Corona-Pandemie

Intensivmediziner fordern Umfrage zum Stand des Impfens


Nach einer RKI-Befragung scheinen mehr Erwachsene mindestens einmal geimpft zu sein als offiziell erfasst.

Nach einer RKI-Befragung scheinen mehr Erwachsene mindestens einmal geimpft zu sein als offiziell erfasst.

Von mit Material der dpa

Sind in Deutschland mehr Menschen mindestens einmal gegen das Coronavirus geimpft als gedacht? Intensivmediziner wollen Klarheit. Und auch über andere Aspekte des Impfens wird intensiv diskutiert.

Intensivmediziner haben eine unabhängige, repräsentative Bevölkerungsumfrage zum Stand des Impfens in Deutschland gefordert. "Das Impfen ist der entscheidende Erfolgsfaktor der Pandemie. Wir müssen alles dafür tun, das Vertrauen in die Impfkampagne zu stärken", sagte Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Es sei deswegen wichtig, die vom Robert-Koch-Institut (RKI) berichtete Differenz zwischen offiziellen Meldezahlen und Umfrageangaben bei der Impfquote der unter 60-Jährigen schnell durch eine unabhängige, repräsentative Umfrage zu prüfen.

Nach einer Befragung des RKI scheinen mehr Erwachsene in Deutschland mindestens einmal geimpft zu sein als bislang offiziell erfasst. Der Unterschied zum sogenannten Digitalen Impfquotenmonitoring (DIM), das dem Impfdashboard zugrunde liegt, sei besonders auffällig gewesen in der Altersgruppe der 18- bis 59-Jährigen, geht aus einem RKI-Report zu der Befragung hervor. Während bei der Erhebung namens Covimo (kurz für: Covid-19 Impfquoten-Monitoring) 79 Prozent der Erwachsenen unter 60 Jahren angaben, mindestens einmal geimpft zu sein, waren es laut dem offiziellen System 59 Prozent.

"Verlässliche Zahlen sind die Basis für die Akzeptanz der Corona-Maßnahmen", so Marx. "Sollte die Impfquote in der Gruppe der 18- bis 59-jährigen tatsächlich viel höher liegen als gemeldet, hätten wir gerade mit Blick auf den Herbst eine viel entspanntere Lage."

Wissing: Unsicherheit sei "erneutes Ärgernis"

FDP-Generalsekretär Volker Wissing sagte den Funke-Zeitungen und der "Rheinischen Post", die Unsicherheit über die tatsächliche Impfquote sei "ein erneutes Ärgernis im Management dieser Krise". Die Inzidenzwerte und die Impfquote hätten konkrete Auswirkungen auf den Alltag der Menschen. "Jetzt steht die für die Herdenimmunität der Bevölkerung so wichtige Impfquote in Frage, weil die Bundesregierung nicht über gesicherte Zahlen verfügt", so Wissing in den Funke-Zeitungen.

Außerdem hält der FDP-Generalsekretär einen Paradigmenwechsel in der Corona-Politik für notwendig. "Wir können nicht einfach so weitermachen wie bisher. Die Notwendigkeit, zu einer neuen Normalität zu kommen, steigt von Woche zu Woche", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Zusammenhang von Impfquoten und AfD-Zuspruch

Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, sieht unterdessen einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen vergleichsweise niedrigen Impfquoten in den neuen Bundesländern und dem hohen Zuspruch für die AfD in diesen Regionen. "Es gibt zwischen der Zustimmung für die AfD und Impfablehnung einen klaren Zusammenhang. Er lässt sich nicht wegdiskutieren", sagte der CDU-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die allermeisten AfD-Funktionäre gingen aggressiv gegen das Impfen sowie gegen sämtliche Corona-Maßnahmen vor - "ähnlich wie der frühere US-Präsident Donald Trump". Er gehe deshalb davon aus, "dass wir in Ostdeutschland im Herbst aufgrund der Delta-Variante eine Corona-Welle sehen werden, die das Gesundheitssystem erneut an seine Grenzen bringen wird".

AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel bekräftigte ihre Ablehnung zu unterschiedlichen Regelungen für geimpfte und ungeimpfte Menschen in der Corona-Politik. "Wir sind für die Freiheit für alle Bürger, egal ob geimpft oder ungeimpft", sagte sie den Funke-Zeitungen. Mit Hygiene- und Abstandsregeln könne man schon sehr viel abfangen. Die Maßnahmen der Bundesregierung dagegen seien völlig überzogen.

Soziale Frage

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, sieht in dem von den Ministerpräsidenten und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag beschlossenen Ende der Gratis-Tests eine Ungleichbehandlung für Menschen mit geringem Einkommen. "Menschen, die sich aus ganz persönlichen Gründen nicht impfen lassen wollen, aber nur über ein geringes Einkommen verfügen, werden mit dem Ende der Gratis-Tests sehr stark belastet. Für sie sind zusätzliche Kosten von 10 oder 20 Euro in der Woche eine kaum zu schulternde Belastung", sagte Schneider der "Rheinischen Post".

Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Alena Buyx, mahnte einen zurückhaltenden Umgang des Staates mit der sogenannten 2G-Regel an, mit der ungeimpfte Getestete anders als Geimpfte und Genesene etwa von Veranstaltungen ausgeschlossen werden können. "Aus ethischer Perspektive ist es wichtig, in der Pandemie so viel Teilhabe wie möglich am gesellschaftlichen Leben für alle zu gewährleisten und individuelle Wahlmöglichkeiten zu erhalten - auch wenn nicht alle Kosten dafür vom Staat übernommen werden müssen", sagte Buyx der "Rheinischen Post". "Private Anbieter sind frei darin, die 2G-Regel einzuführen, aber der Staat sollte mit der 2G-Regel sehr maßvoll und situationsangepasst umgehen."