist die Lage derzeit? Haben Psychologen in diesen Tagen mehr zu tun?
Theresa Wechsler: Aktuell starten wir eine Umfrage, in der wir das psychische Befinden der Bevölkerung erfassen. Dazu leite ich an unserem Lehrstuhl eine Studie darüber, ob sich im Vergleich zu den letzten sechs Monaten vor Bekanntwerden der Corona-Pandemie in der Bevölkerung mehr psychische Symptome gezeigt haben, ob bestimmte Empfindungen stärker oder schwächer geworden sind. (Die Teilnahme an der Studie ist online möglich unter www.ur.de/psy8 - der entsprechende Link findet sich unter „Studienportal“, Anm. d. Red.)
Wir erfassen, ob bei den Menschen psychische Symtpome, wie zum Beispiel Panikattacken, Schlafstörungen, depressive Symptome aufgetreten oder stärker geworden sind. Es kann auch sein, dass bestimmte Menschen sich jetzt entspannter oder ausgeruhter fühlen, weil bestimmte Belastungsfaktoren weggefallen sind, während bei anderen Themen wie Aggression oder Gewalt in der Familie aufgetreten sind. All diese Veränderungen wollen wir erfassen. Außerdem bin ich Psychotherapeutin in der Hochschulambulanz an der Universität Regensburg - dort arbeiteten wir in letzten Wochen daran, uns technisch und inhaltlich auf Videobehandlungen vorzubereiten.
Auf Basis der Erfahrungswerte – welche Krankheitsbilder verschlechtern sich durch die momentane Situation?
Wechsler: Menschen, bei denen Einsamkeit in ihrer psychischen Erkrankung eine große Rolle spielt, zum Beispiel bei einer Depression, sind natürlich von der gegenwärtigen Situation sehr stark betroffen. Wenn soziale Kontakte und soziale Verstärker fehlen, wenn sie alleine leben. In Bayern ist es dann leider nicht mal möglich, sich mit einem Freund oder einer Freundin zu treffen. Ein Mensch mit einer sozialen Phobie hingegen, der jetzt nicht mehr in die Arbeit gehen muss, vielleicht auch das Glück hat, nicht an Videokonferenzen teilnehmen zu müssen, fühlt sich unter Umständen ein Stück weit erleichtert dadurch, mit weniger Menschen in Kontakt sein zu müssen. Videokonferenzen sind natürlich so ein Punkt, wovor sich viele Menschen mit sozialer Phobie fürchten. Das ist auch für unsere Videobehandlungen ein schwieriges Thema.
Viele Leute haben Angst vor den wirtschaftlichen Konsequenzen, vor Jobverlust, vor sozialem Abstieg. Wie wird sich das auswirken?
Wechsler: Das sind große Belastungen auf psychologischer Ebene, wo es ganz wichtig wäre, dass es verbindliche Aussagen vom Staat gibt, wie diese Menschen Hilfe bekommen. Ansonsten sind das natürlich die klassischen Auslösefaktoren für psychische Erkrankungen.
Kann jeder in dieser Situation eine psychische Erkrankung entwickeln? Ist jeder gefährdet?
Wechsler: Man geht mittlerweile davon aus, dass psychische Erkrankungen, wie zum Beispiel eine Depression, sowohl biologische, genetische als auch psychosoziale Auslösebedingungen haben. Bei Menschen, die schon eine Veranlagung zu einer Depression haben, kann beim Auftreten solcher Stressoren die Krankheit ausbrechen. Beruhend auf Einzelfällen haben wir bereits erlebt, dass Menschen mit Essstörungen wie Anorexie, Bulimie jetzt eine Verschlechterung erleben. Diese Menschen verspüren einen inneren Drang, Kalorien abzubauen. Sie fühlen oft den Druck, Sport treiben zu müssen, um nicht dick zu werden. Bei diesen Menschen kann es zu einer großen inneren Anspannung führen, dass sie jetzt kein Sportstudio mehr aufsuchen können, oder dass Sport im Freien in Zukunft verboten werden könnte. Auf Menschen mit Zwangsstörungen scheint die Situation unseren Erfahrungen mit ein paar Einzelfällen nach bisher kaum negative Auswirkungen zu haben. Also Menschen, die ganz oft den Herd kontrollieren, die sich sehr oft die Hände waschen aus Angst vor Infektionen, erleben unter Umständen keine großartige Verschlechterung ihrer Beschwerden. Dies alles gilt es aber erst noch durch wissenschaftliche Studien an größeren Stichproben zu untersuchen.
Was die Angst vor Covid-19 und die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus mit der Gesellschaft machen könnten, lesen Sie im zweiten Teil des Interviews!
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