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Mach‘s gut, liebe Uni!


Nach fünf Jahren Studium schreibt Sophie Schattenkirchner einen Abschiedsbrief an die Uni.

Nach fünf Jahren Studium schreibt Sophie Schattenkirchner einen Abschiedsbrief an die Uni.

Chuck Norris weiß, wie Bachelor- und Masterstudiengänge funktionieren. Er studiert natürlich in Mindeststudienzeit und was er mit Deadlines macht, will man lieber erst gar nicht wissen. Was im ersten Moment - und selbstverständlich dank Chuck Norris - lustig klingt, kann im Uni-Alltag ganz schön an den Nerven zehren. 2007 hat Volontärin Sophie ihr Studium begonnen und war damit eine der ersten Jahrgänge, die die Umstellung der Diplom- und Magisterstudiengänge auf Bachelor und Master in den Geisteswissenschaften mitgemacht haben. Drei Jahre hat sie in Regensburg Geschichte und Kunstgeschichte, zwei Jahre in Wien Globalgeschichte studiert. Anfang März wurde sie mit ihrem Studium fertig und fand, dass es Zeit ist, zu einem Rundumschlag auszuholen und Abschied zu nehmen - von der Uni.


Liebe Uni,

als wir uns das erste Mal begegneten, das war im Oktober 2007, war ich voller Hoffnung. Nach 13 Jahren Schule dachte ich: Mit dir wird alles anders. Du bist nicht so wie alles Bisherige, habe ich geglaubt. Das sagenumwobene "Studentenleben" habe ich mir ungefähr so vorgestellt:

Hauptsächlich einmal keinen Tag vor zehn Uhr aufstehen und auf möglichst viele Partys gehen. Im Bezug auf dich, liebe Uni, dachte ich mir, dass vor allem alles anders sein wird als in der Schule. Ich höre heute noch meine Lehrer sagen: "An der Uni, da wirst du schauen, da musst du selbstständig werden!" Zu dieser Selbstständigkeit, dachte ich mir, gehört es, den Stundenplan und somit die Seminare und Vorlesungen je nach Interesse frei auswählen zu dürfen. Dass es bestimmte Richtlinien geben würde, war mir vorher klar. Dass es dann doch so viele waren, eher nicht. Im Gegensatz zu dir, liebe Uni, hatte der Heimat- und Sachkundeunterricht in der Grundschule etwas von der antiautoritären Erziehung von Blumenkindern in Hippie-Kolonien. Eingeschrieben hatte ich mich für Bachelor Kunstgeschichte und Geschichte. Als einer der ersten Bachelor-Jahrgänge hatte ich ja keine Ahnung, dass ich nebenbei noch einen Master in Logistik der Universität und all ihrer Anmeldungssysteme, Bürokratie, Krisenbewältigung und "Wie-komme ich-durch-das-Studium-in-Regelstudienzeit?" mache. Meine Hoffnung auf spannende Seminare mit vielen und langen Diskussionen ist irgendwo zwischen den starren Modulen und den Hunderten von Kurzreferaten mit Powerpoint untergegangen.

Die Online-Anmeldesysteme für Seminare und Vorlesungen, die seit einigen Jahren an den Unis umhergeistern, trugen das Übrige dazu bei. Viele deiner Regeln, Fristen oder Formulare, liebe Uni, habe ich nie ganz verstanden. Dafür bin ich jedes Mal in Prüfungsämter oder zu sonstigen zuständigen Stellen gerannt. Am Schluss habe ich nicht nur das Personal dort, sondern vor allem mich selbst richtig genervt. Aber einen Vorteil hatte das Ganze: Ich habe die Studiengebühren dadurch voll ausgeschöpft und ganz heimlich noch nebenbei einen Master der Bürokratie gemacht. Vielleicht, liebe Uni, hatte ich einfach nur Pech, eine der ersten Jahrgänge zu sein, vielleicht darf man nicht so streng mit dir sein. Der Bachelor ist ja international. Nein, nicht der auf RTL, der Rosen verteilt, sondern der an den Unis. Sinn und Zweck der Umstellung war ja, dass Studenten auf der ganzen Welt problemlos studieren können, wo immer sie wollen. Bei mir war das nicht ganz so. Nachdem ich nach sechs Semestern meinen Bachelor in der Tasche hatte, konnte ich nicht gleich an der Universität Wien im fernen österreichischen Ausland weiterstudieren. Warum?

Nein, ich hatte keine einzige Frist verpasst, sondern ganz einfach, weil das Bachelor-Zeugnis aus Regensburg bis zur Anmeldefrist an der Universität Wien noch nicht fertig war und diese wiederum kein vorläufiges Zeugnis akzeptierte. Das war wirklich nicht fair, liebe Uni. Aber, liebe Uni, es war nicht alles schlecht oder nervig. Wirklich nicht. Während der Zeit bei dir habe ich nicht nur gelernt, Formulare auszufüllen, sondern ich war auf Exkursionen in Bayern und sogar in Belgien und Frankreich. Ich habe erfahren, dass Philipp II. von Makedonien bereits um 350 vor Christus mehr als sieben Ehefrauen hatte und dass der amerikanische Gangster und Staatsfeind Nummer 1, John Dillinger, der 1934 in Chicago erschossen wurde, eigentlich aus dem bayerischen Wald stammte. Ich hatte das Glück, auf wirklich tolle Dozenten und Mitarbeiter an den Unis zu treffen, die in Sachen Bürokratie und Co. auch mal ein Auge zudrückten.

So sehr ich mich jetzt auch über dich beschwert habe, ich würde wahrscheinlich alles wieder genau so machen. Vielleicht würde ich mich nicht mehr so viel aufregen, aber ich würde wieder etwas studieren, bei dem die meisten Menschen die Hände über den Kopf zusammenschlagen und entsetzt fragen: "Und was machst du dann damit?" (Übrigens die bisher meistgestellte Frage meines Lebens!) Denn ich hätte das nie fünf Jahre lang durchgestanden, wenn mir das Studienfach selbst nicht gefallen hätte. Vielleicht werde ich dich sogar ein bisschen vermissen, mit deinen ganzen Formularen, Ausschlusskriterien, Anwesenheitslisten und Deadlines. Mach´s gut, liebe Uni, du hattest deinen Spaß. Jetzt hab´ ich meinen!

Deine Sophie