Fußballprofi im Interview

Kai Wagner in den USA: "...dann nimmt einen das schon mit"


Kai Wagner spielt seit Januar 2019 für Philadelphia Union.

Kai Wagner spielt seit Januar 2019 für Philadelphia Union.

Die USA und vor allem New York wurden von der Corona-Pandemie hart getroffen. Nicht weit von New York entfernt lebt Kai Wagner (23). Der Fußballprofi steht derzeit bei Philadelphia Union aus der Major League Soccer (MLS) unter Vertrag. Im idowa-Interview spricht er über die Situation vor Ort, einen positiven Fall im Team und den Fußball in den Staaten.

Herr Wagner, wie ist die Lage derzeit bei Ihnen in den USA?
Kai Wagner: Wie jeder weiß, ist die Situation hier inzwischen ziemlich schlimm. Philadelphia wurde hier auch als Krisengebiet eingestuft.

Wie hat sich die Situation in den letzten Wochen entwickelt und verschärft?
Wagner: Während unserer Saisonvorbereitung haben wir uns noch nicht viel dabei gedacht. In Amerika wurde das Virus auch erst falsch eingestuft, es wurde zu locker genommen. Vor knapp zwei Wochen waren es noch rund 2.000 Tote, jetzt sind es knapp 20.000.

Sie haben angesprochen, dass das Virus in den USA zunächst falsch eingestuft worden ist. Wie bewerten Sie das Krisenmanagement der Regierung?
Wagner: Ich sehe das geteilt. Am Anfang habe ich persönlich auch gedacht, dass die Situation nicht solche Ausmaße annehmen kann, jetzt hat jeder ein anderes Auge darauf. In meinen Augen wurde aber zu locker damit umgegangen. Donald Trump hat zu spät reagiert, hat zu Beginn alles nur gut geredet, was nicht mehr gut war. So wurde behauptet, die USA besitze die beste medizinische Abteilung und könne am besten einen Impfstoff herstellen. Das glaube ich nicht. Jetzt merkt die Regierung auch, dass es schlimmer ist. Von einem auf den anderen Tag wurden die Schulen und Restaurants geschlossen.

Welche Regeln gelten bei Ihnen vor Ort?
Wagner: Mittlerweile haben hier nur noch die Supermärkte offen, auch dort gibt es aber eine Handschuh- und Maskenpflicht. Eine komplette Ausgangsbeschränkung gibt es derzeit noch nicht. Aber das klare Motto ist auch hier: Stay at home. Wir dürfen noch draußen unterwegs sein und zum Beispiel unsere Läufe fürs Training absolvieren, uns aber nur noch im Kreise der Familie bewegen.

Kai Wagner über Produktmangel, die Lage in New York und seinen Alltag

Wenn Sie Philadelphia vergleichen, wie Sie es vorher kannten und wie die Situation jetzt ist: Erkennen Sie die Stadt wieder?
Wagner: Ich selbst wohne 30 Kilometer außerhalb. Aber was ich von Leuten aus der Stadt höre, gibt es dort quasi gar kein öffentliches Leben mehr, die Leute laufen nur noch mit Masken herum. Es dürfen auch nicht viele Leute gleichzeitig in die Supermärkte, es herrscht zum Teil Produktmangel.

Welche Dinge fehlen in Amerika?
Wagner: Wie an vielen anderen Orten auch Desinfektionsmittel, Handschuhe und Masken. Auch Toilettenpapier oder Nudeln gibt es hier nur noch in Maßen. Auch hier gab es anfangs Hamsterkäufe, die inzwischen eingeschränkt wurden. Die Lage hat sich ein bisschen beruhigt, man merkt aber immer noch, dass sie angespannt ist. Auch bei uns, etwas außerhalb, sind die Regale ziemlich leer und du musst früh dran sein, um bestimmte Produkte zu bekommen.

Ist die aktuelle Situation für den freiheitsliebenden Amerikaner besonders schlimm?
Wagner: Es ist schon schlimm für die Leute hier. Aber nicht nur für die Amerikaner, sondern für alle Menschen auf der Welt. Auch durch die Schwere der Situation trifft es die Menschen nochmal härter. Das ist das Worst-Case-Szenario und hätte so vor ein paar Wochen niemand für möglich gehalten.

In New York ist die Lage besonders schlimm, Sie leben nicht weit davon entfernt. Wie nehmen Sie das dadurch wahr?
Wagner: Jeder auf der Welt weiß, wie es in New York derzeit aussieht, man sieht wie viele dort aktuell sterben. Wenn man weiß, dass man selbst nah dran ist, nimmt einen das schon mit. Aber man muss immer versuchen positiv bleiben und positiv nach vorne schauen.

Wie gehen Sie persönlich damit um?
Wagner: Meine Frau und ich halten nochmal mehr Vorschriften ein, weil wir einen fünf Wochen alten Sohn haben. Anfangs ging man davon aus, dass Kinder das Virus nicht bekommen können, da sind die Einschätzungen inzwischen aber andere. Deshalb passen wir besonders auf.

Wie gehen Sie mental damit um, wie schaffen Sie es, trotz der Situation positiv zu bleiben?
Wagner: Ich nehme für mich das Positive raus. Ich kann aktuell viel Zeit mit meinem Sohn verbringen und sehe, wie er aufwächst.

Und wie sieht Ihr Alltag aus?
Wagner: Ich gehe jeden Morgen mit dem Kleinen joggen, laufe eine lockere Sieben-Kilometer-Runde und mache dann Streching. Vom Verein bekommen wir auch eine Einheit vorgegeben, die ich dann mittags mache. Abends steht dann oft noch eine kleine Krafteinheit an. Der Plan kann - je nach Launen des Kleinen - aber auch ein bisschen variieren.

Kai Wagner über einen positiven Fall im Team und die Auswirkungen von Corona auf den US-Sport

Sie hatten auch im Team einen positiven Fall. Wie ging der Club damit um?
Wagner: Wir waren schon knapp drei Wochen zu Hause, als er positiv getestet wurde, deshalb hatte es auf uns direkt keine Auswirkungen. Da ich mich mit ihm sehr gut verstehe, hatte ich aber sehr intensiven Kontakt. Er hat mir geschildert, wie er vier Tage lang im Bett lag und sich keinen Meter bewegen konnte. Da sieht man, was das Virus selbst bei einem fitten Sportler für ein Ausmaß annehmen kann. Jetzt sind wir alle glücklich, dass er wieder gesund ist.

Wie ist der Kontakt innerhalb der Mannschaft und des Clubs?
Wagner: Als Spieler hat man immer seine fünf, sechs Spieler, mit denen man täglich in Kontakt steht, schreibt oder auch mal an der Playstation zockt. Einmal wöchentlich haben wir als Mannschaft ein Videomeeting, dazu kommen einzelne Video-Sessions mit dem Trainer, in denen man bespricht, wie man sein eigenes Spiel verbessern kann.

Laut transfermarkt.de sind Sie derzeit verletzt, ist das richtig?
Wagner: Nicht mehr, das kann man eigentlich streichen. Ich hatte mich gleich in der ersten Woche des Trainingslagers verletzt und habe auch die ersten beiden Saisonspiele verpasst. Die Verletzung wurde zunächst nicht richtig eingeschätzt, deshalb wurde ich länger ausgebremst.

Welche Verletzung hatten Sie?
Wagner: Einen Bruch am Wadenbeinknochen. Zunächst haben die Ärzte gedacht, es sei nur eine starke Prellung, ein deutscher Arzt hat dann den Bruch erkannt. Dadurch hat sich die Verletzung rund acht Wochen hingezogen. Inzwischen bin ich aber wieder bei 95 Prozent, nur das Teamtraining geht noch ab.

Derzeit ruht der Ball ohnehin. Wie glauben Sie, dass es weitergeht?
Wagner: Die Liga diskutiert verschiedene Themen. Es sind erst zwei Spieltage gespielt. Klar ist aber auch, dass wir nach der Krise nicht binnen einer Woche von null auf hundert starten können, da wäre das Verletzungsrisiko zu hoch. Es wird derzeit auch darüber beratschlagt, ob die Saison überhaupt zu Ende gespielt werden kann.

Welche Auswirkungen befürchten Sie insgesamt für den US-Sport?
Wagner: Für den US-Sport ist das natürlich eine Katastrophe. Die Zuschauer sind hier sehr wichtig, die TV-Gelder sind nicht so hoch. Hier will auch niemand Geisterspiele. Es wird sogar darüber geredet, ob man dieses Jahr überhaupt noch spielen kann. Sollten gar keine Spiele mehr stattfinden, wäre es für uns Sportler natürlich eine schwierige Situation.

In den Staaten sind die Clubs besitzergeführt. Kann die finanzielle Situation dadurch etwas abgefedert werden?
Wagner: Jeder weiß, dass es in Amerika eine gekaufte Liga ist, es geht nur um Geld und jeder will seinen Club vermarkten und höher bringen. Bislang ist dadurch, anders als in Europa, auch noch nicht die Rede von Gehaltskürzungen.

Wäre die Mannschaft denn zu Solidarität bereit?
Wagner: Im Club wurde beschlossen, dass die Leute, die normalerweise rund um die Spiele arbeiten würden, weiter ihr Geld bekommen. Dafür zahlt unser Besitzer in einen Topf ein. Wir Spieler würden da auch nicht nein sagen, zu helfen, denn ohne diese Leute geht es nicht. Bislang sind wir aber nicht gefragt worden.

Kai Wagner über seine Zeit in den USA und den Wunsch, daheim zu sein

Weg von Corona, blicken wir auf Ihren Werdegang. Wie war Ihr Weg von Deutschland in die USA?
Wagner: Die MLS ist für die meisten Fußballer in Europa vermutlich nicht die erste Wahl. Bei mir war die Situation so, dass ich eineinhalb sehr gute Jahre in Würzburg hatte und für mich klar war, dass ich den Schritt in die 2. oder 1. Bundesliga gehen will. Mein Vertrag wäre ausgelaufen und es gab auch Angebote. Dann gab es jedoch einen Disput mit Würzburg, die meinen Vertrag verlängern wollten. Sie wollten mich letztlich ein halbes Jahr auf die Bank setzen. Dann hat mein Berater den Kontakt zu Ernst Tanner hergestellt, der in Philadelphia Sportdirektor ist. Erst war ein anderer MLS-Verein im Gespräch. Aber für mich war klar: Wenn ich in die USA wechlse, dann muss es sich auch finanziell und für meine Familie lohnen. In Philadelphia wurde mir letztlich ein guter Weg und ein Plan aufgezeigt.

Sie sind nun etwas über ein Jahr in den USA. Wie haben Sie in dieser Zeit das Land und die Liga wahrgenommen?
Wagner: Sehr positiv. Ich hatte davor noch nicht viel von der MLS gehört. Aber jeder hat mitbekommen, dass selbst ein Spieler wie Bastian Schweinsteiger letzte Saison hier gespielt hat. Ich hatte dann auch mit ihm und mit Julian Gressel, der beim D.C. United spielt, Kontakt. Dadurch habe ich die Liga schnell immer positiver kennengelernt. Es ist eine Mentalitätsliga, wo nicht so viel über die Taktik kommt. Die Leute an der Spitze des Vereins haben mehr zu entscheiden als die Trainer.

Für Sie persönlich lief es gut, Sie haben 30 Einsätze in Ihrem ersten Jahr zu verbuchen.
Wagner: Das stimmt. Als ich herkam, in meinen ersten Spielen, dachte ich noch: Wo bin ich denn hier gelandet? Aber jetzt nach einem Jahr würde ich sagen, dass die MLS vom Niveau zwischen der 2. und der unteren 1. Liga in Deutschland liegt. Meine erste Saison hätte ich mir auch nicht besser ausmalen können. Ich war von Anfang an gesetzt, habe 30 Spiele gemacht, dabei 11 Vorlagen gegeben. Die Spielidee wurde auch auf meine Spielweise ausgelegt und ich konnte mich frei ausleben. Der Verein zahlt mir viel wieder zurück.

Planen Sie, länger in den USA zu bleiben, oder zieht es Sie in absehbarer Zeit wieder zurück nach Europa?
Wagner: Sag niemals nie. Ich kann mir schon vorstellen, länger in Amerika zu leben, wenn die Konditionen passen und der Verein mir einen richtigen Weg aufzeigt. Meiner Familie gefällt es hier auch. Aber grundsätzlich ist der Gedanke schon, dass ich gerne wieder nach Europa, näher an die Heimat und die Familie möchte.

Wären Sie aktuell gerne daheim?
Wagner: Schon, klar. Zumal man hier aktuell nichts machen kann. Von der Liga gab es aber einen Beschluss, dass wir das Land nicht verlassen dürfen. Das Wichtigste ist, dass es in der Familie allen gut geht und sie gesund sind.

Wie ist Ihr Kontakt derzeit in die Heimat?
Wagner: Ich habe tagtäglich Kontakt mit meinen Eltern und Freunden. Der Kontakt ist noch mehr als sonst, auch wenn er ohnehin sehr eng ist, ich bin ein sehr familiärer Mensch. Auch die Urlaube der Familie, um uns zu besuchen, waren schon geplant. Jetzt können sie leider nicht kommen, um den Kleinen kennenzulernen.