Essay

Hund müsste man sein - Vom Leben im Hier und Jetzt


Ein Essay über den Wert der Langsamkeit. Oder warum es schön wäre, Hund zu sein.

Ein Essay über den Wert der Langsamkeit. Oder warum es schön wäre, Hund zu sein.

Ich komme kaum noch hinterher: immer neue Technik, neue Regeln, neue Sichtweisen. Mein Leben verändert sich oft so schnell, dass ich kaum ausreichend Zeit habe, mich daran zu gewöhnen. Ein subjektiver Eindruck, ja. Aber ich bin damit nicht allein.

"Die große Beschleunigung" - so nennen manche Wissenschaftler unsere Zeit. Schon als ich diesen Begriff tippe, fühle ich mich außer Atem.

Ja, ich bin ein analoger Mensch in einer digitalen Welt, verehre meine Hängematte und hasse Mobiltelefone. Bin ich deshalb kein Teil der "Großen Beschleunigung"?

Schon vor einigen Jahren stieß ich auf die Thematik, als ich im Urlaub ein Buch über Entschleunigung las. Was dort als alarmierender Lebensrhythmus beschrieben wurde, fühlte sich wie eine exakte Beschreibung meines Lebens an. Und wie das so ist, wenn man entspannt am Strand Kalabriens liegt: Ich entschied mich dafür, nicht mehr mitzumachen.

15 Jahre später sitze ich also hier, habe drei Handys, einen PC und ein Laptop vor mir, um alles gleichzeitig im Auge behalten zu können. Meine satten sieben E-Mail-Adressen zum Beispiel.

Irgendwas ist schiefgelaufen.

Wissenschaftler führen in der "Großen Beschleunigung" Analysen von Lebensstandard, Bevölkerung und technischem Fortschritt an. Durchaus kritisch zwar, aber eben auch sachlich, nüchtern. Doch im eigenen Leben können viele Menschen diese Entwicklung schon lange spüren.

Als Beispiel diene das Internet.

Ich möchte ein T-Shirt meiner Lieblingsband erwerben. Eine Minute im Onlineshop, Bestellung erledigt und per Online-Banking und Smartphone bezahlt. Morgen soll das Kleidungsstück geliefert werden. Wenige Momente später benachrichtigt mich ein Paketdienstleister, dass mein Shirt schon angekündigt wurde.

In meiner Jugend musste man sich in der Schule einen Kumpel suchen, der einen entsprechenden Katalog besaß. Dann füllte man eine Postkarte aus, ging zu Fuß zur Postfiliale an der Ringstraße (die gibt es nicht mehr), klebte eine Briefmarke darauf und schickte die Bestellkarte ab. Vier bis sechs Wochen später unser Postbote an der Haustüre, übergab das Paket und kassierte gleich ab.

Fortschritt? Ja. Irgendwie schon.

Doch ich vermisse das gespannte Blättern im Katalog. Das Ausfüllen der Bestellkarte. Und die tägliche Spannung, ob das Shirt denn gekommen ist, während ich in der Schule war. Mir wird bewusst, dass ich das Einfache und Langsame vermisse. Und gleichzeitig fallen mir mehrere weitere Aspekte meines Lebens ein, in denen ich das gleiche Gefühl habe.

Neben mir liegt meine Labrador-Hündin und schnarcht. Als ob sie meine Gedanken gehört hätte, seufzt sie, dreht sich auf die andere Seite und schläft weiter. Tja, Hunde sind wohl die intelligenteren Menschen. Sie leben im Moment, sagt man. Daher haben sie auch keine Smartphones und fragen nie nach kostenlosem Wlan. Sie sind kein Teil der "Großen Beschleunigung". Hund müsste man sein.