Großer Schritt in Richtung Ampel

Unterhändler stimmen für Koalitionsgespräche im Bund


Von mit Material der dpa

Für den Beginn von Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP fehlt nur noch das Ja zweier Parteien. Ein Parteivorstand hat seine Entscheidung bereits getroffen.

Die Unterhändler von SPD, Grünen und FDP haben sich knapp drei Wochen nach der Bundestagswahl für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer Regierung ausgesprochen. "Wir sind davon überzeugt, dass wir einen ambitionierten und tragfähigen Koalitionsvertrag schließen können", heißt es in einem gemeinsamen Papier zu den Ergebnissen der Sondierungen, das am Freitag veröffentlicht wurde.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sagte nach Beratungen in Berlin, nach seinem Eindruck sei "ein Aufbruch möglich", getragen von den drei Parteien. Scholz hob zudem als sehr "bemerkenswert" und "wohltuend" hervor, wie vertrauensvoll die Sondierungsgespräche verlaufen seien. FDP-Chef Christian Lindner sagte, er sei überzeugt, "dass es lange Zeit keine vergleichbare Chance gegeben hat, Gesellschaft, Wirtschaft und Staat zu modernisieren".

Grünen-Chefin Annalena Baerbock betonte, dass das Land "eine wirkliche Erneuerung" brauche und keinen "kleinsten gemeinsamen Nenner". Bei drei unterschiedlichen Parteien sei es wichtig, "dass jeder auch mal was gibt". Der Parteivorstand der SPD stimmte der Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit Grünen und FDP bereits am Freitagnachmittag zu. Der Beschluss fiel einstimmig, wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr. Bei den Grünen soll sich mit dem Ergebnis der Sondierungen am Sonntag noch ein kleiner Parteitag befassen. Die FDP-Unterhändler wollen den Parteigremien am Montag die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen empfehlen.

Scholz nannte als wichtige gemeinsame Projekte unter anderem einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien, um so schnell wie möglich auf fossile Energien verzichten zu können. Es gehe um die größte industrielle Modernisierung, die Deutschland seit 100 Jahren erlebt habe. Er verwies auf angestrebte Verbesserungen beim Wohnungsbau, beim Mindestlohn und bei stabilen Renten. Dafür solle die Rentenversicherung mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet werden.

Keine Steuererhöhungen für Spitzenverdiener

Der Start von Koalitionsverhandlungen ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer gemeinsamen Regierung. In den bisherigen Sondierungsgesprächen haben SPD, Grüne und FDP unverbindlich Differenzen und Gemeinsamkeiten ausgelotet. Wer Koalitionsverhandlungen aufnimmt, tut das hingegen mit der klaren Absicht, eine gemeinsame Regierung zu bilden. Ein Scheitern ist aber auch in dieser Phase nicht ausgeschlossen.

Wohl mit Rücksicht auf die Wahlversprechen der FDP hielten die Unterhändler in ihrem Papier fest: "Wir werden keine neuen Substanzsteuern einführen und Steuern wie zum Beispiel die Einkommen-, Unternehmens- oder Mehrwertsteuer nicht erhöhen." Die notwendigen Zukunftsinvestitionen würden "im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse" gewährleistet. Der Kampf gegen Steuervermeidung Geldwäsche und Steuerhinterziehung solle intensiviert werden.

Mit einer Ampel-Koalition werde es keine Vermögenssteuer und "keine Umverteilung von oben nach unten geben", kritisierte die Linke-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow. Die FDP habe sich bei den Sondierungen in vielen Punkten durchgesetzt, schrieb sie auf Twitter. In dem gemeinsamen Papier von SPD, Grünen und FDP hieß es auch: "Zur Einhaltung der Klimaschutzziele ist auch ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohleverstromung nötig. Idealerweise gelingt das schon bis 2030." Bisher ist der Kohleausstieg bis spätestens 2038 geplant. Weiter heißt es in dem Papier: "Das verlangt den von uns angestrebten massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Errichtung moderner Gaskraftwerke, um den im Laufe der nächsten Jahre steigenden Strom- und Energiebedarf zu wettbewerbsfähigen Preisen zu decken."

Grüne können Tempolimit nicht durchsetzen

Ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen, wie von den Grünen im Wahlkampf gefordert, gehört nicht zu den Zielen, auf die sich die Unterhändler geeinigt haben. "Wenn das nicht in den Koalitionsverhandlungen massiv verändert wird, droht eine neue Ampel-Regierung den Kampf gegen die Klimakrise alleine im Verkehrsbereich schon zu verspielen", kritisierte der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch.

Zum Thema Migration und Flucht hielten die Sondierer fest: "Die Asylverfahren, die Verfahren zur Familienzusammenführung und die Rückführungen wollen wir beschleunigen", zudem sollten legale Zugangswege geschaffen werden. Falls es zur Bildung einer Ampel-Regierung kommt, soll der gesetzliche Mindestlohn im ersten Jahr auf zwölf Euro pro Stunde erhöht werden. Das Wahlalter für die Bundestagswahl und die Europawahl soll auf 16 Jahre gesenkt werden.

Die SPD hatte die Bundestagswahl am 26. September mit 25,7 Prozent knapp vor der Union (24,1 Prozent) gewonnen. Grüne und FDP galten nach der Wahl als Königsmacher. Sie hätten rechnerisch sowohl zusammen mit der SPD eine Ampel-Koalition, als auch mit der Union ein Jamaika-Bündnis eingehen können.

Noch keine Entscheidung über Kabinettsposten

Darüber, wer möglicherweise welche Kabinettsposten besetzen könnte, habe man bei den Sondierungen nicht gesprochen, antwortete Lindner auf die Frage eines Journalisten. Er beschrieb die Gespräche mit den Vertretern der anderen beiden Parteien als diskret und sehr ernsthaft. Sie hätten bei allen Beteiligten "den Möglichkeitsraum erweitert" und "neue politische Fantasie möglich gemacht". Allein dieser neue Stil markiere bereits eine Zäsur in der politischen Kultur Deutschlands.