Deggendorfer Profi in der Türkei

Robin Yalcin: "Bisher meine stärkste Saison"


Robin Yalcin (vorne) spielt seit fast fünf Jahren in der Türkei.

Robin Yalcin (vorne) spielt seit fast fünf Jahren in der Türkei.

Der gebürtige Deggendorfer Robin Yalcin (26) spielt seit fast fünf Jahren in der Türkei Fußball. Im idowa-Interview spricht der junge Familienvater über die Coronakrise, seine sportliche Situation und seine Zukunft.

Herr Yalcin, wo erreichen wir Sie gerade?
Robin Yalcin: Ich bin seit gut dreieinhalb Wochen mit meiner Frau und meiner Tochter in Stuttgart. Ich bin dankbar, dass wir alle gesund sind.

Wie nehmen Sie die aktuelle Corona-Situation wahr?
Yalcin: Anfangs wurde das Virus ja verharmlost, inzwischen hat es die ganze Welt lahmgelegt. Viele haben lange den Ernst der Lage nicht erkannt. Inzwischen sollte aber jeder sehen, wie viel Schaden das Virus angerichtet hat. Natürlich geht es auch um Existenzen, aber die Gesundheit steht aktuell im Vordergrund.

Wie sieht Ihr Alltag derzeit aus?
Yalcin: Ich halte mich individuell fit. Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag trainiere ich zweimal täglich, am Mittwoch und Samstag je einmal und am Sonntag lege ich einen regenerativen Tag ein. Ansonsten verbringe ich viel Zeit mit meiner Frau und der Kleinen.

Genießen Sie es, etwas mehr Zeit mit der Familie zu haben?
Yalcin: Durchaus, das ist schon eine schöner Nebeneffekt. Die Kleine wurde im Januar geboren. Ich bin froh, daheim zu sein. So viel Zeit für die Familie hat man als Fußballer sonst nur während der Sommer- oder Winterpause. Aber dennoch darf man die schlimme Situation nicht ausblenden, die gerade vor sich geht.

Wie ist Ihr Kontakt in die Türkei, wie nehmen Sie die Situation dort aus der Ferne wahr?
Yalcin: Ich habe mit meinem Berater ein-, zweimal pro Woche Kontakt. Auch mit meinem Verein bin ich regelmäßig in Kontakt, da ich auch wissen muss, ob und wenn ja wann es weitergeht. Insgesamt hat die Türkei schnell reagiert. Nachdem der erste Fall bekannt war, wurde sofort alles zugemacht, die Schulen, die Restaurants. Es gab tageweise komplette Lockdowns in den Großstädten, auch in Malatya, der Stadt meines Vereins. Zudem durften die Leute unter 20 und über 65 nicht mehr raus.

Der Fußball hat dagegen relativ spät reagiert im Vergleich zu den anderen Ligen.
Yalcin: Wir haben bis eine Woche vor der Länderspielpause als ziemlich einzige Liga noch gespielt, da bis dahin noch kein großes Risiko bestand, um nicht weiter zu spielen. Danach hat die Federation aber entschieden, die Liga zu stoppen, da sich das dann geändert hatte.

Sie haben vor der Pause noch ein Geisterspiel absolviert. Wie war's?
Yalcin: Es ist schon ein komisches Gefühl, da der Fußball von Emotionen lebt und die durch die Zuschauer nochmal besonders in den Fokus rücken können. Es ist eine neue Situation für alle, aber das wird uns vermutlich die nächsten Monate begleiten. Ich denke, Spiele vor Zuschauern werden erst einmal nicht mehr möglich sein. Dann müssen wir es schaffen, mit dieser Situation umzugehen und versuchen unsere Spiele zu gewinnen.

Gerade in Deutschland gibt es hitzige Diskussionen darüber, ob die Bundesliga zeitnah wieder spielen soll. Wie stehen Sie dazu?
Yalcin: Die Liga hat ein Gesundheitskonzept vorgelegt. Jetzt müssen das andere Leute entscheiden. Das liegt nicht in der Hand des Fußballs. Als Fußballer würde ich sagen, man will spielen. Es ist einfach etwas anderes, wenn du nur zu Hause läufst. Und man muss auch an die Vereine denken. Wenn es nicht weitergeht, wird es in ein paar Monaten keine 36 Bundesligisten mehr geben. Es ist ein schmaler Grat.

Wie ist die Lage in der Türkei, ist das Fortsetzen der Saison angedacht?
Yalcin: Am Freitag soll eine Entscheidung fallen, auf die warten wir jetzt. Letztlich sind wir Arbeitnehmer und müssen warten, bis der Verein sagt, es geht wieder los mit dem Training. Es gibt in der Türkei verschiedene Überlegungen, ob man die Spieler beispielsweise in eigenen Hotels unterbringen soll. Ich bin mir sicher, keine Liga wird einen Start machen, ohne dass ein entsprechender Plan bezüglich der gesundheitlichen Vorkehrungen dahinter steckt.

Sind die TV-Gelder in der Türkei ein ähnlich großes Thema wie in Deutschland?
Yalcin: Ja. Ich denke, dass die TV-Gelder generell relativ hoch und die größte Einnahmequelle sind, egal in welcher Liga. Wenn die fehlen, wird das jedem Verein weh tun. Fußball ist einfach ein Geschäft, in dem sehr viel Geld fließt. Da die Zuschauereinnahmen erst einmal wegbrechen, werden die TV-Erlöse umso wichtiger sein.

Es braucht offensichtlich nur wenige Monate ohne Spielbetrieb, bis viele Clubs am Rande der Existenz stehen. Die Summen, egal ob Ablöse oder Gehälter, wurden zuletzt immer größer. Denken Sie, dass der Fußball aus der aktuellen Situation lernt, dass sich der Markt vielleicht reguliert?
Yalcin: Das ist schwierig vorauszusagen. Abseits der ganz großen Clubs, die sich das womöglich weiterhin leisten können, glaube ich nicht, dass es in diesem Sommer große Transfers geben wird. Da wird der Fokus vor allem darauf liegen, mit Spielern, deren Verträge auslaufen, zu verlängern oder ablösefreie Spieler zu verpflichten. Viele Vereine werden erst einmal schauen müssen, dass sie überleben. Ich glaube nicht, dass so viel Bewegung auf dem Markt sein wird. Wenn die Coronakrise vorbei ist und es der Wirtschaft wieder besser geht, glaube ich aber nicht, dass sich grundlegend etwas verändern wird.

Robin Yalcin über den Fußball in der Türkei, die Rolle als Führungsspieler und seine Zukunft

Sie sind nun bald fünf Jahre in der Türkei. Wie ordnen Sie die Zeit bislang ein?
Yalcin: Eine sehr lehrreiche Zeit. Ich habe viele Erfahrungen gesammelt, für die ich sehr dankbar bin. Die Liga hat sich, seit ich hier bin, sehr stark weiterentwickelt, das gesamte Niveau ist stark gestiegen, es ist eine starke Liga geworden.

Wie haben Sie den türkischen Fußball kennengelernt?
Yalcin: Als sehr körperbetont. Die deutsche Liga ist ja doch sehr taktisch geprägt, das lernst du da auch von klein auf. Als ich mit 15 Jahren zum VfB Stuttgart gewechselt bin, wurden wir bereits taktisch geschult. Ein solches System mit Nachwuchsleistungszentren gibt es in der Türkei nicht, die meisten Spieler kommen über Transfers zu den Clubs. In den letzten Jahren hat sich der Fußball aber in puncto Schnelligkeit und auch taktisch sehr weiterentwickelt.

Wie haben Sie sich selbst in der Zeit entwickelt?
Yalcin: Ich bin mit 21 Jahren hingewechselt und konnte mir einen Stammplatz erkämpfen. Ich durfte zusammen mit oder gegen Nationalspieler spielen. Mit 21 versuchst du zunächst einmal, dich zu behaupten und zu lernen. Mit der Zeit weißt du, wie die Liga tickt, wie die Mentalität dort ist und an welchen Punkten du ansetzen musst. Ich würde mich selbst als akribischen Arbeiter einschätzen und habe mich angepasst und entwickelt.

Im Januar 2019 haben Sie den Verein gewechselt. Wie kam es damals dazu?
Yalcin: Bei meinem alten Verein Rizespor habe ich die vier Spiele vor der Winterpause nicht mehr gespielt. Ich habe mit den Verantwortlichen geredet, da gingen die Meinungen jedoch dann einfach auseinander, wie das mal vorkommen kann im Fußball. Der Trainer von Malatyaspor wollte mich schon ein Jahr zuvor holen und der Kontakt kam wieder zustande. So bin ich dann bei Malatya gelandet. Wir sind letztlich Fünfter geworden und haben uns für die Europa-League-Qualifikation qualifiziert.

Und diese Saison? Aktuell steht Ihr Team auf dem 15. Platz.
Yalcin: Es lief in der Hinrunde eigentlich ziemlich gut, wir waren teilweise vorne dabei und lange im Mittelfeld. In den letzten Wochen hatten wir dann leider einen Negativ-Lauf, dann gingen einige Sachen schief. In einer solchen Phase machst du dir schon auch viele Gedanken. Vielleicht tut uns die aktuelle Pause sogar ganz gut.

Für Sie persönlich läuft es ziemlich gut. Sie sind Stammspieler, haben schon drei Tore erzielt, so viele wie noch nie in einer Saison im Herrenbereich.
Yalcin: Das stimmt. Ich habe 24 Spiele gemacht, alle von Beginn an. Nur zweimal habe ich gesperrt gefehlt. Seit ich in der Türkei bin, ist das sicherlich meine stärkste Saison. Ein großer Faktor ist, dass ich die ganze Saison gesund geblieben bin. Ich achte dafür auch sehr auf Themen wie Schlaf und Ernährung.

Haben Sie sich inzwischen auch zu einem Führungsspieler entwickelt? Gehen Sie in einer schwierigen Phase wie der aktuellen voran?
Yalcin: Ich denke in so einer Phase, in der wir gerade sind, braucht man Spieler, die vorne weggehen. Die präsent sind, sei es mit der Körpersprache, verbal oder indem sie den Ball immer haben wollen, um den Mitspielern zu helfen und zu fighten. Und ich denke, dass ich so ein Spielertyp schon immer war und deswegen scheue ich nicht die Verantwortung und versuche, meiner Mannschaft damit zu helfen. Aber ich bin sicher, als Mannschaft werden wir uns da wieder rausziehen.

Ihr Vertrag läuft im Sommer aus. Haben Sie schon entschieden, wie es weitergehen soll?
Yalcin: Ich bin für alles offen. Jetzt wäre die Phase, in der man anfängt, Gespräche zu führen. Aufgrund der Coronasituation ist das aber aktuell schwierig. Es ist eine Option, dass ich verlängere und bleibe, ich kann mir aber auch vorstellen, etwas anderes zu machen. Ich werde schauen, welche Optionen ich habe, die positiven und negativen Seiten abwägen, und dann gemeinsam mit der Familie entscheiden, was der nächste Schritt ist.

Gibt es eine Liga, die Sie reizen würde?
Yalcin: Die englische Liga ist sicher sehr interessant. Es ist die größte Liga, die anspruchsvollste, es gibt einige Teams, die Meister werden können. Aber auch eine Rückkehr nach Deutschland wäre für mich vorstellbar.

Im Januar kam Ihre Tochter Aleyna auf die Welt. Wie hat sich Ihr Leben dadurch verändert?
Yalcin: In erster Linie habe ich weniger Schlaf (lacht). Ich habe kleine Schwestern und die Kleinste habe ich von klein auf miterlebt. Aber bei der eigenen Tochter ist das einfach etwas ganz anderes. Sie stellt die Welt komplett auf den Kopf. Man kann das nicht mit Worten beschreiben, wenn man sie in Händen hält. Inzwischen nimmt sie schon mehr wahr, greift und versucht zu reden. Wenn die Kleine schreit, dich aber später anlächelt, dann vergisst du den Schlaf, den du nicht hattest, sofort.

Wie ist die langfristige Planung mit Ihrer Familie. Zieht es Sie irgendwann wieder zurück nach Deutschland?
Yalcin: Stand jetzt würde ich sagen ja. Wir fühlen uns in Deutschland sehr wohl. Ich denke, wenn meine Karriere - hoffentlich erst in einigen Jahren - vorbei ist, werden wir uns hier irgendwo niederlassen. Aber es kann auch sein, dass es ein Land oder eine Stadt gibt, die uns so gefällt, dass wir dort bleiben wollen. Nach der aktiven Karriere kann ich mir auch gut vorstellen, etwas in die Richtung Trainer zu machen. Aber da muss ich erst mit meiner Frau reden, wie schnell sie mich, nachdem ich dann schon so lange im Fußball unterwegs war, wieder etwas in dem Business machen lässt (schmunzelt).