Interview: Corona-Schutz im Unterricht

„Ein Lockdown im Kleinen“


Dr. Michael Barczok (66) ist Facharzt im Lungenzentrum Ulm und Sprecher des Bundesverbands der Pneumologen, Schlaf- und Beatmungsmediziner. Im Gespräch mit idowa erläutert er, weshalb aus seiner Sicht ein Mund-Nasen-Schutz auch im Unterricht unverzichtbar ist, und spricht über die Vergabe von Attesten.

Herr Dr. Barczok, sind gesundheitliche Nebenwirkungen zu erwarten, wenn über einen längeren Zeitraum und mit großer Intensität mit Mund-/Nasenschutz gesprochen werden muss, wie dies momentan die Lehrerinnen und Lehrer im Unterricht in Bayern tun müssen und auch die Schüler?

Dr. Michael Barczok: Klare Antwort: nein. Einfach aus dem Grund, dass der normale Mund-Nasen-Schutz die Atmung nicht nennenswert behindert. Das Problem bei Masken ist, dass der Atemwiderstand steigen kann, wenn sie eine dichte Maske mit viel Filtermaterial haben. Sie müssen dann die Luft ansaugen und beim Ausatmen die Luft auch wieder durch das Filtermaterial durchbringen. Bei der Community-Maske, also bei den selbstgemachten Masken, und auch beim Mund-Nasen-Schutz, also bei den einfachen chirurgischen Nasenmasken, ist es so, dass so viel Luft an den Seiten rein und raus geht, dass das den Atemwiderstand nicht signifikant erhöht.

Das heißt, die Maßnahme mag unangenehm und ungewohnt sein, sie ist aber eben nichts anderes …

Barczok: Genau. Und auch die Diskussionen wegen Feuchtigkeit und ob da Schimmelpilze und Legionellen wachsen können, ist zunächst theoretisch. Natürlich: Wenn Sie eine Community-Maske aus Baumwolle nehmen und die drei Wochen am Stück tragen und es hinten und vorne sabbert, dann ist das irgendwann nicht mehr hygienisch. Aber wenn man diese Masken nach der Verwendung abnimmt und auch eine Zeitlang trocknen lässt oder auswechselt nach ein paar Stunden, dann ist keine Gefahr damit verbunden. Wir sehen täglich Patienten, die zum Teil schwergradige Erkrankungen der Lunge haben. Aber selbst die können einen einfachen Mund-Nasen-Schutz tragen.

Sind bestimmte Materialien beziehungsweise Typen aus ihrer Sicht besonders tauglich für diesen Einsatz-Zweck, also etwa die bereits angesprochenen klassischen OP-Masken?

Barczok: Genau. Die Community-Masken haben sicherlich den Vorteil, dass sie waschbar sind. Aber sie sind auch nicht abgesichert. Hier kann jeder machen, was er will, und es dann als Maske verkaufen. Die Masken funktionieren zunächst als Spuckschutz beim Sprechen, relativ unabhängig vom Material. Wenn es dickes Material ist, dann sind sie allerdings unbequem. Und wie dicht die Poren im Stoff dann wirklich sind, das ist ja nicht definiert. Die einfachen chirurgischen Mundschutze kosten etwa 50 Cent. Man kann sie wunderbar tragen und sie sind definiert im Hinblick darauf, was rein- und was rauskommt. Das ist aus meiner Sicht die beste Wahl.

"Nur ein Grund, über Befreiung nachzudenken"

Der Pneumologie Dr. Michael Barczok schildert im Interview seine Sicht auf das Thema Mund-Nasen-Schutz im Unterricht.

Der Pneumologie Dr. Michael Barczok schildert im Interview seine Sicht auf das Thema Mund-Nasen-Schutz im Unterricht.

Für so einen Zweck ist es also gar nicht unbedingt zielführend, in Richtung FFP2 Masken zu gehen, also Masken mit hoher Filterleistung und dadurch Eigenschutz, weil in diesen in der Regel mehr Material verarbeitet ist?

Barczok: Der Unterschied ist, dass eine FFP2 [Anm. d. Red.: filtering face piece - Filtermaske] Maske mich sicher schützt. Ich selbst verwende in meiner Sprechstunde grundsätzlich eine FFP2 Maske. Ich bin Risiko-Person, bin 66 und bin Lungenfacharzt. Für die Kinder wäre das in aller Regel nicht sinnvoll, es sei denn, es sind Kinder, die vorgeschädigt sind. Bei den Lehrern gibt es durchaus welche, die Vorerkrankungen haben und älter sind. Da wäre im Einzelfall zu überlegen, sich selbst besser zu schützen. Und da wäre dann das Thema FFP2 Maske vielleicht zu überlegen. Gleichzeitig könnte es bei der FFP2 Maske sein, dass jemand mit einer deutlich vorgeschädigten Lunge dann doch Schwierigkeiten bekommt. Man muss es ausprobieren.

Lassen sich Empfehlungen formulieren, wie der Mund-/Nasenschutz im Unterrichtszusammenhang Hand zu haben ist? Etwa im Sinne von Nutzungs-Intervallen?

Barczok: Man sollte die Maske zwischendurch mal runternehmen. Das tut man ja schon, weil man zum Beispiel Wasser oder einen Kaffee trinkt. Es sind ja auch Pausen vorgesehen. Alle zwei Stunden ist zumindest eine längere Pause vorgesehen. In der Situation sollte man die Maske auch mal runternehmen. Man sollte vielleicht auch nicht nur eine Maske haben, sondern zwei oder drei. Wenn man eineinhalb Stunden geredet hat und bemerkt, dass die Maske doch schon angefeuchtet ist, dann atmet es sich schwerer. Dann sollte man vielleicht eine neue Maske nehmen. Und man sollte zwischendurch mal den Raum durchlüften und dabei auch selber Luft holen.

"Face Shield ist kein adäquater Ersatz für einen Mund-Nasen-Schutz"

Der Einsatz von Face Shields im Unterricht ist wenigstens in Bayern nicht gestattet. Können Sie mögliche Gründe für diese Entscheidung erläutern?

Barczok: Die Entscheidung finde ich berechtigt. Ein Face Shield [Anm. d. Red.: Plastik-Visier] ist komplett offen. Sie sagen etwas, husten, atmen aus. Der Luftstrahl geht zunächst nach vorne, prallt am Face Shield ab und wird nach unten weitergeleitet. Unten kommt er dann als Aerosol zum Vorschein. Deswegen ist ein Face Shield aus meiner Sicht kein adäquater Ersatz für einen Mund-Nasen-Schutz. Zudem muss man sich vor Augen halten, was passiert, wenn ein Lehrer ein Face Shield trägt. Er läuft auf und ab. Und unter ihm sitzen die Schüler. Er würde also den Luftstrom nach unten an seine Schüler leiten.

Wie bewerten Sie eine prinzipiell denkbare Abtrennung einzelner Bereiche durch Scheiben im Klassenzimmer?

Barczok: Bei einer Scheibenlösung haben Sie eine Fläche, hinter der Sie sitzen, etwa an einem Schreibtisch. Sitzt Ihnen jemand direkt gegenüber, dann ist der Luftstrom zwar zunächst unterbrochen. Aber nach allen Seiten kann sich das Aerosol im Raum fortsetzen. Scheibenlösungen sind dann sinnvoll, wenn es sich um eine Situation wie an einem Schalter handelt, also über und neben der Scheibe eine Wand. In einem freien Raum einfach eine Scheibe hinzustellen, das ist aus meiner Sicht nur begrenzt sinnvoll.

An manchen Schulen ist eine wachsende Zahl von Kindern gegeben, die aufgrund eines Attests von der Maskenpflicht befreit sind. Was können Gründe für solche Befreiungen sein?

Barczok: Es gibt aus meiner Sicht kaum einen Grund, jemanden von der Maskenpflicht zu befreien. Ich sagte ja bereits, dass wir es in unserer Arbeit teils mit Menschen mit einer sogenannten COBD 4 [Anm. d. Red.: chronic obstructive pulmonary disease - chronische Lungenkrankheit] zu tun haben, also mit einer schwerstgradigen Einschränkung der Lungenleistung. Die Patienten brauchen Sauerstoff, weil sie so wenig Lungenleistung haben. Selbst so jemand kann in Ruhe, wenn er zum Beispiel im Wartezimmer oder in der Straßenbahn sitzt, mit einem Mund-Nasen-Schutz arbeiten. Aus meiner Sicht gibt es eigentlich nur einen einzigen Grund, über eine solche Befreiung nachzudenken. Das sind psychische Beeinträchtigungen. Manche Menschen können definitiv nicht damit umgehen, dass sie vor dem Gesicht etwas haben, das sie am atmen hindert. (…) Ich persönlich kann zum Beispiel nicht in ein Kernspin-Gerät hinein, weil ich traumatische Platzangst bekomme. Da kann man sagen: Was soll das? Die Röhre bleibt immer so, wie sie ist. Die fällt nicht zusammen. Trotzdem schaffe ich es nicht, mich in so eine Röhre schieben zu lassen. Ich bekomme einen traumatischen Angstanfall.

"Dann ist er wirklich arm dran"

Der Pneumologie Dr. Michael Barczok schildert im Interview seine Sicht auf das Thema Mund-Nasen-Schutz im Unterricht.

Der Pneumologie Dr. Michael Barczok schildert im Interview seine Sicht auf das Thema Mund-Nasen-Schutz im Unterricht.

Geht es bei Ihnen dann nur über alternative diagnostische Maßnahmen?

Barczok: Bei solchen Patienten muss man etwa eine Kurznarkose machen. Wenn ich wach bin, dann sterbe ich, wenn Sie mich in so ein Teil reinschieben. So etwas gibt es. Und es ist vergleichbar. Ich kenne ein, zwei Patienten, denen ich glaube, dass sie das [Anm. d. Red.: Masken vor dem Gesicht] nicht vertragen. Das hat nichts mit einer organischen Störung, sondern mit einer Angststörung zu tun. Betrachtet man sich nun die Situation bei Kindern, dann kann ich mir eben auch nicht vorstellen, dass da so schwere organische Störungen vorliegen. In der Regel heißt es auf dem Attest etwa, dass das Kind Asthma hat oder eine Atemwegserkrankung. Was bedeutet das dann? Die Aussage ist: Dieses Kind hat eine Vorerkrankung, hat Atemnot und schafft es nicht, durch die Maske zu atmen. Deswegen nimmt es ohne Maske am Unterricht teil. Aber das sind doch Kinder, die besonders darunter leiden würden, wenn sie doch erkranken würden. Wenn jemand schweres Asthma hat und der bekommt Corona, dann ist er wirklich arm dran. (…) Ich kann nur immer wieder meine Kollegen dazu aufrufen, solche Atteste nicht auszustellen. Denn wenn ich wirklich der Meinung bin, dass der Patient krank ist und eine geschädigte Ausgangssituation hat, dann muss der möglichst eine FFP2 Maske tragen. Und wenn er sie nicht tragen kann, dann muss er zuhause bleiben.

"Die Maske ist sozusagen ein Lockdown im Kleinen."

Wie schätzen Sie denn die Chancen ein, dass das gut klappt mit einem möglichst flächendeckenden Schutz durch Masken im schulischen Kontext? Man hat es mit Kindern zu tun. Die tragen vielleicht schon im Unterricht Masken. Außerhalb der Schule ist es aber vielleicht mit der Vorsicht nicht so weit her …

Barczok: Das mag sein. Aber wir reden hier von dem Versuch unseres Gesundheitssystems und der Verantwortlichen, eine globale Lockdown-Situation zu verhindern. Die Maske ist sozusagen ein Lockdown im Kleinen. Ich nehme ihn mit in den Bus und zum Arbeitsplatz und in die Schule. Ich versuche, den Stillstand unseres Systems zu verhindern, in dem jeder sich in Eigenverantwortung selbst und den anderen schützt. Natürlich kann man sich fragen, ob die Kinder das dann draußen machen. Wenn sie im Freien Fußball spielen, dann ist es unproblematisch. Wenn sie sich abends treffen, Party zuhause machen und ohne Maske herumlaufen, dann habe ich keine Einflussmöglichkeit. Aber dort wo ich in der Öffentlichkeit verantwortlich und auch verantwortungsbildend die Möglichkeit habe, Regeln vorzugeben, da muss ich das machen. Dass das nicht bis aufs Klo geht mit der Beaufsichtigung, das ist klar. Im Übrigen ist meine Erfahrung, dass sehr viele Eltern und auch Kinder überhaupt kein Problem damit haben. Die Kinder verstehen, worum es geht, und gehen spielerisch mit der Thematik um. Ich rede jetzt aber natürlich von Kindern ab sechs, sieben Jahren. Ein Baby ist natürlich wieder eine andere Situation.

Abschließend noch ein Blick auf einen aktuellen Forschungsansatz in Bezug auf Masken. In einem Artikel in der New York Times wird auf die These einiger Wissenschaftler Bezug genommen, dass Masken quasi wie eine Art von niederschwelliger Impfung funktionieren könnten - in dem Sinne, dass die Träger einer niedrigen Virenlast ausgesetzt werden, die ausreicht, um eine Immunantwort hervorzurufen. Wie beurteilen Sie diese Vermutung?

Barczok: Das ist eine spannende These. Man wird sie sicherlich erst noch etwas weiter untersuchen müssen. Eigentlich ist das Ganze aber logisch. Wir atmen Erreger ein und unser Immunsystem reagiert. Es kommt dann zu einer Auseinandersetzung. Der Virus vermehrt sich, das Immunsystem fängt an, Abwehrstoffe zu produzieren. Die Entwicklung läuft gegeneinander und die Frage ist: Wer behält die Oberhand? Sind die Viren schneller, überrennen sie das Immunsystem. Ist das Immunsystem schneller, dann drängt es die Viren zurück. Sieht man sich nun eine einfache Situation an: Ich werde angehustet und bekomme eine volle Ladung ab, werde mit Milliarden von Erregern konfrontiert. Dann ist die Chance möglicherweise groß, dass mein Immunsystem damit nicht sofort fertig wird. Sind es dagegen nur sehr wenige Erreger, dann sind die Aussichten viel besser. Das Immunsystem kann ins Laufen kommen, annähernd im Gleichschritt mit der Virusvermehrung. Der einfache Mund-Nasen-Schutz kann nicht alle Erreger zurückhalten. Aber das Gros der Erreger wird aufgefangen. Insgesamt werden Personen in einem Raum mit einer niedrigeren Virenlast konfrontiert und die Chance ist größer, dass sie erfolgreich anfangen können, Abwehrkörper zu produzieren. Es ist also eine sehr elegante These, die nochmal dafür spricht, dass der Mund-Nasen-Schutz über die gewöhnliche Argumentation hinaus einen positiven Effekt haben kann.