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Kurzgeschichte: "Das Treffen"


Steffis Kurzgeschichte "Das Treffen" spielt in der Kirschblütenzeit.

Steffis Kurzgeschichte "Das Treffen" spielt in der Kirschblütenzeit.

Von Stefanie Schambeck

Jedes Jahr besuchen meine Eltern und ich Anfang Mai das Kirschblütenfest im Park. Kleine Stände werden aufgebaut. Es gibt Zuckerwatte, Pizza, Eis und andere Köstlichkeiten zu kaufen, während man den Anblick der Bäume genießen kann. Es sieht immer wunderschön aus, wenn sie in voller Blüte stehen. Deshalb schießen auch viele Leute Erinnerungsfotos oder Bilder für ihren Instagram-Account. So auch jetzt.

Meine Eltern und ich steigen in den Bus, der rappelvoll ist, aber uns direkt zum Fest bringt. Eigentlich ist es stets ein großes Vergnügen, doch ein Streit mit meinen Eltern hat meine Freude heute getrübt. Ich wollte dieses Jahr mit meinen Freundinnen hingehen. Schließlich bin ich kein Kleinkind mehr. Aber Mum hat darauf bestanden, dass wir als Familie gehen. Und wenn Mum auf etwas besteht, kann man einen Handstand machen und dabei Cola durch die Nase trinken - sie ist nicht mehr davon abzubringen. Daher habe ich mich entschieden, ihren Tag zu verderben, weil sie mir meinen vermiest hat. So habe ich einen griesgrämigen Gesichtsausdruck aufgesetzt und meine Kopfhörer in die Ohren gesteckt. Auch etwas, das meine Mum nicht leiden kann, aber dieses Mal lässt sie mich gewähren.

Als wir endlich aus dem stickigen Bus aussteigen, kommen uns schon Oma und Opa entgegen. Die beiden feiern jedes Jahr an diesem Tag ihren Hochzeitstag. Zweiundfünfzig Jahre sind es heuer. Oma nimmt mich fest in den Arm, dann lassen wir uns von der Masse mitschieben. Ich bin immer noch so wütend, dass ich hinter ihnen gehe und desinteressiert wirke. An einem Stand mit Seifen in Form von Kirschblüten bleibt Mum entzückt stehen. Ich sehe mich bemüht gelangweilt um, während die Musik in meinen Ohren dröhnt. Da fällt mein Blick auf eine Bank, auf der ein Junge ganz alleine sitzt.

Ich wende mich zunächst ab, doch als er nach ein paar Minuten immer noch dasitzt, gehe ich aus einem Impuls heraus zu ihm. Ich lasse mich neben ihn fallen, doch er blickt nur stur geradeaus. Ich ziehe meine Kopfhörer heraus, stecke sie in die Tasche und spreche ihn an: "Hey!" Ich hatte noch nie ein Problem, auf Leute zuzugehen und sie einfach anzuquatschen, besonders wenn sie in meinem Alter sind. Er antwortet nicht. "Wartest du auf deine Eltern?" Wieder keine Antwort. Das ist ja mal ein harter Brocken! Da er recht gepflegt aussieht, bohre ich weiter nach: "Hast du schon die Zuckerwatten probiert? Ich weiß nicht was die da reintun, aber sie schmecken viel besser als auf dem Stadtfest." Keine Reaktion. Also schaue ich in die Richtung, in die er die ganze Zeit starrt und plötzlich durchzuckt mich ein kleiner Stich. Vor uns steht ein besonderes Prachtexemplar von einem Baum mit prachtvollen rosafarbenen Blüten. Einzelne Blätter werden vom Wind heruntergeweht und es hat mit den perfekt fallenden Sonnenstrahlen etwas Monumentales. "Wunderschön", murmle ich und endlich sieht der Junge zu mir herüber. Ich erschrecke innerlich, als ich ihn ansehe, denn so traurige Augen habe ich noch nie gesehen. Plötzlich spüre ich auch die drückende Trauer, die von ihm ausgeht, und unbehaglich blicke ich auf meine Füße. Als hätte sich um uns eine Blase gebildet, werden plötzlich die Geräusche um uns herum leiser, als er sagt: "Solche besinnlichen Augenblicke sollte jeder viel mehr zu schätzen wissen. Erst wenn sie vergangen sind, begreift man, wie wichtig sie waren." Auch wenn ich verstehe, was er sagt, finde ich ihn trotzdem sehr komisch. Da ich nicht recht weiß, was ich darauf antworten soll, sage ich schlicht: "Ja." "Du bist mit deinen Eltern hier?" Erstaunt nicke ich, betrachte ihn, wie er sich in seinen Gedanken zu verlieren scheint. "Du solltest nicht mehr böse auf sie sein." "Woher …" "Eines Tages werden sie nicht mehr da sein und du wirst dich für jeden Streit hassen."

Ich fühle mich unwohl. Ich spüre, dass er etwas Schreckliches erlebt haben muss, doch ich will es gar nicht wissen. Ich bin kurz davor, aufzustehen, als er weiterredet: "Es ist immer wieder erstaunlich, wie friedlich die Menschen bei solchen Veranstaltungen sind. Weißt du, ich hatte mit vielen egoistischen Menschen zu tun. Das Schlimmste ist, dass sie nicht merken, wie sehr sie andere damit verletzen. Eigentlich sollte man sich doch unterstützen, oder nicht? Auf den anderen eingehen, sich in ihn hineinversetzen. Alles, was man tut, fällt doch auf einen zurück? Viele denken nicht mehr eigenständig nach, sondern tun, was die Masse vorschreibt." Ich erkenne, dass er feuchte Augen hat.

Ungewollt treffen mich seine Worte tief und nehmen meiner Wut das Feuer. Mum liebt uns und ich weiß, dass es für sie eine große Freude ist, wenn wir jedes Jahr auf das Kirschblütenfest gehen, einen Fisch essen und den Hochzeitstag ihrer Eltern feiern. Ich schäme mich plötzlich für mein blödes Verhalten. Ich sehe meine Freundinnen jeden Tag in der Schule, aber irgendwann werden die Umstände anders sein und ich werde nicht mehr mit meinen Eltern herkommen. Denn alles hat einen Anfang und ein Ende, auch das Leben. So verrückt es klingt, mit diesen Gedanken überkommt mich plötzlich eine Angst. Angst vor der Veränderung, dass bald alles zu Ende sein könnte.

"Angst ist ein schlechter Begleiter", höre ich seine Stimme neben mir. "Wir haben nur ein Leben." "Ich werde mich bei ihnen entschuldigen!" Ich drehe mich zur Seite, doch der Platz neben mir ist leer. Verwundert blicke ich umher, kneife mich in den Arm, ich habe mir das Ganze doch nicht eingebildet?! Da höre ich meine Mum rufen und mit neuem Schwung stehe ich auf.

Zur Fortsetzung: "Das Treffen" - Teil 2

Schnellen Schrittes geht der Junge auf seinen Meister zu, wobei er beinahe mit einem Losverkäufer zusammengestoßen wäre. Nur langsam gewöhnt er sich an die Tatsache, dass ihn niemand sehen kann, solange er es nicht will. Er ist da und doch wieder nicht.

Er hasst diese Art von Aufträgen. Zu sehr erinnern sie ihn an sein eigenes Schicksal. Vor zwei Monaten hatte sich sein Leben von einem auf den anderen Moment verändert. Einen Schicksalsschlag später hatte er sich an dem Ort befunden, der ihn zur Unsterblichkeit verdammte. An jenem schicksalshaften Tag hatte er mit seinen Eltern aufgrund eines Streits zwischen ihnen einen Autounfall gehabt. In der Zwischenwelt angekommen, hatte man ihm erklärt, dass jeder, der am 31. Dezember genau um Mitternacht geboren wurde und starb, hier landet. Ein Meister wurde ihm an die Seite gestellt, der ihn durch verschiedene Aufträge begleiten sollte, welche sich alle darum drehten, Gutes zu tun. In der Zwischenwelt laufen die Fäden aller Menschen zusammen. Das Mädchen war eine Übungsaufgabe gewesen. Er hatte gewusst, dass sich der Streit mit ihren Eltern gesteigert hätte und es zu immer mehr Zerwürfnissen gekommen wäre, was zu einem einsamen Leben mit vielen Fehlern auf beiden Seiten geführt hätte.

Neid und Traurigkeit durchfließen ihn jetzt. Im Gegensatz zu ihr würde er seine Schuld nie mehr begleichen können.

"Alles was man tut hat seinen Preis", war einer der ersten Sätze seines Meisters gewesen. "Und alles passiert nicht ohne Grund. Manchmal auch, um uns zu testen. Du musst hinterfragen, stark bleiben, denn andere werden immer versuchen, dich negativ zu beeinflussen. Nicht jeder Mensch ist gleich und wenn du dich offenbarst, bist du ihrem Wesen ausgeliefert."

Er braucht gar nicht in das Gesicht seines Meisters zu sehen, um zu wissen, dass er sich wieder viel zu viel hatte gehen lassen. Er macht sich auf eine Standpauke gefasst, denn eigentlich soll er seine eigenen Emotionen nicht so stark einfließen lassen, aber er hasst Egoismus. Das hatte ihn schon bei seinen Freunden früher gestört. Er sollte sich ihren Wünschen beugen, doch umgekehrt wurde immer ein Gegenargument gefunden. Zu seiner Überraschung sagt sein Meister kein Wort. Beinahe vergnügt beäugt er eine Popcornmaschine.

So betrachten sie die lachenden Menschen, wobei der Junge sich nach einiger Zeit fragt, wann sie endlich aufbrechen würden, als der Meister ihm eine Hand auf die Schulter legt und fragt: "Weißt du, warum die Menschen den Tod so fürchten, mein Junge? Der Meister spricht oft von diesem Thema, denn er konnte den Tod eines jeden vorhersehen. "Weil er grausam ist?", antwortet er bitter. So sehr er es versucht, sich an die aktuelle Situation zu gewöhnen, in ihm brodelt noch immer eine gewisse Wut. Dass er alleine hier ist, Gutes für andere tun soll, wo doch er selbst nur sehr wenig davon von anderen erfahren hatte.

"Weil er stärker ist als sie. Das Einzige, das sie nicht kontrollieren können, aber gleichzeitig etwas, das alle Menschen gleich macht. Jeder muss da durch. Er ist eine Gefahr vor der man davonlaufen will." Der Junge verdreht innerlich die Augen, jedoch weiß er, dass alles, was sein Meister sagt, stimmt. Der Meister hat ihm bisher noch nichts über sich selbst verraten. Der Junge vermutet aber, dass er schon sehr, sehr lange in der Zwischenwelt lebt. Andererseits hat er noch nie einen so schlauen Menschen getroffen. Der Meister weiß über jedes Thema etwas, als wäre er allwissend.

"Der Mensch macht sich oft größer als er eigentlich ist. Will herrschen und alles sein Eigen nennen. Was zählt heute? Geld, Macht und Kontrolle. Sinnlose Kriege werden ausgetragen, die zahlreiche Leben fordern. Viele müssen leiden, weil ein paar einzelne kontrollieren wollen. Oder sie setzen das Mittel der Manipulation ein. Drehen alles so, wie sie es wollen, während jene, seiner Meinung nach Schwache, Weg und Verstand verlieren."

Er hört seinem Meister einfach zu. Er ist es gewohnt, dass dessen Gedanken oft hin- und herspringen. Häufig mischt sich dieser Tiefsinn hinein. "Warum ändern wir das dann nicht?", fragt der Junge zum ersten Mal. Der Meister atmet tief ein, bevor er antwortet: "Weil wir nicht die Kraft dazu haben. Es bräuchte viele mehr …" "Aber …" "Ich erzähle dir nun etwas, das eigentlich für einen späteren Zeitpunkt bestimmt ist. Die Menschen sind mit dem Universum verbunden. Jede starke, böse Tat schwächt diese Verbindung, bis sie eines Tages abreißt. So schwindet auch unser Einfluss auf sie. So schwer es ist - wir sind gezwungen, diese Schicksale loszulassen. Daher müssen alle von uns, auch wenn wir keine große Anzahl sind, so viele Menschen auf den richtigen Weg bringen, wie wir können und sie unterstützen. Dass ihre Zukunft freudiger sein wird."

Im Kopf des Jungen fliegen die Gedanken wie ein Gummiball hin und her. Vergnügt sagt der Meister: "Wenn ich könnte, würde ich nur zu gerne ein Eis essen … na ja, wir sollten aufbrechen, der nächste Auftrag wartet bereits."

Die Kirschblütenzeit hat Steffi Schambeck (26) aus Stallwang im Landkreis Straubing-Bogen zu dieser Geschichte inspiriert.

Die Kirschblütenzeit hat Steffi Schambeck (26) aus Stallwang im Landkreis Straubing-Bogen zu dieser Geschichte inspiriert.