Holocaust-Gedenktag

Anna Zisler: "Wir können doch nicht Tür und Tor verschließen"


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Von Stefan Karl

An diesem Sonntag ist Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus. Das Datum bezieht sich auf die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee im Jahr 1945.

Wie verändert sich das Andenken an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, in einer Zeit, da die letzten Zeitzeugen versterben und nicht mehr selbst berichten können? Unter anderem darüber haben wir mit Anna Zisler von der Israelitischen Kultusgemeinde in Straubing gesprochen.

Welche Bedeutung haben die Gedenktage an die Shoa heute für Sie? Welchen Zugang hat die heute junge Generation der Juden dazu?

Anna Zisler: Für mich als Tochter eines Holocaust-Überlebenden war es immer wichtig, dass mein Vater es nicht bereuen musste, dass er in Deutschland geblieben ist. Trotz des schweren Leids, das über ihn, seine Familie und das ganze jüdische Volk mit dem Holocaust gekommen war. Die Gedenktage bestärkten ihn und uns in dem Gefühl, dass ein Leben für Juden in Deutschland möglich ist. Dass die nachfolgende Generation bereit ist, aus den Fehlern zu lernen. Entsprechend bedeuten diese Gedenktage uns immer noch viel. Mein Vater ist dieses Jahr verstorben. Umso wichtiger ist es für mich, durch diese Gedenktage, an das Schicksal unserer Familie erinnert zu werden. Solche Gedenktage sind für einen Holocaust-Überlebenden ein Beweis, dass er es richtig gemacht hat.

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Der von Schülern gestaltete "Lebensbaum" wurde am 9. November in der Synagoge aufgestellt.

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Der von Schülern gestaltete "Lebensbaum" wurde am 9. November in der Synagoge aufgestellt.

… also spielt es auch eine Rolle, dass die nicht-jüdische Bevölkerung sich am Gedenken beteiligt.

Zisler: Absolut. Wir wollen heute keine Gäste mehr sein im Land, sondern es ist auch unser Land. Mein Vater hat immer gesagt: "In erster Linie bin ich Bayer. Er hat das Bayerische wirklich geliebt. Die Natur, aber auch die Menschen. Niederbayern war ihm die Heimat geworden.

"Lehrer, die jungen Menschen eine Richtung weisen"

Mit den Jahren droht der Holocaust ja ins Historische, in die Distanz abzugleiten. Viele Zeitzeugen können nicht mehr selbst berichten. Was sind gelungene Beispiele für die Bewältigung der Verbrechen der Vergangenheit im Jahr 2019?

Zisler: Gelungene Beispiele entstehen dann, wenn Lehrer und Schüler zusammen den Grund für einen Gedenktag besprechen und zu einem Projekt ausarbeiten. Wie zum Beispiel der "Wunschbaum", der im November eine Woche lang von Schule zu Schule wanderte und am 9. November in der Synagoge aufgestellt wurde. Die Schüler haben damals ihre Wünsche und Anregungen für ein friedliches, tolerantes und vorurteilsfreies Miteinander auf Granatäpfel aus Pappe geschrieben, die sie in den Baum gehängt haben. Der Baum war übrigens auch im Straubinger Tagblatt groß abgebildet. Das ist wirklich gelungene, lebendige Erinnerungskultur. Ich freue mich, dass ich in einer Stadt lebe, mit Lehrern, die dieses Thema aufgreifen und jungen Menschen eine Richtung weisen.

Es greift in diesen Dingen eines ins andere, weil es uns natürlich wieder bestärkt in dem Glauben, dass wir alles richtig gemacht haben. Damit, dass meine Eltern hier Kinder aufgezogen haben und dass wir unsere Kinder hier aufziehen. Man spürt das Verständnis in der Bevölkerung.

"Wir müssen halt dagegenhalten"

Manche befürchten, dass mit der Zuwanderung aus dem arabischen Raum auch ein neuer Antisemitismus nach Deutschland gekommen sei. Ist diese Sorge aus Ihrer Sicht berechtigt?

Zisler: Antisemitismus, ganz gleich aus welcher Richtung und wie er auch immer begründet ist, ängstigt uns gleichermaßen. Mit der Zuwanderung aus arabischen Ländern sind natürlich auch Menschen gekommen, die großen Hass auf den Staat Israel haben. Einige von ihnen beziehen diesen Hass auf die Juden in aller Welt. Das ist aber nur durch Aufklärung zu verhindern. Also, wiederum durch Lehrer und konsequentes Dagegenhalten in den Schulen.

Ich sehe es aber nicht so, dass die Zugewanderten per se Antisemiten sind. Ich gehe immer davon aus, dass Menschen, die auf der Flucht sind, einen Grund dafür hatten, sich auf den Weg zu machen. Zum Beispiel, dass sie ihre Kinder aus einem Kriegsgebiet retten wollten. Meine Eltern haben mich gelehrt, dass man Menschen in Not hilft. Unsere Aufgabe in unserem Land ist, diesen Menschen ihren Hass gegen Juden zu nehmen. Wir von unserer Seite aus versuchen das mit Synagogenführungen, an denen jedes Jahr hunderte von Schülern, darunter auch muslimische Kinder, teilnehmen. Es geht darum, Vorurteile abzubauen. Wir können doch nicht Tür und Tor verschließen vor Menschen, nur weil wir Angst haben, dass sie Antisemiten sein könnten. Wir müssen dann halt dagegenhalten.

Unsere Aufgabe ist, gemeinsam zu verhindern, dass Verbrechen, wie sie in der Vergangenheit passiert sind, in unserem schönen Land nie wieder passieren.