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Kommentar: Warum GNTM mehr als Topmodel kann


Heidi Klums Castingshow "Germany's Next Topmodel" gibt es seit 2006.

Heidi Klums Castingshow "Germany's Next Topmodel" gibt es seit 2006.

Von Laura Schindler

Laura Schindler (23) aus Wang im Landkreis Freising hat bisher fast jede Staffel von "Germany's Next Topmodel"verfolgt. Nur eins nervt sie Jahr für Jahr: Anti-GNTM-Artikel. Mit diesen rechnet die Freischreiben-Autorin ab.

Es langweilt mich. Jedes Jahr pünktlich zum Serienbeginn von "Germany's Next Topmodel", erscheinen dieselben Artikel in meinem Newsfeed. Und jedes Jahr dieselbe Leier: Klum ist eine Hexe, die Juroren ihre Marionetten, die Mädchen Puppen ohne Charakter. Die Show wird als sexistisch dargestellt und vermittelt in den Augen der Autoren von Spiegel, Süddeutsche und Co. nur schlechte, altmodische Werte. Einspruch!

Die Anti-GNTM-Artikel sind total sinnlos

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Laura Schindler schaut selbst regelmäßig GNTM.

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Die 19-jährige Toni Dreher hat GNTM im vergangenen Jahr gewonnen. Neben ihren Modeljobs unterstützt sie wohltätige Projekte.

Was mich an den Anti-GNTM-Artikeln so stört? Sie bewirken rein gar nichts! Mit diesen vermeintlich gut gemeinten Artikeln, die arme unschuldige Mädchen davor beschützen sollen, von GNTM verdorben zu werden, verhält es sich wie mit Artikeln gegen die AfD: Man redet gegen eine Wand, denn das klassische GNTM-Klientel - zwölf bis 35-jährige Mädchen und Frauen sowie vereinzelt auch Jungs und Männer - wird so einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung wohl kaum lesen und falls doch, sich deshalb nicht davon abbringen lassen, ihre Lieblingssendung weiterhin anzusehen. 2,64 Millionen Zuschauer hatte das Finale von "Germany's Next Topmodel" im Mai 2018. Das macht einen Marktanteil von 10,1 Prozent - ein Rekord für ProSieben. Jedes Jahr schafft es die eiskalte, nie alternde Macho-Heidi aufs Neue zu punkten und mit ihrem "Hühnerstall" zu unterhalten.

Und die Siegerinnen sowie Heidis Ex-"Meeedchen" fallen danach nicht automatisch in die unbedeutende Normalität zurück. Viele von ihnen nutzen die Show geschickt als Sprungbrett ihrer Karriere, bauen sich durch die Bekanntheit aus der Fernsehsendung auf Social Media enorme Reichweiten auf, von denen Süddeutsche und Co. nur träumen können. Als Alphatiere gelten Lena Gercke sowie Stefanie Giesinger. Letztere lächelt regelmäßig von den Covern namhafter Modemagazine wie Joy, InStyle oder der Cosmopolitan. Und bei weitem nicht alle nutzen ihre Reichweite auf Instagram für Beauty, Lifestyle und Mode. Anna Wilken beispielsweise widmet sich ihrer Krankheit Endometriose, klärt auf ihrem Kanal auf und nimmt Betroffenen die Hemmungen, offen darüber zu sprechen. Wieso also wird immer wieder auf diese Sendung eingedroschen und ihre Zuschauer verurteilt?

Nur die Leistung zählt - wie in unserem Alltag

"Mehr als 135 000 junge Frauen haben sich in den vergangenen neun Jahren bei ‚Germany's Next Topmodel' beworben. Die Kandidatinnen sind nicht die Gewinner der Show. Sie sind der Rohstoff mit dem Fernsehen, Werber und Heidi Klum Millionen verdienen", schrieb die ZEIT in dem Artikel "Die Topmodelmaschine". Selbstverständlich lebt die Sendung von Werbung und Produkten. Wovon sonst sollen die Flüge und Villen der Mädchen bezahlt werden? Die Kandidatinnen melden sich freiwillig bei der Show an mit gutem Wissen darüber, dass GNTM von Opel gesponsert wird. Würde sie es stören, sich mit Venus Gilette zu rasieren oder Tee von Meßmer zu trinken, würden sie wohl kaum bei der Show mitmachen.

"Worauf es hier wirklich ankommt, ist nicht Persönlichkeit, Individualität, Charakter. Sondern Leistung", las ich in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom Finalabend 2018. Moment. Irgendwie kommt mir das bekannt vor. Es erinnert mich an mein eigenes Leben, ohne dass ich jemals an GNTM teilgenommen habe. Von der ersten Klasse an werden wir in Deutschland zu Leistungstieren erzogen. Note eins ist ein Musterkind, Note sechs eine Katastrophe. Werden Persönlichkeit, Individualität oder Charakter in der Schule benotet? Allenfalls in den nett gemeinten ersten drei Sätzen des Jahreszeugnisses. Wären Persönlichkeit und Charakter wichtiger, ginge es in unserer karriere- und konsumgeilen Gesellschaft mit Sicherheit um einiges fairer zu.

Die Sache mit dem Schönheitswahn

"Eine große Mehrheit in Deutschland ist der Ansicht, die ProSieben-Castingshow ‚Germany's Next Topmodel' vermittle ein falsches Schönheitsideal. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage hervor, die das Meinungsforschungsinstitut YouGov veröffentlichte", meldet die Deutsche Presse-Agentur.

Es stimmt: Die meisten Teilnehmerinnen sind schlank, haben die perfekten Maße und ein bildhübsches Gesicht. Und auch wenn in jeder Folge die Worte "Personality", "ein ganz besonderer Charakter" oder "edgy" fallen, geht es hauptsächlich um das Aussehen der Mädchen. Danach und wie sie dieses einsetzen, werden sie bewertet.

Die Castingshow verdeutliche: "Nur diejenige, die dem Schönheitsideal entspricht, wird von der Gesellschaft als ‚schön' empfunden", schreibt Svenja Preisler in ihrer Bachelorarbeit zum Schönheitsideal der Frau in den Medien aus dem Jahr 2010. Nach neun Jahren sind diese Worte aktueller denn je. Soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram verstärken diesen Schlank- und Schönheitswahn enorm. Ich höre einige meiner Freundinnen oft sagen: "Wenn ich mir 30 Minuten lang Bilder in Instagram ansehe, fühle ich mich danach total dick und hässlich", selbst wenn sie selbst wunderschöne Mädchen sind. Längst nicht jede steht selbstbewusst vor dem Spiegel und akzeptiert ihr Äußeres so, wie es ist. Wir leben mittlerweile in einer Gesellschaft, in der man sich für 100 Euro falsche Wimpern und Nägel kaufen und für ein bisschen mehr die Nase oder Brüste operieren lassen kann. Eine Gesellschaft, in der Filter und Photoshop auf einmal jeden Mensch "schön" machen und die Fitness-Industrie boomt wie nie zuvor. Welche Auswirkungen kann es da noch für junge Frauen haben, wenn sie die Kandidatinnen bei "Germany's Next Topmodel" im Fernsehen sehen und sich selbst mit ihnen vergleichen?

Die Sendung entwickelt sich weiter

Außerdem hat sich GNTM in den vergangenen Jahren weiterentwickelt. So nahmen in den letzten Staffeln vermehrt außergewöhnliche Charaktere wie Melina, Giuliana oder Tatjana (Transgender Models) sowie Pia und Sarah (Curvy Models) teil. Dennoch peitscht Heidi ihre Mädchen aus wie Tiere und selektiert eiskalt. Mit einem Fingerschnips lässt sie die Träume der Kandidatinnen zerplatzen. Ich möchte mit meinem Text weder eine Lobeshymne auf GNTM singen, noch Heidi Klum verteidigen. Natürlich ist die Show oberflächlich. Sie ist eiskalt und wertend wie unser alltägliches Leben. Sie hätte jedoch Potenzial, wenn sie jungen Mädchen das vermitteln würde: Ihr alle, jede einzelne von euch, ist wunderschön, und zwar auf ihre ganz eigene Art und Weise.