Halbzeit-Bilanz im Einzelhandel

Bernd Ohlmann: „Lockdown im Kopf der Kunden“


Der Teil-Lockdown bedroht nach Ansicht des Einzelhandelverbands das Weihnachtsgeschäft in vielen Branchen. (Symbolbild)

Der Teil-Lockdown bedroht nach Ansicht des Einzelhandelverbands das Weihnachtsgeschäft in vielen Branchen. (Symbolbild)

Lockdown light? Für den Verband der bayerischen Einzelhändler sind die Auswirkungen je nach konkretem Bereich des Handels durchaus gravierend. Die Bilanz zur Halbzeit sieht zahlreiche Händler wirtschaftlich in Schieflage.

Die zweite Auflage der Corona-Maßnahmen droht nun auch das Weihnachtsgeschäft abzuwürgen, sagt Bernd Ohlmann, der Sprecher des Handelsverbands Bayern (HBE). Er spricht im Interview mit idowa darüber, wie die Angst vor Ansteckung die Kunden von den Geschäften fernhält und wie sich die Schließung von Schulen und Gastronomie indirekt auch auf seine Branche auswirken.

Herr Ohlmann, nach zwei Wochen Teil-Lockdown: Wie sieht es aus in der Welt des Einzelhandels?

Bernd Ohlmann: Grundsätzlich ist es in Ostbayern wie auch in Bayern insgesamt. Die Kundenfrequenz liegt im Schnitt zwischen 40 und 60 Prozent unter der in der vergleichbaren Zeit des vergangenen Jahres und die Umsätze sind ungefähr 30 bis 50 Prozent geringer. Am Lebensmitteleinzelhandel rauscht Corona derzeit noch immer vorbei. Tendenziell sind diese Geschäfte sogar die Gewinner: Wenn der Italiener um die Ecke zu hat, kaufen die Leute Pasta, frisches Gemüse und eine Flasche Rotwein und kochen zu Hause italienisch. Der Fahrradhandel gehört auch zu den Gewinnern. Man muss teilweise wochenlang auf einen Fahrradschlauch warten, weil die Händler so ausgelastet sind. Auch Baumärkte und Möbelhandel profitieren. Beim Textileinzelhandel oder auch den Geschäften für Schuhe, Schmuck, Spielwaren läuft es im Moment gar nicht. Diese Händler brauchen die Lust aufs Einkaufen, und die ist im Moment einfach nicht vorhanden. Diese Geschäfte darben ganz extrem und da kreist bei einigen auch schon der Pleitegeier.

Trifft der Teil-Lockdown eher die großen oder die kleinen Geschäfte?

Ohlmann: Wir merken, dass Kunden den kleinen Einzelhändler um die Ecke wieder zu schätzen gelernt haben. Man hat Angst vor Ansteckung, will keine langen Wege und man sagt sich: "Dann kauf ich halt hier vor Ort." Darum sind die Umsatzeinbrüche bei einigen kleinen Einzelhändlern weniger schlimm als bei den Großen. In den Ortskernen leiden die Einzelhändler vor allem darunter, dass die Gastronomie geschlossen hat. Zum Shopping gehört, zwischendurch mal eine Tasse Kaffee oder ein Bier zu trinken oder auch abends essen zu gehen. Wir merken ganz extrem, dass das fehlt. Wir schauen mit Zittern auch auf die Beratungen zu den Maßnahmen in Berlin. Denn wenn es wieder zu Schulschließungen kommt, betrifft das den Einzelhandel auch. Wenn etwa Verkäuferinnen ihre Kinder zu Hause betreuen müssen, fallen sie für ihren Arbeitgeber aus.

"Rund 20 Prozent des Umsatzes machen wir im Weihnachtsgeschäft"

Der November zählt traditionell zum Weihnachtsgeschäft. Ist es aus Sicht des Einzelhandels noch zu retten und was sind die Auswirkungen, wenn es ins Wasser fällt?

Ohlmann: Wir machen durchschnittlich etwa 20 Prozent unseres Jahresumsatzes im Weihnachtsgeschäft. Das ist ein Durchschnittswert. Branchen wie Spielwaren, Schmuck, Uhren liegen natürlich deutlich darüber. Der erste Advent fällt noch in den November, das ist natürlich ein herber Schlag für uns. Mit einem halbwegs passablen Weihnachtsgeschäft könnte mancher Händler noch mit einem blauen Auge davonkommen in diesem Jahr. Bayernweit sind etwa 5.000 Einzelhändler bereits insolvent. Bis jetzt ist die große Pleitewelle ausgeblieben, aber es kommt darauf an, was nach dem Teil-Lockdown kommt. Irgendwann reichen die Hilfen und das finanzielle Polster nicht mehr aus.

Lesen Sie im zweiten Teil unseres Interviews, wie sich der Lockdown auf die Umsätze in Einkaufszentren auswirkt und welche neuen Einkaufsstrategien die aktuelle Situation hervorgebracht hat.

"Manch ein Händler schließen und die 75 Prozent nehmen"

?20 Prozent des Jahresumsatzes machen wir im Weihnachtsgeschäft?: Bernd Ohlmann ist Sprecher des Handelsverbands Bayern.

„20 Prozent des Jahresumsatzes machen wir im Weihnachtsgeschäft“: Bernd Ohlmann ist Sprecher des Handelsverbands Bayern.

Sie haben in einem früheren Interview mit idowa bereits gesagt, dass ein Faktor das Einkaufen mit Maske sei - das macht vielen Leuten keinen Spaß. Wie hat sich das Einkaufsverhalten durch die Maskenpflicht geändert?

Ohlmann: One-Stop-Einkaufen ist angesagt. Wenn man zum Supermarkt fährt, dann den Wagen ohne Ende voll machen, damit man nur einmal ins Geschäft muss. Das ist ein Trend, der sich ganz extrem durchsetzt.

Können Geschäfte in Einkaufszentren von diesem Trend profitieren? Da ist ja mit einem Stopp alles drin…

Ohlmann: Nein. In den Einkaufszentren halten sich die Kunden ähnlich zurück, wie beim Shopping an sich. Sie halten die Aufenthaltsdauer möglichst kurz, bleiben also nicht lange im Einkaufszentrum. "Shopping" findet praktisch nicht statt.

"Weihnachten wird per Mausklick ablaufen"

Das Weihnachtsgeschäft haben wir schon angesprochen. Welches Einkaufsverhalten wird hier in dieser Saison zu beobachten sein?

Ohlmann: Eins ist klar: Weihnachten wird dieses Jahr per Mausklick ablaufen. Sogar Leute, die vorher eine regelrechte Online-Allergie hatten, haben das Online-Shopping in den vergangenen Monaten für sich entdeckt. Darunter leiden werden wohl die stationären Händler, das ist klar.

Die Meldepflicht für Insolvenzen ist weiter ausgesetzt. Wie viele Pleiten werden derzeit dadurch noch verborgen?

Ohlmann: In der Tat ist das ein Instrument, um die tatsächliche Lage zu vertuschen. Corona ist eine Art Brandbeschleuniger. Der Strukturwandel, der dafür sorgt, dass Innenstädte unter Druck geraten, vollzieht sich bereits seit längerem. Corona hat das natürlich weiter verschärft. Grad im Textileinzelhandel sind viele finanziell ausgehungert und sind zum großen Teil ohne eigenes Verschulden in Not geraten. Da könnte einiges auf uns zukommen.

Lohnt es sich für die Händler in den schwierigen Branchen, etwa für Textileinzelhändler, überhaupt, den Laden aufzumachen?

Ohlmann: Das ist ein wichtiger Punkt. Viele hätten tatsächlich gerne, wie die Gastronomen, einfach 75 Prozent des Umsatzes des vergangenen Novembers. Da würde manch ein Händler schließen und die 75 Prozent nehmen. Denn es kommen kaum Kunden. Die Bilanz ist verheerend. Der Lockdown im Kopf der Leute, die Angst vor Ansteckung, das alles schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Weihnachtsgeschäft. Weil die Leute Angst haben. Obwohl es eigentlich keinen Grund dazu gibt. Es gibt in ganz Bayern keinen einzigen Fall, in dem ein Einzelhandelsgeschäft ein Hotspot war, weder für Mitarbeiter, noch für Kunden. Weil der Einzelhandel Hygienekonzepte hat, die funktionieren und die in aller Regel auch eingehalten werden.