Experten-Interview

Weltdiabetestag 2019: Neue Behandlungsmöglichkeiten


Man nennt sie auch "Zuckerkrankheit" und sie ist noch immer auf dem Vormarsch: Diabetes scheint zur modernen Volkskrankheit zu werden. (Symbolbild)

Man nennt sie auch "Zuckerkrankheit" und sie ist noch immer auf dem Vormarsch: Diabetes scheint zur modernen Volkskrankheit zu werden. (Symbolbild)

Von mit Material der dpa und Maximilian J. Falk

Der "Welt-Diabetestag" am heutigen Donnerstag soll auf die Schicksale zahlreicher von "Zuckerkrankheit" Betroffener aufmerksam machen. In Deutschland erkranken jedes Jahr mehr als 500.000 Erwachsene neu an Diabetes. Das geht aus einem aktuellen Bericht des Robert Koch-Instituts (RKI) hervor.

Einer aktuellen AOK-Studie zufolge leiden 7,9 Prozent der Einwohner Bayerns an Diabetes Typ 2, bei dem der Körper nicht mehr auf das im Überfluss produzierte Insulin anspricht. 8,6 Prozent der Menschen in ganz Deutschland leiden zudem an der Autoimmun-Krankheit Diabetes Typ 1, wobei der Körper gar kein Insulin mehr produziert.

Lesen Sie hier: Weiteres zur AOK-Diabetesstudie.

Welche aktuellen Behandlungsmöglichkeiten gibt es für die beiden Diabetes-Arten? Und könnte es in Zukunft möglich sein, die Krankeit, die sich bisher nur "handhaben" lässt, tatsächlich zu heilen? idowa hat darüber mit Dr. Gert Müller gesprochen. Er ist Internist und Diabetologe am Klinikum Sankt Elisabeth in Straubing und erklärt im Interview unter anderem, wie Diabetes-Therapie ältere Menschen vor Stürzen bewahren kann.

Herr Dr. Müller, können Sie zunächst mal eine grobe Einschätzung abgeben, wie viele Menschen aus der Region Straubing Sie bei sich im Klinikum wegen Diabetes behandeln?

Dr. Gert Müller: Grob zehn bis 20 Prozent aller Patienten bei uns in der Klinik, über alle Abteilungen hinweg, sind Diabetiker, würde ich schätzen. Im Bevölkerungsdurchschnitt sind wir ja schon bei sechs bis acht Prozent - und wir haben es natürlich explizit mit Kranken zu tun, das heißt, bei uns sind es logischerweise etwas mehr. Nicht alle Betroffenen sind aber wegen ihrer Diabetes bei uns, bei vielen ist das auch eine Zusatz-Diagnose, zum Beispiel wegen einer Operation. Das fällt bei der Behandlung normalerweise auf und wird von uns dann entsprechend mitbehandelt. Insbesondere dann, wenn die Patienten schlecht "eingestellt" sind.

Dr. Gert Müller ist Oberarzt, Diabetologe und Gastroenterologe am Klinikum Sankt Elisabeth in Straubing. Er schätzt die aktuellen Behandlungsmethoden für Diabetes sehr positiv ein.

Dr. Gert Müller ist Oberarzt, Diabetologe und Gastroenterologe am Klinikum Sankt Elisabeth in Straubing. Er schätzt die aktuellen Behandlungsmethoden für Diabetes sehr positiv ein.

Wie wird Diabetes denn aktuell vor allem behandelt?

Dr. Müller: Die beiden häufigsten Diabetes-Arten sind ja der Typ 1 und der Typ 2. Der erste Typ muss immer mit Insulin behandelt werden, da gibt es keine andere Option. Beim Typ 2 beginnt die Therapie in der Regel immer mit Tabletten, und bezüglich der Tabletten-Therapie hat sich in den letzten Jahren einiges getan: Bis vor 25 oder 30 Jahren hatten wir eigentlich nur zwei Präparate, die wir hier einsetzen konnten. Mittlerweile haben wir viele mehr - und insbesondere solche, die bei den Patienten keine Unterzuckerung hervorrufen. Das ist ein großer Vorteil grade für ältere Patienten, die jetzt bezüglich ihrer Diabetes eingestellt werden können, ohne dass man Angst haben muss, dass sie in den "Unterzucker" rutschen. Denn ältere Menschen sind ja oft sturzgefährdet und verletzen sich bei Stürzen schwer, brechen sich also zum Beispiel den Schenkelhals. Da können wir durch die Behandlung mit diesen neuen Medikamenten viel Unglück vermeiden.

Welche neuen Möglichkeiten gibt es denn bei der Behandlung von Diabetes Typ 1?

Dr. Müller: Da haben wir mittlerweile auch neue Insuline, die wesentlich länger und kontinuierlicher wirken, also keine größeren Schwankungen aufweisen. Diese Varianten imitieren also gewissermaßen die physiologische Arbeit der Bauchspeicheldrüse. Andererseits haben wir jetzt auch sehr schnell, aber dafür nur kurz wirkende Insuline, die insbesondere dann die gesunde Bauchspeicheldrüse imitieren, wenn der Betroffene eine kohlenhydratreiche Mahlzeit isst. Da geht der Spiegel also schnell hoch, ist aber auch schnell wieder weg. Mit diesen Mitteln kann man mittlerweile über den Tag verteilt bei Menschen mit Typ-1-Diabetes einen relativ "norm-nahen" Insulin-Spiegel erreichen - fast wie bei einem Gesunden.

Wenig Hoffnung für Heilung

Ein Blutzucker-Messgerät. Noch müssen sich viele Betroffene zur Messung mehrmals pro Tag in den Finger stechen, bald könnte es mit dieser Tortur aber vorbei sein, sagt Dr. Müller.

Ein Blutzucker-Messgerät. Noch müssen sich viele Betroffene zur Messung mehrmals pro Tag in den Finger stechen, bald könnte es mit dieser Tortur aber vorbei sein, sagt Dr. Müller.

Die Behandlung mit Insulin kennt man ja so, dass die Betroffenen sich mehrmals am Tag selbst spritzen. Ist das immer noch so, oder gibt es da mittlerweile auch neue Verfahren?

Dr. Müller: Die Grundtherapie ist schon immer noch so, dass die Menschen sich mehrmals am Tag selbst spritzen - und zwar zwei verschiedene Insuline. Andererseits ist die Technik mittlerweile aber auch so weit, dass wir sogenannte "Insulin-Pumpen" haben, die besonders für Typ-1-Diabetiker sehr exakt eingestellt werden können. Und in Kombination mit diesen Pumpen sind in den letzten Jahren Systeme marktreif geworden, die eine kontinuierliche Blutzucker-Messung im Gewebe ermöglichen. Das ist ein riesiger Vorteil besonders für jene Patienten, die sehr oft am Tag messen müssen, denn die stechen sich dabei ja jedes mal in den Finger! Und das ist natürlich gerade für einen langjährigen Diabetiker irgendwann ein Graus: Sich vier, fünf oder sogar sechs mal am Tag in den Finger zu stechen. Mit diesen neuen Systemen gibt es jetzt eben die Möglichkeit, das mit einem Sensor im Gewebe zu messen und damit seine Therapie-Einstellung nach dem abgelesenen Wert genau zu steuern.

Könnte es denn in der Zukunft auch möglich sein, Diabetes vollständig zu heilen?

Dr. Müller: Gerade bei Typ-2-Diabetes wird das schwierig, denke ich. Denn diese Krankheit ist "polygenetisch", das heißt sie ist nicht auf eine einzelne Ursache zurückzuführen. Da spielen viele Dinge eine Rolle, etwa Veranlagung, Übergewicht, mangelnde Bewegung und weitere Aspekte - hier gibt es also nicht die eine Lösung zur Heilung. Bei Typ-1-Diabetes wiederum sieht es anders aus, denn das ist ja eine Autoimmun-Erkrankung, wobei der Körper seine eigenen, Insulin produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse kaputtmacht. Da wäre es im Prinzip natürlich denkbar, wenn man diesen zerstörerischen Mechanismus verhindern könnte, den Typ 1 auch zu heilen. Allerdings ist da momentan noch nicht wirklich was in Sicht, weder bei Medikamenten noch in der Therapie.

Kein Durchbruch bei der Gentherapie in Sicht

Das Ärzteblatt hat Anfang 2018 gemeldet, dass Forscher aus Pittsburgh durch Gen-Therapie bei Mäusen zumindest Diabetes Typ 1 vorübergehend heilen konnten. Wie schätzen Sie denn den Stand und die Perspektive der Forschung zu solchen Methoden ein?

Dr. Müller: Insbesondere Typ-2-Diabetes ist dafür schon mal gar nicht geeignet, wegen der Vielzahl der Ursachen. Und auch beim Typ 1 ist die Forschung da sicher noch nicht so weit, auf diesem Gebiet Durchbrüche zu erzielen.

Würden Sie also den jetzigen Stand der Diabetes-Behandlung als Optimum bezeichnen?

Dr. Müller: Im Moment können wir die Krankheit mit den bereits genannten Hilfsmitteln und Medikamenten sehr gut therapieren. Besonders die Möglichkeit, den Zucker kontinuierlich zu messen, und die Insulin-Pumpen sind hier äußerst nützlich.