Fußball-EM

Die Tops und Flops des Turniers


Das dänische Team war bei der Fußball-EM eine der positiven Überraschungen.

Das dänische Team war bei der Fußball-EM eine der positiven Überraschungen.

Von sid

Die Fußball-Europameisterschaft neigt sich dem Ende zu. Das Turnier hatte viele schöne Höhepunkte, aber auch einige Schattenseiten. Hier sind die Tops und Flops der EM.

TOPS

ATEMBERAUBENDE AZZURRI: Vom schwer gescholtenen WM-Touristen in nur drei Jahren zur spielerisch besten Mannschaft der EM - die Squadra Azzurra hat sich im Rekordtempo neu erfunden. Catenaccio war einmal, bei Italien ist nun Spektakel angesagt. Der Verjüngungsprozess trug Früchte, plötzlich zelebrierten die einstigen Defensivfanatiker herzerfrischenden Offensivfußball. Da die Abwehr dank der letzten beiden verbliebenen Routiniers Leonardo Bonucci und Giorgio Chiellini dennoch stabil stand, reihte sich eine Galavorstellung an die andere. Nur England steht jetzt noch im Weg.

DANISH DYNAMITE: Dänemark ist der Europameister der Herzen. Ganz Fußball-Europa bangte mit ihnen um Christian Eriksen. Es waren bange Minuten beim Kampf um Leben und Tod, ehe die erlösende Entwarnung kam. Und was das restliche dänische Team "für Christian" geleistet hat, war aller Ehren wert. Erst der Sichtschutz während der Behandlungsmaßnahmen auf dem Feld, dann der wunderbar offene Umgang mit den eigenen Emotionen und zu guter Letzt ein sportlich kaum für möglich gehaltener Siegeszug. Viel fehlte nicht zum fast schon zu kitschigen Happy End, ein äußerst fragwürdiger Elfmeter im Halbfinale beendete das dänische EM-Märchen.

KING KANE: Harry Kane stand exemplarisch für die Entwicklung der Engländer bei dieser EM. In der Gruppenphase tauchte der Anführer ab, wurde in der heimischen Presse schwer gescholten. Doch die Three Lions mogelten sich trotzdem mit pragmatischem Ergebnisfußball in die K.o.-Runde - und legten dort mit einem verwandelten Kane richtig los. Denn fortan marschierte der im Stile eines wahren Kapitäns vorweg. Mit dem entscheidenden 2:0 im Achtelfinale gegen Deutschland, einem Doppelpack im Viertelfinale gegen die Ukraine sowie dem Siegtreffer in der Vorschlussrunde gegen Dänemark ebnete er den Weg ins Finale.

BRILLANTER BRYCH: Sein wohl letztes Turnier war auch sein bestes. Als "großartigen Referee" pries ihn die englische Fußball-Ikone Gary Lineker. Der Münchner rehabilitierte sich eindrucksvoll für die WM 2018, wo er nach nur einem Vorrundenspiel vom Weltverband FIFA aus dem Turnier genommen worden war. Umsichtige Spielleitung, kaum Fehler - diesmal wusste Brych von Beginn an zu überzeugen. Als Belohnung erhielt er nach zwei Vorrundenpartien noch drei weitere Einsätze in der K.o.-Runde, das Halbfinale zwischen Italien und Spanien war sein Karriere-Höhepunkt.

AUFMÜPFIGE AUSSENSEITER: Es gibt keine Kleinen mehr im Fußball - diese in den vergangenen Jahren fast schon mantrahaft verwendete Floskel bewahrheitete sich bei dieser EM. Außenseiter wie Tschechien, die Schweiz, Österreich oder Ungarn stürzten große Favoriten oder brachten sie zumindest an den Rande einer Niederlage. Exakt die Hälfte der bislang 14 K.o.-Spiele stand nach 90 Minuten unentschieden. Vier davon wurden in der Verlängerung entschieden, bei drei ging es in den Showdown Elfmeterschießen. Schon in der Gruppenphase endeten 21 der 36 Begegnungen mit maximal einem Tor Unterschied. Die Ausgeglichenheit bei der Europameisterschaft war bemerkenswert.

FLOPS

LAHMER LÖW: Es sollte der krönende Abschluss seiner 15-jährigen Ära als Bundestrainer werden - doch es wurde das nächste Trauerspiel. Löw konnte auch bei seinem letzten Turnier den Abwärtstrend der vergangenen Jahre nicht stoppen. Im von ihm vorgegebenen System fühlte sich die deutsche Mannschaft sichtlich unwohl. Nach vorne fehlte bis auf das Portugal-Spiel die Durchschlagskraft, hinten mangelte es trotz der vermeintlich defensiveren Ausrichtung mit Dreierkette an Stabilität. Nach Rückschlägen fanden Löw und sein Team keine Antworten.

SUPERSPREADER: Grölende Fans dicht an dicht auf den Tribünen, feiernde Party-People in der Stadt, proppenvolle öffentliche Verkehrsmittel auf dem Weg zum Stadion - das Coronavirus wird sich sehr über die EM gefreut haben. Da sich vielerorts niemand um die seit Pandemiebeginn eigentlich selbstverständlichen Regeln scherte, dürfte die EM auch als Superspreader-Event in Erinnerung bleiben. Erste Ansteckungswellen sind jedenfalls schon bekannt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) konstatierte getrieben von "Reisen, Zusammenkünften und Lockerungen der sozialen Beschränkungen" erstmals seit Monaten wieder steigende Infektionszahlen in Europa.

UNBELEHRBARE UEFA: Bei der Europäischen Fußball-Union (UEFA) fehlte jegliches Gespür für die aktuelle Lage, in nahezu allen Belangen gab der Dachverband während des Turniers ein ganz schwaches Bild ab. In der Coronafrage wälzte die UEFA jegliche Verantwortung auf die lokalen Behörden ab. Deren leichtsinnige und teils gar gesundheitsgefährdende Regelungen trug sie still und leise mit. Das Verbot zur Beleuchtung der Münchner EM-Arena in Regenbogenfarben war ein gewaltiges Eigentor, die auffallende Klüngelei mit autoritären Regimen alles andere als vorbildlich. Auch das Verhalten im Drama um Christian Eriksen war zumindest fragwürdig.

MON DIEU MBAPPE: Bei der Frage nach dem Star der EM gab es vor Turnierstart quasi nur eine Antwort: Kylian Mbappe. Der 22-Jährige war auch tatsächlich Protagonist einer Heldengeschichte - allerdings mit ihm als tragischem Helden. Seine tor- und trostlosen Auftritte standen sinnbildlich für die Leistungen des Weltmeisterteams aus Frankreich. Schon in der Gruppenphase fehlte Mbappe der Spielwitz, mit seinen Tempodribblings entwickelte er längst nicht die Durchschlagskraft wie üblich. Es passte ins Bild, dass ausgerechnet der Superstar den entscheidenden Elfmeter im Achtelfinale gegen die Schweiz verschoss.

ERSCHRECKENDE EIGENTORFLUT: Eine Slapstick-Einlage jagte bei der EM die nächste. Die Liste der Pechvögel ist lang und beinhaltet durchaus prominente Namen. Ob Mats Hummels, Dänemarks Abwehrchef Simon Kjaer, Spaniens Juwel Pedri oder Portugals Starverteidiger Ruben Dias - sie alle trafen bei der EM ins eigene Netz. Schon vor dem Finale unterliefen den Spielern elf Eigentore. Damit fielen allein in diesem Jahr mehr als bei allen vorherigen Europameisterschaften zusammen (9). Der Slowakei und Portugal unterliefen gar je zwei Eigentore in einem Spiel.