Interview: "Brüssel ist eine sehr spezielle Stadt"

Eine Landshuterin über Leben und Arbeiten im Zentrum der EU


Die belgische Hauptstadt Brüssel ist Vielen nur als abstraktes "Zentrum" der EU bekannt. Für Menschen wie Anna-Theresa Bach, die hier leben und arbeiten, repräsentiert die Stadt jedoch viel mehr als das.

Die belgische Hauptstadt Brüssel ist Vielen nur als abstraktes "Zentrum" der EU bekannt. Für Menschen wie Anna-Theresa Bach, die hier leben und arbeiten, repräsentiert die Stadt jedoch viel mehr als das.

Von Maximilian J. Falk

Mit dem Wort "Brüssel" verbindet man hierzulande vor allem politische Prozesse, die die EU betreffen: "Brüssel fordert dies" oder "Brüssel führt das ein". Aber natürlich verbergen sich hinter der Institution EU und der Stadt Brüssel auch nur ganz normale Menschen mit normalem Arbeits- und Privatleben. Ich habe mich vor Ort mit einem dieser Menschen getroffen.

Im Rahmen einer Volontariats-Reise, die von der Vertretung der Europäischen Kommission in München organisiert wurde, hatte ich von 16. bis 18. Dezember 2019 die Möglichkeit, einen Einblick in das politische Brüssel zu erhalten. Bei der Gelegenheit recherchierte ich, ob vielleicht Menschen aus Ostbayern in Brüssel leben und arbeiten, die ich nach ihren Erfahrungen fragen könnte - und ich wurde fündig.

Ich treffe die gebürtige Landshuterin Anna-Theresa Bach am Eingang eines EU-Parlamentsgebäudes, das dem Italiener Altiero Spinelli gewidment ist, einem Widerstandskämpfer gegen Mussolini und ab 1970 Abgeordneten im Europäischen Parlament. Per Mitarbeiter-Karte bringt mich die 27-Jährige durch zahlreiche Schleusen und Kontrollpunkte, die jedem Flughafen zur Ehre gereichen würden. Ich erhalte eine Presse-Akkreditierung, dann geht es per Fahrstuhl in den 14. Stock des riesigen verglasten Komplexes. Hier hat der Oberpfälzer EU-Abgeordnete Christian Doleschal (CSU) sein Büro, wie auch andere Angehörige der EVP-Fraktion. Bach arbeitet als parlamentarische Assistentin für den Parlamentarier aus Brand im Landkreis Tirschenreuth.

Doleschal ist zum Zeitpunkt des Interviews in Straßburg, da dort das Parlament tagt. Wir können uns darum in seinem Büro zum Interview zusammensetzen. Unter anderem erfahre ich, wie der Arbeitsalltag hier im Zentrum der EU aussieht - und, ob belgische Pommes wirklich so toll sind, wie immer gesagt wird.

Frau Bach, wo kommen Sie denn ursprünglich her und wie lange sind Sie schon hier in Brüssel?

Anna-Theresa Bach: Ich komme aus Landshut, meine Familie lebt auch immer noch dort. In Brüssel bin ich jetzt seit fast zwei Jahren. Ich war schon sehr lange nicht mehr für längere Zeit in Landshut, da ich die vergangenen sechs Jahre fast nur im Ausland verbracht habe - zum Beispiel habe ich in Lyon und Grenoble studiert und gearbeitet, bevor ich dann eher aus Zufall hier in Brüssel gelandet bin. Ich habe mich für ein Traineeship bei der EU-Kommission beworben, die Stelle auch bekommen und bin danach einfach hier geblieben.

Die 27-jährige gebürtige Landshuterin Anna-Theresa Bach arbeitet als parlamentarische Assistentin in Brüssel. An der Stadt schätzt sie besonders die Vielfalt der Sprachen und Kulturen.

Die 27-jährige gebürtige Landshuterin Anna-Theresa Bach arbeitet als parlamentarische Assistentin in Brüssel. An der Stadt schätzt sie besonders die Vielfalt der Sprachen und Kulturen.

Wie sind Sie dann im Büro von Herrn Doleschal gelandet?

Bach: Nach meinem Traineeship habe ich mich bei der EVP-Parteizentrale als Community Managerin für die Europawahlen beworben und für den damaligen EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber europaweit Wahlkampf gemacht. Nach der Wahl stand fest, dass auch Herr Doleschal einen Sitz im Parlament erlangen und jemanden für sein Büro brauchen würde. Da dachte ich mir: Cool, das ist ein junger Abgeordneter, der ist kaum älter als ich. Und der kommt sogar auch aus Ostbayern! Wir waren uns dann direkt sympathisch und das hat dann einfach "basst".

In Europas Zentrum schließen die Läden früh

War war die größte Überraschung für Sie, als Sie hier hergekommen sind?

Bach: Was mich zu Anfang am meisten gestört hat, sind die komischen Ladenöffnungszeiten: Unter der Woche nach der Arbeit noch in den Supermarkt zu gehen ist super schwierig, weil viele schon um 18 Uhr zumachen. Das fand ich schon seltsam, gerade hier in der europäischen Hauptstadt. Positiv überrascht war ich aber vom Arbeitsalltag hier: Vorher war ich ja in Frankreich und hatte im Studium oder bei der Arbeit fast nur mit Franzosen zu tun. Bei meinem Traineeship hier oder dann später bei der EVP habe ich dann aber in total internationalen Teams gearbeitet, wo Menschen aus allen möglichen Ländern dabei waren. Das fand ich toll und da konnte ich echt viel mitnehmen, weil ich täglich mit all diesen verschiedenen Kulturen zu tun hatte.

"Oh, hier riecht es aber ein bisschen muffig", entschuldigt sich Frau Bach, als wir den Plenarsaal des Parlaments in Brüssel betreten. Ich finde, es riecht wie eine Mischung aus Kirche und Klassenzimmer.

"Oh, hier riecht es aber ein bisschen muffig", entschuldigt sich Frau Bach, als wir den Plenarsaal des Parlaments in Brüssel betreten. Ich finde, es riecht wie eine Mischung aus Kirche und Klassenzimmer.

Können Sie mal beschreiben, wie ihr momentaner Arbeitsalltag hier in Brüssel aussieht?

Bach: Ich betreue für Herrn Doleschal den sogenannten "IMCO-Ausschuss" [Committee on the Internal Market and Consumer Protection, Anm. d. Red.], der sich mit dem europäischen Binnenmarkt und dem Verbraucherschutz beschäftigt. Ich verfolge also, was in diesem Ausschuss passiert in Bezug auf Gesetzesvorhaben der Europäischen Kommission oder Änderungsanträge. Wenn Herr Doleschal Berichterstatter für ein Gesetzesvorhaben oder einen Bericht wird, recherchiere ich dann zu diesem bestimmten Thema und arbeite mit den Assistenten der Schattenberichterstatter der anderen Fraktionen eng zusammen. Ein anderer wichtiger Aufgabenbereich ist die Öffentlichkeitsarbeit: Ich betreue die Sozialen Medien von Herrn Doleschal, bearbeite Presse-Anfragen, die hier in Brüssel eingehen und schreibe Pressemitteilungen. Nebenbei organisiere ich seinen Terminkalender und beantworte jede Menge Emails von interessierten Bürgern, Interessenverbänden und anderen Abgeordneten. Einen wirklich typischen Arbeitsalltag gibt es hier eigentlich nicht, weil das Spektrum so breit gefächert ist - jeder Tag ist anders und man weiß nie genau, was kommt.

Sprachen-Wirrwar in der "EU-Blase"

Brüssel ist ja quasi die "Zentrale" der Europäischen Union. Wie sehr prägt die Institution EU die Stadt?

Bach: Das ist schwierig zu beantworten, weil ich es ja auch schon so gewohnt bin. Aber Brüssel ist wirklich eine spezielle Stadt, so dass man eigentlich gar nirgendwo anders mehr hin will. Hier gibt es ein tolles internationales Flair, was natürlich auch mit der EU zu tun hat. Besonders präsent ist dieses Sprachen-Wirrwar, würde ich sagen: Wenn man hier auf den Straßen rund um die EU-Gebäude unterwegs ist, hört man eher selten Französisch - dafür aber alle möglichen anderen Sprachen. Da merkt man dann schon, wie viele Nationalitäten eigentlich hier in dieser Stadt zusammenleben.

Kann das auch Nachteile haben?

Bach: Wenn man bei einer EU-Institution arbeitet, ist man schon ein bisschen in so einer Art "EU-Blase", was ich auch manchmal schade finde. Alles dreht sich um die EU, ich bin natürlich auch meist mit anderen aus dem EU-Umfeld unterwegs und lerne eher wenige Belgier kennen. Aber die Belgier haben sich total auf diese multikulturelle Präsenz der EU in Brüssel eingestellt und sind da super offen, auch wenn mal jemand nicht so gut Französisch spricht. Das kenne ich aus Frankreich anders.

Brezen-Sehnsucht und tolle Pommes

Eine Delegation aus der Heimat hat Christian Doleschal vor Kurzem ein kleines Stück Regensburg für sein Brüsseler Büro gebracht.

Eine Delegation aus der Heimat hat Christian Doleschal vor Kurzem ein kleines Stück Regensburg für sein Brüsseler Büro gebracht.

Sie waren ja jetzt schon lange nicht mehr für längere Zeit in Deutschland. Gibt es etwas von "dahoam", was Sie hier vermissen?

Bach: Ja, Brezen. Die und gutes Vollkornbrot vermisse ich auf jeden Fall, denn sowas ist hier nicht einfach zu bekommen. Es gibt hier schon eine französische Bäckerei, die Brezen verkauft - aber die salzen sie dann nicht und außerdem kostet eine gleich mal zwei Euro.

Mussten Sie sich denn sonst noch irgendwie umstellen oder irgendwas komplett anders machen als vorher, seit Sie hier sind?

Bach: Man wird hier auf jeden Fall sehr viel gelassener. Beim Arbeiten in internationalen Teams muss man wirklich ein bisschen von seinen "deutschen" Angewohnheiten weg kommen, zum Beispiel von der Direktheit im Umgang mit Arbeitskollegen. Das war auf alle Fälle etwas, wo ich mich erstmal ein bisschen umstellen musste, um niemanden vor den Kopf zu stoßen. Grundsätzlich aber lernt man hier Gelassenheit: Die Arbeitsmentalität ist von Land zu Land ein bisschen unterschiedlich, das finde ich auch gut so!

Bayerns Schloss in Brüssel sorgt für Belustigung

Sind Sie mit irgendwelchen Vorurteilen Bayern gegenüber konfrontiert worden, als Sie hier hergekommen sind?

Bach: Bezogen auf Bayern eigentlich nur mit positiven Vorurteilen, weil viele da super Landschaften, Bier und das Oktoberfest assoziieren. Also das Bild von Bayern und auch Deutschland insgesamt ist hier schon ein sehr positives. Nur die Bayerische Vertretung in Brüssel wird oft ein bisschen belächelt, weil Bayern sich hier in Brüssel ja so ein riesiges Schloss gesichert hat. Sogar die deutsche Vertretung ist da deutlich unscheinbarer, das ist schon ziemlich surreal. Und lustig finden die Leute auch, dass es da bei Veranstaltungen so oft Weißwürscht und Schweinsbraten gibt.

Die "Vertretung des Freistaates Bayern bei der Europäischen Union" gehört zur Bayerischen Staatskanzlei und residiert in einem pittoresken Schlößchen. Das sorgt in Brüssel dann und wann für leisen Spott.

Die "Vertretung des Freistaates Bayern bei der Europäischen Union" gehört zur Bayerischen Staatskanzlei und residiert in einem pittoresken Schlößchen. Das sorgt in Brüssel dann und wann für leisen Spott.

20 Soßen für die Pommes

Okay, letzte Frage: Belgien ist ja weltbekannt für seine Pommes-Frites. Sind die denn hier in Brüssel wirklich so gut, wie man sagt?

Bach: Ja, auf jeden Fall. Die belgischen Pommes sind so toll, weil sie zwei oder sogar drei mal frittiert werden und darum besonders kross sind. Außerdem kennt man es ja aus Deutschland so, dass man Pommes eben mit Ketchup und Mayo isst. Hier ist es aber so, dass es 20 verschiedene Soßen gibt, wo man sich dann eine aussucht, oder es kommen noch Zwiebeln dazu und vieles mehr. Eine andere Besonderheit der "Pommes-Kultur" hier in Brüssel ist, dass man sich seine Pommes irgendwo kauft und dann damit einfach in die Bars gehen kann, um sie dort zu essen und ein Bier dazu zu bestellen. Das könnte ich mir in Landshut nicht vorstellen.