Evakuierungen aus Kabul

USA halten an Afghanistan-Abzug bis Ende August fest


US-Präsident Joe Biden warnte auch vor einer wachsenden Terrorgefahr am Flughafen von Kabul.

US-Präsident Joe Biden warnte auch vor einer wachsenden Terrorgefahr am Flughafen von Kabul.

Von mit Material der dpa

Tausende Afghanen wollen noch das Land verlassen. Doch die Zeit für militärisch gesicherte Evakuierungsflüge läuft ab. US-Präsident Biden sieht bei einem Verbleib der US-Truppen eine erhöhte Terrorgefahr.

Washington/Berlin/Kabul - Das Zeitfenster für die vom Militär gesicherten Evakuierungen aus Afghanistan schließt sich schnell: Präsident Joe Biden will vorerst am Abzug der US-Truppen bis kommenden Dienstag festhalten, obwohl noch viele Tausend Afghanen auf eine Ausreise hoffen.

Auch Bitten europäischer Verbündeter, noch länger Evakuierungen am Flughafen Kabul zu ermöglichen, stimmten Biden nicht um. Nach einer Videoschalte der G7-Staats- und Regierungschefs erklärte Biden zumindest, er habe das Außen- und Verteidigungsministerium angewiesen, Alternativpläne zu erarbeiten, "um den Zeitplan anzupassen, falls das nötig sein sollte".

Merkel spricht im Bundestag

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wird heute im Bundestag eine Regierungserklärung zum Debakel beim Abzug der Bundeswehr und der westlichen Verbündeten aus Afghanistan abgeben. Es wird erwartet, dass sich in der anschließenden Aussprache auch der politisch unter Beschuss stehende Außenminister Heiko Maas (SPD) äußert. Regierungsvertreter haben eingeräumt, dass es bei der Einschätzung des Tempos, in dem die militant-islamistischen Taliban auch die afghanische Hauptstadt Kabul eingenommen haben, gravierende Fehler gegeben hat. Vertreter der Opposition erhoben wegen der Fehleinschätzungen schwere Vorwürfe gegen die Regierung.

Der Bundestag soll zudem nachträglich den schon laufenden Evakuierungseinsatz der Bundeswehr für deutsche Staatsangehörige und afghanische Ortskräfte, die der Bundeswehr oder anderen deutschen Organisationen geholfen haben, billigen. Die Bundesregierung hatte in der vergangenen Woche den Einsatz von bis zu 600 Soldaten für die Evakuierungsaktion beschlossen. Der Einsatz ist bis Ende September befristet. Der Bundestag muss jedem bewaffneten Einsatz der Bundeswehr zustimmen. In Ausnahmefällen ist das auch nachträglich möglich, vor allem, wenn Gefahr in Verzug ist.

Die Bundeswehr hat nach eigenen Angaben inzwischen mehr als 4650 Bundesbürger, Afghanen und Bürger anderer Staaten evakuiert. Biden erklärte, die US-Luftwaffe und ihre Verbündeten hätten seit 14. August insgesamt bereits knapp 71.000 Menschen ausgeflogen. Das Pentagon teilte mit, unter den Evakuierten seien auch 4000 US-Bürger und deren Familien. Es blieb allerdings unklar, wie viele Amerikaner noch in Afghanistan sind. Die Regierung hatte vergangene Woche geschätzt, dass es im Land mehr als 10.000 US-Bürger geben könne.

Biden warnt vor Terrorgefahr

Der Militäreinsatz zur Evakuierung westlicher Staatsbürger, afghanischer Ortskräfte und anderer Schutzbedürftiger ist von der Präsenz der aktuell mehr als 5000 US-Truppen abhängig. Biden warnte jedoch vor einer wachsenden Terrorgefahr am Flughafen in Kabul. Jeder Tag, den man wegen der Evakuierungen länger vor Ort bleibe, sei ein weiterer Tag, an dem ein örtlicher Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) versuche, den Flughafen anzugreifen, sagte Biden. Es gebe die "akute und wachsende Gefahr eines Anschlags". Mit Blick auf die Evakuierungen sagte Biden: "Je früher wir es abschließen, desto besser."

Der IS-Ableger sei ein erklärter Feind der Taliban, sagte Biden. Mit einem Anschlag auf den Flughafen könnten die Terroristen die Glaubwürdigkeit der Taliban als neue Machthaber erschüttern und auch ausländische Truppen treffen, die der Gruppe verhasst sind, so die Logik. Die Taliban kontrollieren das Gebiet rund um den Flughafen. Die Islamisten hatten Mitte August die Macht in Afghanistan an sich gerissen. Biden ordnete daher für die Evakuierungen eine zeitlich begrenzte Verstärkung der US-Truppen am Flughafen Kabul an.

Taliban pochen auf Abzug bis Ende August

Die Taliban, die fast alle Landesteile Afghanistans sowie die Hauptstadt Kabul - bis auf den Flughafen - kontrollieren, pochen darauf, dass die Amerikaner wie geplant abziehen. Am Dienstag sagte Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid: "Wir wollen, dass alle Ausländer bis zum 31. August evakuiert werden." Er sprach sich zugleich dagegen aus, dass nun viele gebildete Afghanen das Land verließen. Man brauche diese, um Afghanistan wieder aufzubauen.

Das US-Militär hat seine Truppenpräsenz bereits um "mehrere Hundert" Soldatinnen und Soldaten reduziert, wie der Sprecher des Verteidigungsministeriums, John Kirby, erklärte. Es handle sich dabei aber nicht um einen Beginn des Abzugs, sondern um eine normale Fluktuation, da einige Kräfte, die zu anfangs gebraucht worden seien, ihren Einsatz am Flughafen bereits abgeschlossen hätten, sagte er.

Das Zeitfenster für die Evakuierungen dürfte sich allerdings noch weiter verkürzen, da die Amerikaner selbst noch ihre Soldaten und Ausrüstung außer Landes schaffen müssen. Kirby zufolge werde das "mindestens mehrere Tage" dauern. US-Medien berichteten, notfalls könne das Militär Teile seiner Ausrüstung auch beim Abschluss des Einsatzes sprengen, um den Taliban nichts zu hinterlassen.

Merkel hatte betont, dass man auch nach Ende des von den USA abgesicherten Militäreinsatzes versuchen wolle, Menschen aus Afghanistan auszufliegen. Deswegen gebe es jetzt "sehr intensive" Gespräche über den Weiterbetrieb des Flughafens. Außenminister Maas hatte gesagt, darüber werde auch mit den Taliban gesprochen. "Die Vorstellungen der Taliban spielen natürlich eine Rolle, weil sie Kabul kontrollieren", sagte Merkel.