Freischreiben

Kurzgeschichte: Was wünschst du dir?


Bei einem Spaziergang im Park kann man seinen Gedanken freien Lauf lassen.

Bei einem Spaziergang im Park kann man seinen Gedanken freien Lauf lassen.

Von Lena Leitermann

Unsere Freischreiben-Autorin Lena Leitermann hat eine Kurzgeschichte über Wünsche geschrieben und schildert einige Begegnungen:

Romeo und Julia wünschten sich ein gemeinsames Leben, konnten sich aber nicht gegen die Traditionen und Werte der damaligen Gesellschaft stellen. Die Konventionen erdrückten sie zu der Zeit, die einzige Lösung: der Freitod. Zermürbt schlage ich die Lektüre zu. Wenigstens ist das Buch nun zu Ende gelesen und kann im Buchschrank verstauben.

Wunsch nach mehr Gleichberechtigung

Ich packe meine Sachen, mache mich auf den Weg nach Hause und lasse die wohlige Wärme der Sonne auf der Bank zurück. Während ich vor mich hin schlendere, versinke ich in Gedanken, welcher innigste Wunsch sich in meinem Herzen verborgen hält. Während ich suche, kommt mir ein Paar entgegen. Der Frau ist im Gesicht sichtlich errötet. Anscheinend hat der Mann etwas Falsches gesagt, denn nun bricht sie aus. "Warum soll ich mich immer um die Kinder und den Haushalt kümmern? Ich habe genauso meine Arbeit wie du, wieso bleibt es immer an mir hängen, während du deine Freizeit in vollen Zügen genießt? Ich wünsche mir einfach, dass du auch mal mit anpackst!" Bevor ich die Reaktion ihres Gegenübers hören kann, bin ich auch schon vorbei.

Ich kann ja nicht einfach folgen und dem Gespräch lauschen, es geht mich nichts an. Nichtsdestotrotz bleibt mir ihr Wunsch nach mehr Gleichberechtigung im Privatleben im Gedächtnis. Während ich die Hälfte meiner Strecke nach Hause hinter mich gebracht habe, sehe ich einen alten Mann auf einer sommerlich grünen Bank sitzen. "Ach, Sie sind jung. Hätte ich doch meine Jugend zurück, ich würde so vieles ändern wollen." Er seufzt sehnsuchtsvoll und schaut in die Ferne. Angetan von seinem Schmerz frage ich nach. "Warum? Sie können ja jetzt noch leben. Wer immer in der Vergangenheit lebt, kann die Gegenwart und Zukunft nicht richtig nutzen. Trauern Sie ihrer Vergangenheit nicht nach, lernen Sie aus ihr und leben jetzt. Irgendwann muss man ja mal anfangen."

Nach einer kurzen Denkpause antwortet er auf meine direkte Ausführung. "Was soll ich sagen, Sie haben recht. Ich sollte die Zeit im Hier und Jetzt nutzen, die ist auch viel zu schnell vorbei. Vielen Dank, irgendwie haben Sie mir die Augen geöffnet."

Jeder wünscht sich etwas, doch nur ich wünsche mir nichts

Ich setze meinen Weg fort. Die zwei Begegnungen haben mein Herz berührt. Doch stellt sich mir schlussendlich die Frage, was ich mir eigentlich wünsche. Jeder wünscht sich etwas, doch nur ich wünsche mir nichts. Meine Gedankengänge werden durch eine ältere Frau durchbrochen, die seelenruhig mitten auf einer Wiese sitzt. Ihre Beine sind gekreuzt, ihre Augen geschlossen und die Schultern entspannt. Unbewusst fallen auch meine Schultern, die Rücken- und Kopfpartie entspannt sich. Sie strahlt eine Ruhe aus, ihre Haut leuchtet in einem sanften, erdigen Braunton. Als ich sie einige Augenblicke gemustert habe, geselle ich mich vorsichtig zu ihr. Ganz sicher bin ich mir nicht, was ich von ihr möchte. Doch meine Intuition meint, diese Frau könne mir zu dem verhelfen, was ich mir wirklich, mit ganzem Herzen wünsche.

Freischreiben-Autorin Lena Leitermann.

Freischreiben-Autorin Lena Leitermann.

"Entschuldigen Sie, aber ich hätte eine Frage. Ich hoffe, ich störe Sie nicht bei Ihrer Meditation." Sie öffnet ihre Augen, ein sanftes Grau strahlt mir entgegen. "Gerne doch. Fragen Sie einfach, ganz unverbindlich. Mal sehen, ob ich eine Antwort darauf geben kann." Und sie schließt erneut ihre Augen, hört aber wachsam zu, während ich meine Frage stelle. "Was wünschen Sie sich? Oder, wie kann man herausfinden, was man sich wünscht? Ich könnte mir den Kopf darüber zerbrechen, aber ich wünsche mir nichts. Jeder Mensch wünscht sich aber etwas. Ich kann dem Ganzen nicht folgen."

Die alte Dame schmunzelt nur, die Fältchen unter ihren Augen und neben ihren Lippen verdichten sich in einer sympathischen Art und Weise. "Was ich mir wirklich wünsche? Wenn ich ehrlich bin, wünsche ich mir ein friedvolles, ruhiges restliches Leben. Ich liebe die Harmonie, leider hatte ich noch nicht viel davon im Leben. Aber ich kann dir nicht dabei helfen, deine Frage zu beantworten. Das musst du selbst schaffen. Es ist deine Arbeit, herausfinden, was deine Seele begehrt. Mit etwas Selbstvertrauen und Forschung wird es dir gelingen, das zu finden, was du suchst." Die Begegnung mit der älteren Frau bringt mich erneut zum Nachdenken.

Zuhause angekommen, lege ich mich auf die Couch, lagere meine Füße für die Blutzirkulation nach oben, vielleicht fließt dadurch mehr Blut in meine Hirnregion. Was wünsche ich mir? Diese Frage sticht immer wieder in mich, lässt mir keine Ruhe. Als ich die Augen schließe, sehe ich meinen Nachhauseweg vor mir, die ganzen Begegnungen haben meinen Tag, wenn nicht sogar die nächste Zeit, maßgeblich geprägt. Ich bin zufrieden mit meinem Leben, kann mich nicht beschweren, alles läuft gut. Tatsächlich wünsche ich mir nichts Besonderes. Nur, dass alles so weiterläuft wie bisher, dass das Leben in allen Höhen und Tiefen kommt und geht. Mehr nicht.