Fußballprofi in Prag

Till Schumacher: "Glaube, Fußball lernt langfristig nicht daraus"


Till Schumacher ist Fußballprofi bei Bohemians Prag.

Till Schumacher ist Fußballprofi bei Bohemians Prag.

Till Schumacher ist der einzige deutsche Fußballprofi in Tschechien. Er spielt beim Erstligisten Bohemians Prag. Derzeit ruht aber auch dort der Ball. Im idowa-Interview spricht der 22-jährige Linksverteidiger über den Umgang mit der Krise im Nachbarland, über einen Plan, wie es im tschechischen Fußball weitergehen soll, schauspielende Fußballprofis und seinen derzeitigen Alltag.

Herr Schumacher, seit über einem Monat ruht auch in Tschechien der Ball. Wie ist die Situation vor Ort?
Till Schumacher: Wir befinden uns zu Hause, es gibt keinen Trainingsbetrieb, auch kein Kleingruppentraining wie in Deutschland. Wir haben einen klassischen Laufplan, den wir absolvieren müssen. Es gibt aber einen konkreten Zeitplan, wie es weitergehen soll. Nächste Woche gibt es wieder Mannschaftstraining. In welcher Form genau, ob wir zum Beispiel auch in kleinen Gruppen starten, weiß ich allerdings noch nicht. Ab Juni soll dann der Ligabetrieb wieder aufgenommen werden und die Saison soll über den 30.6. hinaus, also bis in den Juli hinein andauern.

Wie ging man in Tschechien allgemein mit der Krise um?
Schumacher: Ich finde, dass sie hier wirklich überragend gemanaged wird. Es hat früh drastische Maßnahmen gegeben, es herrschen eine Mundschutzpflicht und Ausgangsbeschränkungen. Wenn ich mal draußen unterwegs bin, dann sehe ich auch, dass sich die Leute daran halten.

Würden Sie sagen, Tschechien hat die Lage im Griff?
Schumacher: Absolut. Die Maßnahmen werden hier konsequent umgesetzt und greifen. Ich nehme auch eine unfassbar disziplinierte Bevölkerung wahr, die die Regeln einhält. Hier sieht man keine Parks voller Menschen.

Macht es das auch für einen persönlich einfacher, sich an die Regeln zu halten?
Schumacher: Mit Sicherheit. Wenn man unterwegs ist und nur 50 Prozent der Menschen einen Mundschutz tragen, dann überlegt man selbst vielleicht auch. Aber wenn es jeder macht, dann zieht man mit. Wenn ich draußen unterwegs bin, sehe ich niemanden ohne Mundschutz oder Schal vor dem Gesicht. Tschechien kann ein gutes Beispiel sein. Die Zahlen hier kommen nicht von ungefähr. Das ist nicht nur Glück und der liebe Gott.

Werden die Regeln streng kontrolliert und bei Verstoß geahndet?
Schumacher: Es gibt Strafen und Bußgelder und die Polizei kontrolliert auch stark. Wenn ich meine Jogging-Runden durch die Parks drehe, dann sehe ich eigentlich immer irgendwo Polizei. Man fühlt sich aber dennoch nicht wie in einem zweiten Gefängnis, sehr viel geschieht präventiv.

Selbst sonst stark frequentierte Orte wie die Karlsbrücke sind in Prag derzeit leer. (Foto: imago)

Selbst sonst stark frequentierte Orte wie die Karlsbrücke sind in Prag derzeit leer. (Foto: imago)

In Tschechien wurde kürzlich bereits ein konkreter Exit-Plan vorgestellt. Was halten Sie davon?
Schumacher: Ich finde es sehr sinnvoll, dass man etappenweise wieder öffnet. Wenn man die Lage im Griff hat, kann man den Schritt gehen und belohnt damit die Bevölkerung auch ein Stück weit fürs Mitziehen. Durch die schrittweise Öffnung kann auch die Entwicklung weiter im Auge behalten und gegebenenfalls wieder reagiert werden.

Sie kannten bislang nur ein Europa mit offenen Grenzen. Wie fühlt es sich für Sie an, zu wissen, dass die Grenzen derzeit zu sind?
Schumacher: Auch wenn mich die Grenze selbst nur in der Sommer- und Winterpause betrifft, wenn ich in die Heimat reise, ist das aktuell mit Sicherheit ein komisches Gefühl. Gerade jetzt, wo nichts passiert und der Fußball ruht, fragt man sich auch mal, warum man nicht zu Hause ist.

Gab es denn vom Verein aus die Möglichkeit, in die Heimat zu reisen?
Schumacher: Vom Verein wurde gewünscht, dass ich nicht nach Deutschland reise. Gerade am Anfang war die Situation ja in Nordrhein-Westfalen, meiner Heimat, am schlimmsten und die Zahlen in Deutschland waren deutlich negativer als in Tschechien. Zwischendurch gab es schon mal Überlegungen, nach Deutschland zu reisen. Durch die Anweisung, sich nach einer Rückkehr nach Tschechien zwei Wochen in Quarantäne zu begeben, wurde mir die Entscheidung jedoch abgenommen.

Till Schumacher über den Kontakt in die Heimat, seinen Alltag und die Stimmung im Club

Wie ist Ihr Kontakt aktuell in die Heimat?
Schumacher: Der Kontakt ist aktuell deutlich enger. Ich habe ohnehin einen sehr intensiven Draht zu meiner Familie und Freunden. Jetzt haben aber alle noch mehr Zeit und ich verbringe schon einige Stunden des Tages am Telefon. Eine soziale Isolation gibt es also bei mir nicht.

Dann wissen Sie durch die Gespräche sicher auch um die Situation in Deutschland. Wie nehmen Sie diese aus der Distanz, auch im Vergleich zu Tschechien, wahr?
Schumacher: Ich verfolge das schon sehr intensiv. Man kann glücklich sein, wie sich die Lage in Deutschland entwickelt, wenn man es mit anderen Ländern vergleicht. Ich finde auch, dass die Regierung eine gute Politik macht, nur mit den typisch deutschen Problemen, dass alles langsam und bürokratisch geht. Es wird über alles erst viel diskutiert, jeder äußert seine Meinung. Das ist grundsätzlich auch super und wichtig in einer Demokratie. Aber in einer solchen Ausnahmesituation würde ich mir noch mehr Eigenverantwortung der Regierung wünschen, dass man ein bisschen energischer vorgeht. Ich denke, dass das die Gesellschaft auch mitgetragen hätte.

Wie sieht derzeit Ihr Alltag in Prag aus?
Schumacher: Meine Tage sind von Montag bis Sonntag eigentlich immer gleich. Ich stehe früh auf und gehe laufen - wenn nicht viel los ist, dann macht es mehr Spaß. Zurück in der Wohnung mache ich Stabilisationsübungen und etwas für die Kraftausdauer. Dann frühstücke ich und mache anschließend drei, vier Stunden etwas für mein Studium. Nach dem Mittagessen lege ich mich dann entweder ein bisschen hin oder lese etwas. Abends gehört die Zeit dann der Familie und Freunden.

Sie sprechen Ihr Studium an, Sie machen ein Fernstudium in Psychologie. Sind Sie in der aktuellen Situation besonders froh, neben dem Fußball etwas zu machen?
Schumacher: Total. Aber das zeigt mir nicht nur die aktuelle Lage. Für mich war immer klar, dass ich so viel wie möglich für meinen Kopf machen will. Fürs Studium habe ich derzeit viel Zeit, das ist sicher ein positiver Punkt. Aber auch für andere Dinge, wie zum Beispiel ein Buch zu lesen, habe ich aktuell mehr Zeit.

Wie ist der Kontakt mit dem Club und den Mannschaftskollegen?
Schumacher: Wir werden vom Verein via WhatsApp über die neuesten Entwicklungen upgedatet. Ansonsten bin ich mit den Jungs aus der Mannschaft, mit denen ich auch sonst viel zu tun habe, im Kontakt, aber alles natürlich virtuell.

Wie ist die Stimmung im Club?
Schumacher: Überraschend positiv. Ich hatte gedacht, dass die Finanzstrukturen bei den tschechischen Clubs schwächer sind als in anderen Ligen. Aber hier hat man bislang noch nichts gehört, dass Vereine finanzielle Probleme hätten. Vom Verein wurden auch verschiedene Aktionen angeschoben. Wir machen zum Beispiel eine Art Rollentausch mit einem Theater. Wir Fußballer müssen schauspielerische Aufgaben lösen, zum Beispiel Pantomime. Im Gegenzug machen die Schauspieler fußballerische Aufgaben. Man will seinen Fans auch aktuell etwas bieten.

Gibt es in Tschechien auch Themen wie einen Gehaltsverzicht der Fußballer?
Schumacher: Hier wurde bisher noch nicht darüber gesprochen. Die Spieler verdienen hier aber auch keine Gehälter wie zum Beispiel in Deutschland. Ich bin aber überzeugt, dass die Spieler, sollte es notwendig werden, bereit wären, ihren Teil beizutragen. Es ist wichtig, dass so ein Traditionsverein wie Bohemians überlebt.

Till Schumacher über die Chancen für den Fußball, Vorfreude auf den Platz und seine aktuelle Situation

In Deutschland wird bereits wieder in Kleingruppen trainiert, vielleicht startet im Mai die Bundesliga wieder. Nimmt sich der Fußball zu wichtig?
Schumacher: Ich sehe das sehr kritisch, wenn man die Bundesliga Mitte Mai wieder anlaufen lassen würde. Um das zu schaffen, müsste man einen großen Aufwand betreiben, zum Beispiel viel testen. Die Tests werden aber an anderer Stelle dringender benötigt. Ein weiterer Punkt ist, dass es auch andere Sportarten und Profiligen gibt. Gibt man dem Fußball wirklich eine solche Sonderstellung? Ich fände das sehr riskant und nicht zu verkaufen. Auch das Argument, dass es eine Belohnung und Abwechslung für die Bevölkerung wäre, finde ich Schwachsinn. Ich bin auch gespannt, wie es in unteren Ligen weitergeht und fände es zum Beispiel super, wenn die dritte Liga aufgestockt und zweigeteilt wird. In diesem Bereich gibt es viele Clubs mit einer großen Fanbasis.

Die aktuelle Krise bietet dem Sport vielleicht auch Möglichkeiten, um sich zu regulieren. Glauben Sie, dass der Fußball diese Chancen erkennt und wahrnimmt?
Schumacher: Ich gehe davon aus, dass der Markt die nächsten zwei, drei Jahre sicherlich runtergefahren wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass kurzfristig solche Summen bezahlt werden wie zuletzt, die Werte werden sinken. Ich gehe aber auch davon aus, dass es in den darauffolgenden Jahren wieder einen Anstieg geben wird. Langfristig, glaube ich, dass der Fußball nichts daraus lernt. Ich würde mir aber sehr wünschen, dass sich etwas verändert, dass nicht mehr die absolute Erfolgsgier im Vordergrund steht, sondern das Menschliche wieder mehr zum Tragen kommt.

Nächste Woche startet bei Ihnen das Training wieder. Mit welchen Gefühlen ist das bei Ihnen verbunden?
Schumacher: Ich freue mich darauf, wieder auf dem Platz zu stehen. Die Zeit ohne Ball ist schon anstrengend. Aber im Vordergrund steht die Gesundheit der Bevölkerung, da könnte ich auch damit leben, wenn es noch zwei, drei Wochen länger dauern würde.

Wie lange wird es dauern, bis die Spieler wieder auf dem Niveau von vor der Pause sind?
Schumacher: Man kann die Situation jetzt schon ein Stück weit mit einer Sommerpause vergleichen, wir haben rund einen Monat nicht mehr gespielt. Nach der Sommerpause, das erste Mal wieder mit einem Ball am Fuß, fühlt es sich bei mir oft so an, als hätte ich die Füße falsch herum eingeränkt (lacht). Deshalb denke ich, dass man sicher zwei, drei Wochen brauchen wird.

Für Sie kam die Coronakrise ohnehin zu einem schlechten Zeitpunkt. Sie hatten sich gerade mit vier Einsätzen über 90 Minuten in der ersten Elf festgespielt und wurden von den Fans zum Spieler des Monats gewählt.
Schumacher: Das stimmt. Die Vorbereitung und diese vier Spiele waren wirklich gut. Klar wäre es schön gewesen, hätten wir weiterspielen können. Aber ich versuche immer das Positive zu sehen. Corona hätte auch früher kommen können, dann hätte es diese vier Spiele vielleicht gar nicht gegeben. So konnte ich, wenn auch nur in einer kurzen Periode, zeigen, was in mir steckt.

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Warum lief es bei Ihnen zuletzt besser?
Schumacher: Ich mag es eigentlich nicht, wenn Fußballer einen Trainer als Begründung nennen (schmunzelt). Aber bei mir hängt es augenscheinlich mit unserem Trainerwechsel zusammen, das war für mich ein großer Unterschied. Ich komme mit Ludek Klusacek gut zurecht. Unter seinem Vorgänger war einfach ein anderer Spielertyp gefragt. Ich habe mit meinen Leistungen den neuen Trainer in seiner Entscheidung bestätigt, eine Win-Win-Situation also.

Ihr Vertrag läuft noch bis 2021, Sie haben aber auch nie einen Hehl daraus gemacht, über Bohemians den nächsten Schritt machen zu wollen. Machen Sie sich Gedanken über Ihre Zukunft?
Schumacher: Klar macht man sich Gedanken. Ich gehe in mein letztes Vertragsjahr, habe zuletzt gute Spiele gemacht und Leistung gebracht. Für mich hat sich aber nichts groß geändert. Grundsätzlich hoffe ich schon darauf, den nächsten Sprung machen zu können. Ich habe keine Angst vor der Zukunft.