Bundeswehr in Afghanistan

Countdown für das Ende der Evakuierungsaktion


Am Wochenende muss der Evakuierungs-Einsatz für die Bundeswehr in Kabul beendet sein. Bis dahin alle verbliebenen Deutschen und Ortskräfte auszufliegen, scheint nahezu unmöglich.

Am Wochenende muss der Evakuierungs-Einsatz für die Bundeswehr in Kabul beendet sein. Bis dahin alle verbliebenen Deutschen und Ortskräfte auszufliegen, scheint nahezu unmöglich.

Von mit Material der dpa

US-Präsident Biden hat alle Bitten der Verbündeten um einen späteren Abzug aus Afghanistan in den Wind geschlagen. Nun tickt die Uhr für die militärische Evakuierungsaktion. Sicher ist schon jetzt: Ohne die Taliban geht dann nichts mehr.

Das Zeitfenster für die militärische Evakuierung aus Afghanistan schließt sich nun schneller als in Berlin erhofft. Wohl nur bis Freitag bleibt, um mehr als 200 Deutsche, darunter vor allem Doppelstaatler, sowie noch deutlich mehr einheimische Ortskräfte aus Kabul mit der Bundeswehr auszufliegen - ein praktisch unmögliches Unterfangen. Am Wochenende muss der Einsatz beendet sein, nachdem die US-Regierung an einem Abzug ihrer Truppen bis Dienstag festhält.

Das Rennen gegen die Zeit nehmen Deutschland und die Verbündeten auch mit dem Einsatz von Spezialkräften auf. Schutzbedürftige werden zu einem Sammelpunkt bestellt und - wie bei einem Einsatz in der Nacht zum Mittwoch - mit Beteiligung des Kommandos Spezialkräfte (KSK) abgeholt. Das Problem: Ein solcher Treffpunkt ist nach dem Abflug von Hubschraubern oder geschützten Wagen "verbrannt". Er kann kein weiteres Mal benutzt werden.

Absprachen mit den Taliban

Deswegen setzen Nato-Staaten unter Führung der USA auch auf Absprachen, die nun mit den militant-islamistischen Taliban als faktischer Ordnungsmacht getroffen werden. Diese geleiteten bereits multinationale Konvois durch ihre Kontrollstellen Richtung Flughafen, wie Abgeordneten im Verteidigungsausschuss am Mittwoch erklärt wurde. Durchaus "verlässlich" seien sie bei dieser Art Absprachen, die einen Vorgeschmack auf das weitere Vorgehen in Afghanistan geben können.

Seit Tagen arbeitet die Bundesregierung an einem Plan B für den schon befürchteten frühen Abzug der US-Amerikaner. Dabei ist eins klar: Ohne die Taliban geht nach dem 31. August nichts mehr. Das machte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch im Bundestag deutlich: "Die Taliban sind jetzt Realität in Afghanistan. Diese neue Realität ist bitter, aber wir müssen uns mit ihr auseinandersetzen."

Der deutsche Diplomat und Afghanistan-Experte Markus Potzel führt im Golfemirat Katar Gespräche mit Taliban-Vertretern über die Evakuierungsaktion. Am Mittwoch meldete er einen ersten Erfolg: Der Unterhändler der Taliban habe zugesagt, dass Afghanen auch nach dem US-Truppenabzug mit kommerziellen Flügen das Land verlassen dürften, twitterte er.

Großes Fragezeichen hinter Flughafenbetrieb

Ein weiterer Betrieb für Starts und Landungen ziviler Gesellschaften ist nach Einschätzung deutscher Militärs allerdings zunächst fraglich, wenn nicht unwahrscheinlich. Der zivile Teil des Flughafens ist praktisch geplündert, der militärische Teil ganz von den US-Experten abhängig. Die Risiken seien zudem ohne den Schutz durch die US-Truppen unkalkulierbar, auch wenn die Taliban selbst Interesse an einem Flugverkehr haben müssten. "Zunächst gilt: Selbst wenn man dort landen könnte, wäre unklar, ob man wieder starten kann. Was ist mit den technischen Anlagen, dem Treibstoff, der Sicherheit am Boden. Wird das Flugzeug gestürmt?", sagt ein von der dpa befragter Experte.

Die Alternative ist die Ausreise auf dem Landweg. Einige Afghanen haben sich schon alleine in Nachbarländer durchgeschlagen. Das ist aber weder ungefährlich, noch einfach. Es ist weitgehend unklar, wie viele Kontrollposten die Taliban auf den Überlandstraßen betreiben und wie die Kämpfer, die an diesen stehen, reagieren. Gleichzeitig sind die wenigsten Grenzübergänge in Nachbarländer aktuell geöffnet, unvorhersehbare Schließungen sind jederzeit möglich. Zudem brauchen Afghanen für alle Nachbarländer Visa, doch viele dieser Länder stellen aktuell keine aus.

Ausreiselisten ändern sich stetig

Um wie viele Menschen es der Bundesregierung noch geht, kann niemand so genau sagen. Die Ausreiselisten ändern sich ständig. Klar ist nur: Es geht um Tausende, die Schutz vor den Taliban suchen. Zunächst einmal sind da die deutschen Staatsbürger. 500 sind schon ausgeflogen worden - viel mehr, als ursprünglich vermutet. Unter den noch Verbliebenen sind viele Doppelstaatler. Um sie kümmert sich die Bundesregierung mit einer gewissen Priorität. Das Problem: Doppelstaatler werden von den Taliban - ein Spiegelbild der Logik - als Afghanen angesehen. Das erschwert die Lage.

Wie viele ehemalige afghanische Mitarbeiter von Bundeswehr und Bundesregierung noch im Land sind, ist unklar. Vergangenes Wochenende wurden die Kriterien noch einmal erweitert. Jetzt sollen alle, die zu irgendeinem Zeitpunkt seit 2013 unter Vertrag waren, aufgenommen werden. Wie viele noch im Land sind? Das kann keiner sagen.

Und dann ist da noch eine dritte Kategorie: Afghanische Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtlerinnen, also besonders gefährdete Personen ohne Staatsbürgerschaft und Beschäftigungsverhältnis mit deutschen Behörden. Ihre Zahl dürfte auf jeden Fall vierstellig sein. Für sie wird es wohl am schwierigsten, sich vor den Taliban in Sicherheit zu bringen.