Interview

Helios: Uni Passau arbeitet an Social-Media-Revolution


Branchenprimus Facebook ist im Social Media-Sektor längst nicht mehr unumstritten. Vor allem in puncto Datenschutz. Jetzt taucht ein brandneues soziales Netzwerk am Horizont auf: Helios. An der Entwicklung sind auch Wissenschaftler der Universität Passau beteiligt. (Symbolbild)

Branchenprimus Facebook ist im Social Media-Sektor längst nicht mehr unumstritten. Vor allem in puncto Datenschutz. Jetzt taucht ein brandneues soziales Netzwerk am Horizont auf: Helios. An der Entwicklung sind auch Wissenschaftler der Universität Passau beteiligt. (Symbolbild)

Von Matthias Jell und Redaktion idowa

Lokalisten, studiVZ, MySpace: sogenannte soziale Netzwerke gab und gibt es viele, doch am Ende wurden sie alle vom Branchenprimus Facebook verdrängt. Doch Facebook ist nicht unumstritten, unter anderem in puncto Datenschutz. Diese Situation will man nun bei einem brandneuen sozialen Netzwerk ausnutzen. Der Name des Systems: Helios. An der Entwicklung sind auch Wissenschaftler aus Passau beteiligt. Einer von ihnen ist Professor Dr. Meinhard Schröder. Im Interview mit idowa gewährt er einen Einblick in das System und verrät, wann diese neue Plattform bereits an den Start gehen könnte.

Herr Professor Schröder, wie und wann ist die Idee zu Helios entstanden und wer war hier federführend?

Prof. Dr. Meinhard Schröder: Helios ist ein Gemeinschaftsprojekt mit Partnern aus ganz Europa. Die Federführung liegt beim VTT in Finnland, wo man auch die Idee dazu hatte. Am Trinity College in Dublin, das auch als Partner dabei ist, hatte man eine ganz ähnliche Idee. Wir haben den Antrag auf Förderung durch die EU im letzten Jahr ausgearbeitet, und die Europäische Kommission hat im Oktober 2018 entschieden, das Projekt zu finanzieren. Jetzt arbeiten Forschungseinrichtungen und IT-Unternehmen in verschiedenen Staaten Europas daran, die Idee zu verwirklichen; in Deutschland ist die Universität Passau beteiligt, die sich um die juristischen Fragen kümmert.

Was ist der Grundgedanke von Helios? Wie soll es funktionieren?

Prof. Dr. Schröder: Wir entwickeln eine Infrastruktur, auf der man ein dezentrales soziales Netzwerk aufbauen kann. Das muss nicht unbedingt ein weltumspannendes Netz sein wie bei Facebook, sondern es soll die Beziehungen der Nutzer zu Menschen und Dingen in ihrer Umgebung abbilden und erleichtern. Wichtig ist, dass es keinen zentralen Akteur geben soll, der die Daten kommerziell verwertet.

Professor Dr. Meinhard Schröder ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht und Informationstechnologierecht an der Universität Passau.

Professor Dr. Meinhard Schröder ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht und Informationstechnologierecht an der Universität Passau.

In Bezug auf Helios sprechen manche von einer "Social Media Revolution". Denken Sie, man kann sich gegen die übermächtigen Akteure auf dem Social Media-Markt behaupten?

Prof. Dr. Schröder: Facebook hat sicherlich eine starke Position im Social Media-Markt. Aber man muss auch sehen, dass dort ein schneller Wandel stattfindet. Wer hätte schon vor 20 Jahren gedacht, dass es heute so etwas wie Facebook gibt? Im Gespräch mit meinen Studenten höre ich beispielsweise, dass jetzt schon wieder ganz andere Netzwerke "in" sind und dass Facebook in dieser Altersgruppe nicht mehr so gefragt ist. Es gibt in dem Markt also auch immer wieder neue Akteure. Unabhängig davon soll Helios nicht primär eine Konkurrenz zu Facebook als weltumspannendem Netzwerk zum Teilen von Inhalten mit möglichst vielen Personen sein, sondern eher eine intensivere Vernetzung im Kleinen ermöglichen.

"Es ist geplant, Ende 2021 eine funktionierende Infrastruktur zu haben"

Hat man negative Aspekte von Facebook sogar in die Entwicklung von Helios mit einbezogen?

Prof. Dr. Schröder: Facebook fällt ja immer wieder mit Datenschutzproblemen auf und das Vertrauen der Nutzer in dieses Unternehmen ist wohl nicht mehr allzu groß. Helios reagiert darauf, indem Vertrauen und Kontrolle über die eigenen Daten im Vordergrund stehen. Das wollen wir zum einen mit der dezentralen Struktur erreichen, aber auch mit der Verwendung von Technologien wie Blockchain. Außerdem spiegelt Facebook ja nicht wirklich die Beziehungen zu Freunden wider, oder wissen Sie von allen ihren "Freunden", woher Sie sie kennen und wann Sie sie zuletzt gesehen haben? Das soll bei Helios ganz anders sein; die Vernetzung findet ad-hoc statt, also immer in dem Maße, in dem Sie sie gerade brauchen, zum Beispiel im Beruf, bei einem Hobby etc.

Das klingt nach ultimativer Freiheit für die Nutzer von Helios. Birgt das nicht auch gewisse Risiken? Fake-News, Hetze und andere unschöne Auswüchse...

Prof. Dr. Schröder: Tatsächlich hat das Fehlen einer zentralen Instanz nicht nur Vorteile. Auch das Datenschutzrecht knüpft primär an die Rolle des "Verantwortlichen" an, der sich in einem dezentralen Netzwerk möglicherweise nicht mehr klar identifizieren lässt. Klar ist, dass sich auch bei Helios die Nutzer an die Gesetze halten müssen. Da es bei Helios aber - anders als beispielsweise bei Facebook - nicht so sehr darum geht, eine möglichst hohe Reichweite zu erzielen und es auch nicht so etwas wie öffentliche Profile geben soll, ist das Risiko hier deutlich geringer.

Wann könnte Helios an den Start gehen?

Prof. Dr. Schröder: Die Förderung durch die EU ist für drei Jahre zugesagt. In dieser Zeit wird die Plattform entwickelt und es finden Tests einzelner Anwendungsszenarien mit ausgewählten Personen statt. Es ist geplant, Ende 2021 eine funktionierende Infrastruktur zu haben, die dann auch für die Allgemeinheit nutzbar ist.