Corona-Lockerungen im Einzelhandel

Welche Aussichten haben die kleinen Geschäfte?


Fast alltägliches Stadtbild: Schon jetzt sind vielerorts Schilder mit Nachrichten wie "Räumungsverkauf" zu lesen. Die Folgen könnten laut Experten aufgrund des "Trading-Down-Effekts" verheerend sein. (Symbolbild)

Fast alltägliches Stadtbild: Schon jetzt sind vielerorts Schilder mit Nachrichten wie "Räumungsverkauf" zu lesen. Die Folgen könnten laut Experten aufgrund des "Trading-Down-Effekts" verheerend sein. (Symbolbild)

Auch nach der Lockerung der Corona-Maßnahmen scheint der ostbayerische Einzelhandel nur schwer in Fahrt zu kommen. Experten rechnen damit, dass bis zu zehn Prozent der kleinen Geschäfte bis zum Ende des Jahres aufgeben müssen. Werbegemeinschaften appellieren an Kunden, möglichst viel offline zu shoppen. Gleichzeitig sehen Politiker die Zukunft des Einzelhandels digital - was ist der Weg aus der Abwärtsspirale?

Die Maßnahmen sind gelockert, nur der Schwung stellt sich nicht ein. Der Neustart im Handel scheint mühsam. Um etwa 20 Prozent liegen die Umsätze im Einzelhandel im Durchschnitt unter den Vor-Corona-Werten. Einigen Geschäften geht es aber noch deutlich schlechter - allen voran kleinen Modegeschäften und Boutiquen, wie der Bayerische Einzelhandelsverband gegenüber idowa bestätigt. Auch Buchläden gehören nach wie vor zu den Corona-Verlierern - allgemein die Geschäfte, die darauf angewiesen sind, dass die Kunden verweilen und sich durch das Sortiment wühlen. Etwa 58.000 solcher vorwiegend kleiner Geschäfte gibt es im Freistaat. Bis Ende des Jahres könnten laut Berechnungen des Einzelhandelsverbands etwa 5.000 von Ihnen verschwunden sein.

Gerade die kleinen Läden in den Innenstädten können in der Corona-Zeit ihre Trümpfe nicht ausspielen. Das Geschäftsmodell der kleinen Boutiquen basiere auf einem Gefühl, sagt Bernd Ohlmann, der Sprecher des Handelsverbands Bayern: "Beim Textilhandel muss man auch Lust auf Shoppen haben, das muss Spaß machen. Wer 20 Anzüge hat, braucht nicht unbedingt einen 21., aber er kauft vielleicht einen, wenn er sich im Laden wohl fühlt. Zurzeit ist es eher so: Die Leute wissen, sie brauchen ein weißes T-Shirt, gehen in den Laden, holen nur das weiße T-Shirt und gehen sofort wieder raus. Auch im Buchladen gehört das dazu, dass man rumschmökert und vielleicht ungeplant noch ein zweites oder drittes Buch dazu kauft."

Das Masken-Paradox

Liegt es nun an der Notwendigkeit, Masken zu tragen, dass die Kunden der kleinen Mode-, Platten- und Musikgeschäfte nicht lange in den Geschäften verweilen? Laut Bernd Ohlmann bedingt die Spaltung in Masken-Kritiker und -Befürworter, dass dem Handel das Geschäft doppelt verhagelt wird: "Unserer Erfahrung nach gibt es viele Kunden, die sagen: ‚Ich gehe nicht mehr stationär einkaufen wegen der Maske.' Viele sagen aber auch: ‚Ich gehe nicht mehr stationär einkaufen, weil die Leute die Maske nicht richtig tragen und ich mich nicht sicher fühle.'"

Erwacht die Shopping-Lust also generell erst wieder, wenn die Pandemie bezwungen scheint? "Die nächsten Wochen werden entscheidend sein", sagt Bernd Ohlmann. Und meint damit gleichermaßen die vermeldeten Infektionszahlen wie auch die politischen Entscheidungen. Zahlreiche Rettungspakete haben bislang eine große Pleitewelle verhindert - oder doch nur aufgeschoben? "Gefährlich wird es auch dann, wenn die gestundeten Ausgaben fällig werden. Besonders dem Herbst sehen wir hier mit großer Sorge entgegen", erklärt Karin Pecher vom Bund der Selbstständigen in Niederbayern.

Herbst der Entscheidung für den Handel?

Auch für Bernd Ohlmann entscheiden sich im Herbst viele Einzelhandelsschicksale: "Am 1. November beginnt das Weihnachtsgeschäft. Das ist die wichtigste Zeit des Jahres überhaupt, da machen wir ein Fünftel des Jahresgeschäfts. Ich sag nur Winter, Viren, Grippe - wenn da ein Lockdown kommt, können viele einpacken, über denen jetzt schon der Pleitegeier kreist." Schon jetzt türmen sich die Schulden der selbstständigen Händler weiter auf, ganz ohne zweiten Lockdown, sagt Karin Pecher vom Bund der Selbstständigen: "Die Corona-Soforthilfe reicht in mehr als 50 Prozent der Fälle nicht aus, um wenigstens die monatlichen Fixkosten zu decken."

Die Abwärtsspirale scheint gerade in den Innenstädten vielerorts schwer zu stoppen. Denn mit jedem Geschäft, das zumacht, verliert eine ganze Einkaufsmeile an Attraktivität, erklärt Bernd Ohlmann: "Man spricht vom Trading-Down-Effekt. Wenn man durch die Straßen geht und sieht: ‚Ah, dieser hier hat dicht gemacht, jener macht gerade dicht.' Räumungsverkauf-Plakate kleben an den Schaufenstern - das kann eine ganze Einkaufsstraße runterziehen. Da kommt einiges auf Handel und Kommunen zu, auch die Gastronomie ist mit im Boot."

Altmaiers Rettungsplan mit Fragezeichen

Wie Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier am Montag verkündet hat, will er mit diversen Maßnahmen die kleinen Einzelhändler retten. Städte müssten Erlebnisorte werden, hieß es aus dem Berliner Ministerium. Alles gut und richtig, sagt Handelssprecher Bernd Ohlmann. An einer Umsetzung zweifelt er allerdings: "Ich bin jetzt 20 Jahre beim Verband. Solche Schlagworte hab ich an meinem ersten Tag schon gehört." Die Städte hätten wichtige Aspekte oft nicht im Blick: "Sauberkeit ist wichtig. Man muss sich wohl fühlen." Gerade in einer Zeit, in der die Menschen mit einem Infektionsgeschehen konfrontiert werden, sei das essentiell. Auch Parkmöglichkeiten und ähnliches seien ein Thema - aber nicht erst seit Corona.

Als Vielversprechender schätzt Ohlmann die Hilfen zur Digitalisierung des Einzelhandels ein. Altmaier will den Händlern Geld für die entsprechende Ausstattung mit Online-Shop, Homepage und Social-Media-Präsenz zur Verfügung stellen. Der ehemalige Todfeind Internet als Retter für den Einzelhandel? Das zeichne sich durchaus ab, sagt der Einzelhandelssprecher: "Gut geht es den Geschäften, die zwei Standbeine haben, online und stationär. Viele Geschäfte, die bisher eine Online-Allergie hatten, haben jetzt gemerkt, wie sehr andere Händler von ihrer digitalen Präsenz profitieren und haben jetzt noch schnell nachgerüstet. Viele Leute sagen heute: ‚Natürlich kaufe ich gerne online. Aber ich würde das am liebsten bei regionalen Händlern tun.'"