Implantate - Teil 2

Fachanwältin: "Implantate in vielen Fällen gar nicht nötig"


Viele eingesetzte Implantate sind nach Ansicht von Alexandra Glufke-Böhm medizinisch gar nicht notwendig.

Viele eingesetzte Implantate sind nach Ansicht von Alexandra Glufke-Böhm medizinisch gar nicht notwendig.

Von Patrick Beckerle und Redaktion idowa

Alexandra Glufke-Böhm ist Fachanwältin für Medizinrecht in Regensburg. Mit ärztlichen Behandlungsfehlern und den Folgen ist sie in unterschiedlichen Spielarten vertraut. Das Ausmaß der Enthüllungen in den "Implant Files", also der Recherchen eines internationalen Netzwerkes von Journalisten über Lücken bei der Kontrolle von Implantaten, hat selbst sie überrascht. Im Interview erläutert sie die Vorgehensweise von Anwaltsseite und erklärt, was Betroffene tun können. Wie die Einschätzung dieser Enhüllungen von anderer Seite ist, das haben wir am Universitätsklinikum Regensburg abgefragt. Lesen Sie hierzu Sprecherin Uni-Klinik: "Hersteller tragen Verantwortung".

Frau Glufke-Böhm, Sie sind als Fachanwältin für Medizinrecht mit Fällen von Behandlungsfehlern bestens vertraut. Haben Sie die "Implant Files" da noch überrascht?

Glufke-Böhm: Tatsächlich schon. Ich und meine Kollegen haben zwar beruflich mit vielen solchen Fällen zu tun, das Ausmaß der Enthüllungen hat aber selbst uns überrascht.

Wie beurteilen Sie die Praxis rund um den Einsatz von Implantaten in Deutschland?

Glufke-Böhm: Ich habe den Eindruck, dass Implantate mittlerweile fast inflationär eingesetzt werden. Dabei wären sie in vielen Fällen gar nicht nötig. Allerdings ist bei uns das Vertrauen in Ärzte sehr groß - und das wird teilweise ausgenutzt. Über die Risiken solcher Eingriffe wird dagegen im Voraus nur wenig aufgeklärt. Dahinter steckt schließlich ein riesiger Markt. Ein weiteres Problem: Es findet kaum Überwachung statt. Viele Fälle, mit denen ich und meine Kollegen zu tun haben, ließen sich durch mehr Kontrollen schon im Voraus verhindern - von den gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen ganz zu schweigen.

Wie gehen Sie vor, wenn sich Betroffene an Sie wenden?

Glufke-Böhm: Wenn jemand Beschwerden hat und befürchtet, dass ein Implantat daran Schuld trägt, prüfen wir zuerst seine Unterlagen und Befunde. Dann gilt es, mehrere Fragen zu klären: War der Eingriff indiziert, sprich tatsächlich notwendig? Wurde der Betroffene über die Risiken aufgeklärt? Wurde das Implantat richtig eingesetzt? Falls nicht, wo liegt der Fehler? Beim Arzt? Beim Hersteller? Oder handelt es sich wirklich um natürlichen Verschleiß? Die Beweisführung läuft hier hauptsächlich über Gutachter. Die meisten Fälle lassen sich so auch zweifelsfrei klären.

Was würden Sie Betroffenen raten?

Glufke-Böhm: Von dem oft geäußerten Ratschlag "Sprechen Sie Ihren Arzt an" halte ich nicht viel. Kaum ein Mediziner wird offen eigene Fehler zugeben. Besser ist es, bei Nachbehandlungen und Laboruntersuchungen genau hinzuschauen. Sinnvoll ist es auch, Nebenwirkungen wie zum Beispiel Schwellungen mit Fotos zu dokumentieren. Sollten Implantate herausgenommen und durch neue ersetzt werden, sollte der Betroffene die alten einfordern, damit sie später unter Umständen als Beweismittel dienen können. Das steht ihm rechtlich auch zu. Generell gilt: Wenn es zu einer solchen Revisions-OP kommt, lohnt sich meist ein genauerer Blick auf die Sache.

Wie laufen Verfahren in solchen Fällen ab?

Glufke-Böhm: Das kann man nicht pauschal sagen, weil solche Verfahren sehr vielschichtig sind. Meistens geht es aber um Schadensersatzansprüche. Manchmal ist dabei eine außergerichtliche Einigung möglich, weil die Hersteller der Implantate die Öffentlichkeit scheuen. Kommt es dagegen zur Klage, läuft die Beweisführung meist über Gutachter. Ohne Rechtsschutzversicherung kann das allerdings teuer werden. Hier muss man immer schauen, was für den Betroffenen die beste Lösung ist. Es gibt aber durchaus Möglichkeiten, zu seinem Recht zu kommen.