Brände nahe dem Reaktor

Tschernobyl: Wie hoch ist das Strahlungsrisiko?


Dieses Foto der ukrainischen Polizei zeigt den Feuerschein der Brände in der Sperrzone am 12. April. Aktuell lodern im Gebiet um den Katastrophen-Reaktor noch immer einige Schwelbrände.

Dieses Foto der ukrainischen Polizei zeigt den Feuerschein der Brände in der Sperrzone am 12. April. Aktuell lodern im Gebiet um den Katastrophen-Reaktor noch immer einige Schwelbrände.

Von Redaktion idowa und mit Material der dpa

Vor gut zwei Wochen sind in der Ukraine rund um das ehemalige Atomkraftwerk Tschernobyl Brände ausgebrochen, die aktuell noch immer nicht unter Kontrolle sind. Die Umweltschutzorganisation "Greenpeace" befürchtet eine schwere Strahlungsbelastung durch aufgewirbelte radioaktive Partikel. Wie groß ist die Gefahr für die Region und für Deutschland? idowa hat bei einem Atomsicherheits-Experten nachgefragt.

Noch keine entscheidenden Fortschritte bei den Löscharbeiten. Das meldet die Deutsche Presseagentur am Dienstag in Bezug auf die Brände in dem radioaktiv belasteten Gebiet um das havarierte Kraftwerk Tschernobyl. Nach Angaben des unkrainischen Katastrophenschutzes löschten auch am Dienstag knapp 1.400 Feuerwehrleute etwa sechs Schwelbrände. Unterstützt von schwerer Technik der Armee seien inzwischen über 400 Kilometer Brandschutzschneisen geschlagen worden.

Die Behörden versicherten erneut, dass die Radioaktivität in den an das Sperrgebiet angrenzenden besiedelten Gebieten unterhalb der Grenzwerte liege. Doch Umweltorganisationen schlagen Alarm.

Fläche von 48.700 Hektar betroffen

Die Umweltschützer von "Greenpeace" zeigen sich in einer Pressemitteilung alarmiert von den Vorgängen rund um das Atomkraftwerk. Eine Analyse von Satellitenbildern habe ergeben, dass dort durch das Feuer auf einer Fläche von 48.700 Hektar Radioaktivität aufgewirbelt worden sei. "Zum Zeitpunkt ihrer größten Ausdehnung kamen die Waldbrände in der Sperrzone um das havarierte Atomkraftwerk bis auf 1,5 Kilometer an den Sarkophag des Reaktors heran" heißt es weiter.

Heinz Smital, der Atomphysiker von Greenpeace, spricht von "einer großen gesundheitlichen Gefahr", da die Wälder in der Ukraine stark radioaktiv seien. "Seit der Explosion des Reaktors 1986 finden sich Cäsium 137, Plutonium 239 und Strontium 90 in der oberen Humusschicht und den Pflanzen." Es handelt sich bei diesen Stoffen um radioaktive Isotope, die bei Kernspaltungsprozessen entstehen beziehungsweise dafür verwendet werden. Teils reicht bereits eine Aufnahme von wenigen Mikrogramm, um beim Menschen schwere Krankheiten wie etwa Krebs auszulösen. Smital warnt: "Das Feuer wirbelt das radioaktive Material in die Luft und verteilt es weitläufig mit dem Wind." Könnte hier also möglicherweise eine Gefahr für die ganze Ukraine bestehen - und sogar für andere Länder?

Diese Satellitenaufnahme vom 10. April zeigt die Rauchwolken des Waldbrands in der Sperrzone um das stillgelegte Atomkraftwerk Tschernobyl. Der Rauch zog bis in die etwa 100 Kilometer entfernte Hauptstadt Kiew.

Diese Satellitenaufnahme vom 10. April zeigt die Rauchwolken des Waldbrands in der Sperrzone um das stillgelegte Atomkraftwerk Tschernobyl. Der Rauch zog bis in die etwa 100 Kilometer entfernte Hauptstadt Kiew.

Belastung vor Ort gering

Bisher gibt es laut Greenpeace keine Daten darüber, in welchen Mengen Strahlungspartikel von dem Feuer aufgewirbelt und weiter verteilt wurden. Ein Grund zur Sorge auch in Deutschland? Wolfgang Raskob vom Karlsruher "Institut für Thermische Energietechnik und Sicherheit" winkt ab. "Sowohl die zuständige Behörde als auch internationale Organisationen verfolgen den Verlauf der Waldbrände und ihre Auswirkung auf die Menschen", erklärt er gegenüber idowa. Die zuständige Behörde in Kiew und unterstützende Labors würden mit einem speziell zu diesem Zweck entwickelten Modell die aufgewirbelte Kontamination mit der aktuellen Wetterprognose verknüpfen. "Sowohl gemessene als auch berechnete Werte für die Region um Kiew sind in der Größenordnung von einigen hundert Micro-Becquerel pro Kubikmeter", sagt der Experte für atomare Sicherheit. "Die radiologische Belastung der Bevölkerung vor Ort liegt damit in der Größenordnung von einem Nano-Sievert." Folge man einer Studie des französischen Instituts für Nukleare Sicherheit (IRSN), das mit der Beobachtung der Brände betraut ist, dann sei die Belastung extrem niedrig.

Laut Raskob können in der Unkraine aufgewirbelte radioaktive Partikel durch den Wind zwar auch nach Deutschland getragen werden, "aber nur in sehr kleinen Mengen." Die Studie des IRSN bewerte die Auswirkung eingeatmeter Radioaktivität durch Stoffe aus der Brandzone für Frankreich als "insignifikant". Das treffe genauso auch auf Deutschland zu.

Ursache für die Brände in der Sperrzone?

In den vergangenen Jahren ist es in den unbesiedelten Gebieten rund um die Tschernobyl-Sperrzone mehrfach zu Feuern gekommen, als deren Ursache oft Brandstiftung vermutet wird. Der Block 4 im damals noch sowjetischen Atomkraftwerk Tschernobyl war im April 1986 explodiert, radioaktiv verstrahlte Landstriche um die Atomruine wurden deshalb gesperrt. Es handelte sich um die größte Atomkatastrophe in der zivilen Nutzung der Kernkraft. Es gab Tausende Tote und Verletzte, Zehntausende Menschen wurden zwangsumgesiedelt. Durch radioaktive Niederschläge wurden Teile Europas mit Strahlung belastet. In Deutschland sind die Auswirkungen der Katastrophe bis heute messbar. So weisen etwa bestimmte Pilzarten in Bayern teils erhöhte Strahlungswerte auf.