Expertenumfrage

Wie sieht die perfekte Schule aus?


Wie könnte die perfekte Schule aussehen? Wir haben mit fünf Experten gesprochen.

Wie könnte die perfekte Schule aussehen? Wir haben mit fünf Experten gesprochen.

Wir haben fünf Experten - vom Schülervertreter bis zum Bayerischen Kultusminister - Fragen dazu gestellt und sie klar Stellung beziehen lassen.

Ist es sinnvoll, dass die Schule um 8 Uhr morgens beginnt?

Simone Fleischmann: Nein. Ich plädiere dafür, den Unterrichtsbeginn flexibler zu gestalten, weil nicht für alle Schülerinnen und Schüler ein Unterrichtsbeginn um 8 Uhr Sinn macht. Jugendliche in der Pubertät haben zum Beispiel ein anderes Schlafverhalten als Kinder. Sie kommen morgens nicht in die Pötte und würden von einem späteren Schulbeginn profitieren.

Florian Schwegler: Nein. Ein Unterrichtsbeginn um 8 Uhr ist wissenschaftlich nicht vorteilhaft. Dies ergaben viele Studien, wie die der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). Hier tendiert man zu einem Schulstart um 9 Uhr, welcher sich als vorteilhaft für Schülerinnen und Schüler erweisen würde. Wir sind ebenfalls der Meinung, dass die Schüler dadurch effizienter den Unterricht begleiten und somit bessere Ergebnisse erzielen können.

Dr. Anna-Maria Schirmer: Ja. Denn man kann den Beginn jedes Schultages so gestalten, dass auch Kinder mit morgendlichen Anlaufschwierigkeiten gut in den Tag kommen. Am späteren Nachmittag sollte Zeit für Aktivitäten außerhalb der Schule bleiben.

Dr. Sebastian Suggate: Nein. 9 Uhr wäre viel besser. Aus Sicht der Kinder und Eltern finde ich 8 Uhr viel zu früh, vor allem mitten im Winter. Für Gymnasialkinder, die biologisch gesehen dazu neigen, etwas später zu schlafen, ist es noch schwieriger.

Staatsminister Bernd Sibler: Ja. So kann eine Verlagerung von Unterricht in den Nachmittag hinein vermieden werden. Allerdings beginnt an vielen Schulen der Unterricht gar nicht um Punkt 8 Uhr. Das kann individuell vor Ort entschieden werden.

Ist es sinnvoll, dass eine Schulstunde 45 Minuten dauert?

Simone Fleischmann: Nein. Besser wäre es, aus der strengen Stundentaktung auszubrechen und mehr fächerübergreifenden Unterricht anzubieten. Auch mehr Projektunterricht wäre sinnvoll.

Florian Schwegler: Nein. Wir denken eine Dauer von 90 Minuten stellt eine sinnvollere Variante der Stundengestaltung dar, da hiermit flüssiger (stofftechnisch gesehen) unterrichtet werden kann. Durch dieses "Doppelstunden-Prinzip" kann zum Beispiel in den Naturwissenschaften ein viel praxisbezogenerer Unterricht abgehalten werden, welcher allen Schülerinnen und Schülern zugute kommt. Jedoch sollte nach ungefähr der Hälfte der Stunde eine kurze Pause von maximal fünf Minuten eingeplant werden.

Dr. Anna-Maria Schirmer: Nein. Nur für manche Lerninhalte macht dieser enge Zeitraum Sinn. An Waldorfschulen beginnt jeder Tag mit einer längeren Zeiteinheit, die in sich flexibel gestaltet wird. Schulen, die mit dem bewegten Klassenzimmer arbeiten, setzen auf variable Zeiteinteilungen und machen damit gute Erfahrungen.

Dr. Sebastian Suggate: An sich ist das weder sinnvoll noch sinnfrei. Sinnlos ist dagegen ein Festhalten an eine konkrete Zeit, wenn eine bestimmte Unterrichtsstunde oder der Stoff etwas anderes verlangt.

Staatsminister Bernd Sibler: Ja. Für einzelne Stunden ist es sinnvoll, kürzer und sehr verdichtet an einem Thema zu arbeiten. An vielen Schulen werden zur Ergänzung aber auch Doppelstunden sowie fächer- und stundenübergreifende Projekte abgehalten. Die Mischung macht's.

Sind Hausaufgaben sinnvoll?

Simone Fleischmann: Ja. Hausaufgaben machen Sinn. Sie dienen dazu, im Unterricht Gehörtes und Gelerntes zu vertiefen. Allerdings wäre es hilfreich, wenn alle Schüler die nötige Unterstützung beim Erledigen der Hausaufgaben hätten.

Florian Schwegler: Ja. Hausaufgaben dienen der Wiederholung und Festigung des im Unterricht durchgenommenen Stoffes. Auch bilden sie eine Stütze für Schülerinnen und Schüler, wenn es ums Lernen geht.

Dr. Anna-Maria Schirmer: Ja. Es kommt allerdings auf Gestaltung und Umfang der Hausaufgaben an. Waldorfschüler schreiben zum Beispiel Epochenhefte. Dabei haben sie einen wachsenden Gestaltungsspielraum, das, was sie aus dem Unterricht mitnehmen zu Hause selbständig zu vertiefen.

Dr. Sebastian Suggate: Ja. Ich finde die dadurch erbrachte Verbindung zwischen Schule und Familie sinnvoll, allerdings sollten diese möglichst kurz gehalten werden.

Staatsminister Bernd Sibler: Ja. Hausaufgaben sind sinnvoll, um den in der Schule gelernten Stoff zu vertiefen oder zu üben. Sie geben eine aussagekräftige Rückmeldung, ob man Inhalte verstanden hat und selbst dazu Aufgaben lösen kann.

Fragen Teil 2

Ist die Bewertung der Leistung in Noten gerecht?

Simone Fleischmann: Gegenfrage: Wenn alle Schüler(-innen) einer Klasse zum selben Zeitpunkt und in derselben Zeit auswendig Gelerntes wiedergeben sollen, ist das sinnvoll? Ich glaube nicht - daher fordert der BLLV ein neues Lern- und Leistungsverständnis an Schulen.

Florian Schwegler: Ja. Wir denken, dass hier die Ansichten sehr weit gefächert sind. Wir sind der Meinung, dass eine Bewertung der Leistung mit Noten gerecht ist. Ist ein Messverfahren unabhängig von der Person, die es anwendet? Das misst die Objektivität. Eine Messung ist dann objektiv, wenn verschiedene Beobachter zu gleichen Ergebnissen kommen und dies sollte bei den bayerischen Lehrerinnen und Lehrern der Fall sein.

Dr. Anna-Maria Schirmer: Nein. Es gibt weitaus feinere Messinstrumente als normierte Noten. Viele individuelle Fähigkeiten und Fertigkeiten können mit dem Notensystem nicht gut erfasst werden. Noten machen zudem oft Angst und Angst ist kein guter Lernberater.

Dr. Sebastian Suggate: Ja. Insofern fair ausgewertet wird und der Bildungsbegriff ziemlich eng ist. Hat man aber einen Bildungsbegriff, der humaner ist, sieht man, wie Noten im Zusammenhang mit pädagogisch kurzgedachten Inhalten sowie ehrgeizigen Eltern die Schulzeit von vielen Kindern negativ prägen.

Staatsminister Bernd Sibler: Ja. Denn Schülerinnen und Schüler haben ein Recht auf Auskunft über ihren Leistungsstand. Noten sind ein wichtiges Instrument zur Orientierung, wo man individuell steht. Damit dienen sie als Beratungsgrundlage für persönliche Entwicklungsziele.

Ist es gut, dass es in höheren Klassen so viel Nachmittagsunterricht gibt?

Simone Fleischmann: Ja. Wenn er in einer rhythmisierten Ganztagsschule stattfindet, schon. Davon würden auch alle anderen Schülerinnen und Schüler profitieren. Solche Angebote gibt es in Bayern aber kaum.

Florian Schwegler:Ja. Hier kommt es auf die Gestaltung des Nachmittags an. Prinzipiell ist ein Nachmittagsunterricht, welcher nicht gerade aus Mathe, Deutsch etc. besteht, vertretbar. Es sollten jedoch ausreichend Pausen gemacht werden, da das Leistungsniveau, vor allem im Sommer, der Schülerinnen und Schüler nach ganztägiger Belastung sinkt.

Dr. Anna-Maria Schirmer:Ja. An Waldorfschulen werden bis zum Ende der Schulzeit viele handwerkliche und künstlerische Bereiche unterrichtet. Ist der Schultag abwechslungsreich und es gibt neben bekannten Fächern auch Gärtnern, Steinmetzen, Schmieden, Schneidern, etc., kann er auch etwas länger dauern.

Dr. Sebastian Suggate:Nein. Zumindest nicht in der aktuellen Form. Mathematik an einem heißen Sommernachmittag kann schwer durchzukämpfen sein. Fächer wie Kunst, Sport, Theater und Musik, wovon es in Deutschland leider zu wenig bis gar keine gibt, können am Nachmittag sehr gut abgehalten werden.

Staatsminister Bernd Sibler: Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Die Stundenanzahl hängt ja stark von der Schulform ab. Mit der Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums wird zum Beispiel die Anzahl der Nachmittagsstunden an Gymnasien deutlich gesenkt.

Sollte man in der Schule lernen, wie man eine Steuererklärung macht oder eine Versicherung abschließt?

Simone Fleischmann:Ja. Schule hat einen Bildungsauftrag zu erfüllen. Junge Menschen sollen fit gemacht werden für das Leben. Da gehören solche Herausforderungen zweifelsfrei dazu.

Florian Schwegler:Ja. Definitiv. Wir denken, dass solch zentrale Bestandteile des späteren Lebens an jeder Schule gleichermaßen gelehrt werden sollten. Dies könnte man in die BUS-Phasen (Module zur Berufs- und Studienorientierung) der jeweiligen Schularten integrieren.

Dr. Anna-Maria Schirmer:Nein. Man sollte in der Schule in all seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten so umfassend gebildet werden, dass man später in der Lage ist, das Problem "Steuererklärung" selbstständig angehen oder sich Informationen zu Versicherungen zuverlässig beschaffen zu können.

Dr. Sebastian Suggate:Ja. Dagegen bin ich nicht, solange es gegen Schulende geschieht - also bitte nicht in der Grundschule! Besser noch wären diese Themen im Rahmen einer Unterrichtseinheit, die um die Entwicklung des Sozialstaats geht.

Staatsminister Bernd Sibler: Nein. Schule vermittelt aber die grundlegenden Kompetenzen, um solche Aufgaben später erfolgreich anzugehen. Dabei spielt auch immer die jeweilige Ausrichtung der Schulart eine wichtige Rolle.

Wie wird die Schule in Bayern in zehn Jahren aussehen?

Simone Fleischmann: Die Schule der Zukunft wird in jedem Fall digitalisierter sein, als sie es heute ist. Ich würde mir grundsätzlich aber wünschen, dass sie ein guter Lebensort wird - und zwar für alle Schülerinnen und Schüler. Ein Ort, an dem sie angenommen, wertgeschätzt und bestmöglich gefördert werden.

Florian Schwegler: Wir denken, dass die bayerische Schule der Zukunft weiterhin dreigliedrig sein wird. Auch sollte in zehn Jahren die Digitalisierung final im Klassenzimmer angekommen sein, also digitale Lernmittel, interaktive Unterrichtsmethoden und so weiter. Auch sollte sie den theoretischen Stoff mit viel praxisbezogenen Vermittlungsmethoden an die Schülerinnen und Schüler herantragen. Ebenfalls sollten Unterrichtseinheiten viel offener und eigenverantwortlicher gestaltet werden, da so die Rolle des Schülers beziehungsweise der Schülerin aufgewertet wird und die Leistungen steigen.

Dr. Anna-Maria Schirmer: In Waldorfschulen wird man weiterhin viele strickende, Handschrift übende, Theater spielende und musizierende Kinder und Jugendliche sehen, da der Mensch auch in zehn Jahren nicht nur aus einem mit Lerninhalten zu befüllenden Kopf bestehen wird. Es wird in Werkstätten gearbeitet, in naturwissenschaftlichen Räumen geforscht, in Klassenzimmern gedacht, gelernt, recherchiert (auch digital) und diskutiert werden. Lehrerinnen und Lehrer werden sich weiterhin bemühen, die individuellen Stärken ihrer Schülerinnen und Schüler gemeinsam zu entdecken und zu fördern. Junge Menschen werden die Schule verlassen und im Idealfall freie Denker und aktive Gestalter der eigenen Zukunft sein. Damit werden sie für eine sich rasch verändernde Welt angesichts der Digitalisierung und anderer Tendenzen gut gerüstet sein.

Dr. Sebastian Suggate: Es wird langsam auf die Schreibschrift verzichtet, Unterricht wird weitgehend digitalisiert. Tech-Firmen freuen sich schon. Als Folge werden sich Konzentrationsspannen, Schlafqualität sowie das Benehmen der Kinder senken. Letztere werden sie psychisch und körperlich kränker und Lehrer immer mehr überfordert. Lernformen werden "offener", aber wenig gehaltvoller. Irgendwann wird das System zusammenkrachen. Wir werden erkennen, dass Ästhetik, Natur und Bewegung Erziehungsmittel sind, die den Kindern genauso wichtig sind wie Lesen, Schreiben und Rechnen.

Staatsminister Bernd Sibler: Die Herausforderung wird sein, frühzeitig die Trends zu erkennen, die unsere Gesellschaft nachhaltig verändern werden. Da muss die Schule mit dabei sein, allerdings nicht bei jeder Modeerscheinung, denn sonst bekommen wir einen Gemischtwarenladen, der von allem ein wenig anbietet, aber nichts richtig vernünftig. Sicher wird das digitale Klassenzimmer Realität geworden sein, denn die Digitalisierung ist eine langfristige Entwicklung, die auch in der Schule ankommen wird. Wichtig ist dabei immer, dass der Mensch im Mittelpunkt steht und die Technik der Pädagogik dient. Auch die Schule der Zukunft lebt von Lehrerinnen und Lehrern, die unsere Schülerinnen und Schüler mit Begeisterung fördern und begleiten.

Unsere Experten im Überblick

Staatsminister Bernd Sibler

ist für Unterricht und Kultus verantwortlich für die bayerischen Schulen und Lehrer. Das von ihm geführte Kultusministerium kümmert sich unter anderem um die Lehrpläne an den Schulen und somit darum, was unterrichtet wird. Auch für Schulreformen, wie die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium, ist das Kultusministerium verantwortlich.

Dr. Anna-Maria Schirmer

ist Kunstlehrerin, Erziehungswissenschaftlerin und ehemalige Waldorfschülerin. Ihre Tochter besucht nun die Waldorfschule in Regensburg.

Simone Fleischmann

ist Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV). Dieser setzt sich für die Interessen der Lehrer aller Schularten in Bayern ein.

Florian Schwegler

ist Pressesprecher des Landesschülerrats (LSR) in Bayern. Der LSR ist die offizielle Schülervertretung und besteht aus sechs Personen. Diese sind von den 40 Bezirksschülersprechern gewählt und bringen die Interessen der Schüler aller Schularten zur Sprache.

Dr. Sebastian Suggate

ist Privatdozent an der Uni Regensburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Bildschirmmedien und die sensomotorische sowie kognitive Entwicklung, Feinmotorik und Kognition (Lernvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern), Sprachentwicklung und Schriftspracherwerb.