Freising/Attaching

Seehofer hält dritte Startbahn „derzeit“ für nicht nötig


Seehofer hält dritte Startbahn "derzeit" für nicht nötig.

Seehofer hält dritte Startbahn "derzeit" für nicht nötig.

In drei bis vier Wochen will Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer entscheiden, ob die dritte Startbahn am Flughafen München gebaut werden soll oder nicht. Baurecht ist vorhanden, eine Notwendigkeit, dass die Startbahn gebaut werden muss, sieht er derzeit aber nicht. Und alleine könne er den Beschluss zum Bau oder zur Ablehnung auch nicht fällen.

Als der Besuch des Ministerpräsidenten am Donnerstag gegen 16.30 Uhr offiziell zu Ende ging, da herrschte Hoffnung in der Sportgaststätte in Attaching. In einem inoffiziellen Gespräch mit Dr. Christian Magerl, Dr. Reinhard Kendlbacher sowie unserem Mitarbeiter versicherte Horst Seehofer einmal mehr, dass er "derzeit" eine große Lücke in den Flugbewegungen sehe, die eine dritte Startbahn nicht rechtfertige. Und dieses "Delta", so Magerl und Kendlbacher unisono, könne die Flughafengesellschaft nicht füllen. Hartmut Binners (AufgeMUCkt) Ausspruch teilten die beiden Startbahngegner vollauf: "Meine großen Hoffnungen haben sich weiter vervielfältigt." Und Magerl scherzte Richtung Ministerpräsident: "Vielleicht können wir doch noch koalieren."

Vorher hatten nach Angaben der Polizei rund 2000 Menschen aller Altersgruppen den Ministerpräsidenten vor der Attachinger Sportgaststätte empfangen. Es wurde zwar geschossen - aber nur die Attachinger Böllerschützen betätigten weit entfernt den Abzugshahn und feuerten ungewollt in die Rede des Freisinger Landrats hinein. Der betonte, dass Stadt und Landkreis Freising keine Flughafengegner seien. Josef Hauner bat Seehofer aber, es der Ortschaft Attaching zu ermöglichen, "dass die Familien hier Zukunft haben". Eine weitere seiner Bitten war, zu verhindern, "dass die funktionierende Ortsgemeinschaft in Attaching gespalten und zerschlagen wird". Freisings OB Tobias Eschenbacher bedankte sich unter Applaus für die "wirklich ergebnisoffenen" Gespräche und bat, die Sorgen der Bürger ernstzunehmen. Es gehe um viel, mahnte Eschenbacher, es sei eine ganze Region betroffen.

Seehofer betonte seinerseits vor den zahlreichen Startbahngegnern, die ihn vor der Sportgaststätte empfangen hatten, dass der Dialog objektiv, ergebnisoffen und nicht von Lobbyisten unterwandert geführt werde. Der Ministerpräsident hatte auch Verständnis für den Wunsch der Startbahngegner von AufgeMUCkt, Stupid Plain, aus Dachau, Röhrmoos, Berglern und anderen Orten, er möge sagen: "So ist es!" und damit die Pläne der Flughafenbetreiber abschmettern. Das aber sei "keine ehrliche Politik" und er brauche zu einem solchen Entscheid außerdem auch die eigene Regierung und den Landtag. Ganz stark aber wirke sich aus, "was ich heute wieder erlebt habe: Es geht um Ihr Zuhause." Applaus brauste auf, als Seehofer verkündete, dass sich aus der Zahl der Flugbewegungen "augenblicklich" die "Notwendigkeit (für eine dritte Startbahn, Anm.) nicht ergibt". Er bat um drei bis vier Wochen Zeit, in der er sich entscheiden wolle, und versprach 2015 Klarheit für alle Beteiligten zu schaffen.

Dann war Zeit für Beiträge aus dem Publikum vor der Sportgaststätte. Hier wurde vor allem die Zerstörung der Heimat, der Naherholungsgebiete und Sportanlagen beklagt. Richard Birk aus Freising erinnerte Seehofer in mahnenden Worten, dass der Ministerpräsident "ganz alleine dafür verantwortlich" sei, ob die dritte Startbahn gebaut werde, und dass tausende Menschen davon betroffen seien.

Zum Runden Tisch in der Sportgaststätte waren nur ausgesuchte Redner zugelassen, 17 Hauptbetroffene, dazu eine begrenzte Zahl an Zuhören. Dabei rechnete etwa eine Mutter aus Lerchenfeld Seehofer vor, dass die Erhöhung des erwarteten äquivalenten Dauerschallpegels von 50 Dezibel auf knapp 55 Dezibel an ihrer Wohnung während des Tages eine Lärmverdoppelung bedeute. Agnes Stimmelmayer aus Eittingermoos erklärte, dass das 200-Seelen-Dorf nur noch wenige Hundert Meter vom Flughafenzaun entfernt sein werde, wenn die dritte Startbahn komme, dass bei einem permanenten Bodenlärm von 62 Dezibel und dem entstehenden "Dreck" absolut keine Lebensqualität mehr zu erreichen sei. "Das Dorf zerfällt", mahnte die Rednerin und stellte die Zukunft für die Kinder infrage. "Zwei Bahnen halten wir aus", räumte Marianne Träger aus dem Moos ein, "aber eine dritte funktioniert nicht mehr!" Einen beeindruckenden Redebeitrag hielt der evangelische Dekan Jochen Hauer, der auch für seine katholischen Kollegen in der Region sprach. Er fragte: "Wie viel Flughafen verträgt diese Region überhaupt noch?" Und dies sei keine wirtschaftliche Frage, sondern eine "ethische". Hier sei das Kriterium anzulegen: "Dürfen wir alles, was wir können?" "Die Menschen hier haben ihr Opfer bereits erbracht", erinnerte Hauer den Ministerpräsidenten nachdrücklich, und zwar "auf Dauer".

Sehr emotional wurde es, als Monika Riesch aus Attaching dem Ministerpräsidenten unter Tränen schilderte, dass sie und ihr Mann ihre Heimat nicht ihren Kindern weitergeben könnten. Sie trauten sich wegen der geplanten Startbahn nicht zu bauen. Auch bei Cilly Brucker (Attaching) flossen Tränen. Sie hatte Angst, "alleine zurückbleiben (zu) müssen", weil ihre Geschwister wegziehen. "Ich kann nicht weg", sie habe in Attaching ihre Heimat, das Grab ihres Mannes. So müsse sie die zu erwartenden 69,7 Dezibel wohl in Kauf nehmen. Der "Kramer" aus dem Eittingermoos beklagte den Verlust der Menschlichkeit im Dorf, es werde mit der dritten Startbahn auseinanderfallen, sein 123 Jahre alter Laden geschlossen werden. Margit Deuter wohnt im Absiedelungsgebiet, aber "mia woin ned weg!" Ohne die dritte Bahn werde Bayern nicht sterben, hielt ein anderer Redner dem Ministerpräsidenten vor und versicherte: "I bleib do, do bin i dahoam", auch wenn Seehofer "selbst gesehen (habe), dass ma do ned lem ko". Und er riet: "Heans auf d' Leid!"

Man sah einen nachdenklichen Ministerpräsidenten, der konzentriert den Ausführungen folgte, gelegentlich sein bekanntes Lachen hören ließ und auch mal einen Spaß einstreute. Die Flugbewegungen lägen ja "deutlich unter dem, was wir schon hatten", meinte er. Mit zwei Bahnen seien über 400 000 Starts und Landungen abgewickelt worden, jetzt liege man deutlich darunter. Mit den Zahlen von heute sei die "absolute Notwendigkeit der Bahn nicht zu begründen". Er werde aber auch noch mit Lufthansa und FMG sprechen, "da muss mehr geliefert werden, als wir jetzt haben". Gebaut werde "nur, wenn's wirklich triftige Gründe gibt".

Seehofer hält dritte Startbahn "derzeit" für nicht nötig.

Seehofer hält dritte Startbahn "derzeit" für nicht nötig.