Interview mit Dr. Theresa Wechsler Wann wird ein Verhalten zur Gewohnheit?

Macht auch die Krankheit Covid-19 selbst Menschen Angst?

Wechsler: Wer jetzt sehr leidet, sind Menschen mit einer Panikstörung. Die bekommen oft Panikattacken, wenn sie an sich körperliche Symptome beobachten, wenn sie zum Beispiel das Gefühl haben, keine Luft mehr zu bekommen oder einen Herzstillstand zu erleiden. Solche Menschen sind jetzt besonders anfällig, wenn sie zum Beispiel leichte Atembeschwerden wahrnehmen. Genauso Menschen, die Krankheitsängste haben. Wenn die leicht an Covid-19 oder auch nur einer Erkältung erkranken, können sie Ängste erleiden, die für sie nahezu unerträglich sind. Durch die vielen Berichte über die Gefährlichkeit der Erkrankung werden womöglich harmlose Symptome schnell überinterpretiert. Diese Menschen durchleiden Todesängste.

Könnten durch die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus nun neue soziale Umgangsformen eingeübt werden, gleichsam eine „soziale Programmierung“ stattfinden?

Wechsler: Was man im Moment schon beobachtet, ist, dass die Leute, insbesondere die älteren, mehr Hände waschen. Inwiefern ich jetzt meine Gewohnheiten umstelle, hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, wie hoch ich mein persönliches Risiko, schwer zu erkranken, einschätze. Diese kurzfristige Verhaltensänderung heißt aber nicht, dass diese auch über die Pandemie hinaus bestehen bleibt. Es könnte sein, dass die Menschen nach Wegfall des Risikos wieder zu den alten Gewohnheiten übergehen. Wenn die Menschen neue Verhaltensweisen allerdings über einen längeren Zeitraum beibehalten, ist es schon vorstellbar, dass einige davon dauerhaft in das Verhaltensrepertoire aufgenommen werden. Es gibt sehr unterschiedliche Studien dazu, wann ein neues Verhalten zur Gewohnheit wird. Das reicht von zwei Wochen bis zu einem Jahr.

Da befinden wir uns sozusagen in einem unfreiwilligen Feldversuch…

Wechsler: … gleichzeitig zeigt die Erfahrung auch, dass nach dem Ende einer Gefahrensituation, die neue Freiheit umso mehr genutzt wird. Es wäre auch vorstellbar, dass sich die Menschen dann umso mehr treffen, feiern und ausgehen wollen. Es wird viel davon abhängen, ob das Risiko eingedämmt werden kann. Dass die Menschen sagen: „Ich kann jetzt wieder den ganzen Abend in einen Club gehen und dort auf engster Distanz Menschen anschreien - und wenn ich dadurch Covid19 kriege, passiert mir nichts. Möglich ist aber auch, dass sich das verfestigt und die Maskenpflicht zu einer Gewohnheit wie in China oder Japan wird. Die haben aber auch eine andere Gesellschaft, in der man mit viel mehr Menschen auf engerem Raum lebt und Kontakt hat.

Was ist aus Ihrer Sicht die Hoffnung für die kommenden Monate, was ist das Worst-Case-Szenario? Wird es in den kommenden Monaten mehr Patienten geben?

Wechsler: Was natürlich Behandlungsfälle werden können, sind Menschen, die jetzt von einer Traumatisierung betroffen sind. Etwa wenn Menschen den Tod eines Angehörigen oder selbst eine schwere Erkrankung erlebt haben und zum Beispiel beatmet wurden. Sie haben schwere Krankheitsverläufe gesehen, konnten sich unter Umständen nicht von Angehörigen verabschieden. Das sind Erlebnisse, die eine posttraumatische Belastungsstörung auslösen können. Existenz-Ängste können Auslöser sein für eine Depression. Das Gleiche gilt für die Reduktion der sozialen Kontakte. Auf der anderen Seite melden unsere Notfallambulanzen, dass diejenigen, die keine ganz schlimmen Erkrankungen haben, jetzt nicht mehr kommen. Vielleicht gibt es daher gar nicht mehr Patienten, weil die, die sich eigentlich gemeldet hätten, um beispielsweise ihre Spinnenphobie loszuwerden, nicht mehr in der Statistik auftauchen.


Übrigens: Die Hochschulambulanz für Psychotherapie hat einen Blog eingerichtet, auf dem Selbsthilfe-Übungen zur Förderung der psychischen Gesundheit während der Pandemie-Situation vorgestellt werden.

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