Bayern

Politik und Experten streiten um Abschuss von Wolf


Ein europäischer Grauwolf steht in einem Gehege.

Ein europäischer Grauwolf steht in einem Gehege.

Von dpa

Im Dezember hat ein Wolf mehrere Tiere in den Landkreisen Traunstein, Rosenheim und Berchtesgadener Land gerissen. Die Landespolitik fordert schnelle Konsequenzen und zieht damit viel Kritik auf sich.

München (dpa/lby) - Die Forderung nach dem schnellen Abschuss eines Wolfs in Oberbayern sorgt derzeit für massiven Streit zwischen der Staatsregierung und Wolfsexperten. Bayerns Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU) hatte zunächst die sogenannte Entnahme des für den Tod mehrerer Wild- und Nutztiere verantwortlichen Wolfs im Landkreis Traunstein gefordert. Aus ihrer Sicht wäre der Abschuss gerechtfertigt, da das Tier eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellt. Experten wiesen diese Aussage aber als haltlose Behauptung zurück.

"Ich hoffe auf eine rasche und klare Entscheidung der Umweltverwaltung, konkret der Regierung von Oberbayern, über den vorliegenden Entnahmeantrag. Das gilt gerade mit Blick auf die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den Wolf. Da kann man nicht beliebig zuwarten", sagte Kaniber am Mittwoch auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur in München.

Sie gab sich überzeugt, dass das Tier, welches laut Gen-Analysen des bayerischen Landesamtes für Umwelt (LfU) mehrere Risse in den Landkreisen Traunstein, Rosenheim und Berchtesgadener Land - zugleich Kanibers Heimat - im Dezember auf seinem Konto hat, alle Bedingungen erfüllt, die für eine sogenannte Entnahme notwendig sind: "Bei uns im Alpenraum sind zahlreiche Höfe, Almen und Weiden nicht schützbar. Vor allem aber müssen wir die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sehr ernst nehmen."

Experten vom Bund Naturschutz (BN) in Bayern und dem WWF sehen den Sachverhalt völlig anders. "Wir können hier kein gefährliches Verhalten erkennen", sagte BN-Wolfsexperte Uwe Friedel. Die Aussage, dass der Wolf Scheu verloren habe und deswegen eine Gefahr für Menschen darstelle, sei fachlich nicht haltbar. Der Wolf habe sich in Siedlungsnähe begeben, weil er dort Fressen in Form von ungeschützten Ziegen und Schafen gefunden habe. Dabei habe der Wolf kein Interesse am Menschen gezeigt. Ganz im Gegenteil - beim einzigen Kontakt mit einem Menschen sei der Wolf geflüchtet.

Moritz Klose, Programmleiter Wildtiere beim WWF Deutschland betonte: "Das EU-Recht ist, anders als die Ministerin dies suggeriert, auf der Seite des Artenschutzes. Zugleich stellt die EU finanzielle Mittel in erheblichem Umfang zur Verfügung, um Konflikte etwa bei der Nutztierhaltung zu verhindern. Bayern ruft dieses Geld aber bislang leider nicht ab." Anstatt mit Wolfs-Populismus Ängste zu schüren, sollte die Staatsregierung lieber die EU-Förderungen zur Finanzierung von Herdenschutzmaßnahmen in Anspruch nehmen. "Bayern hat es bisher versäumt die für den Herdenschutz verfügbaren Mittel über europäische Zuschüsse praktisch zu verdoppeln."

Statt einer sogenannten Entnahme des Wolfes möchte der BN mögliche Alternativen prüfen. So könnten die Herdenschutzmaßnahmen erhöht werden - etwa durch wolfsabweisende Zäune, indem die Nutztiere nachts im Stall untergebracht oder Herdenschutzhunde eingesetzt würden. "Bei keinem der Risse bestand ein ordnungsgemäßer Herdenschutz", sagte Friedel. Der BN halte deswegen den Abschuss für nicht gerechtfertigt.

Kritik musste sich Kaniber auch von den Grünen im Landtag anhören: "Die Voraussetzungen für einen Abschuss des Wolfes sind weder nach Bundes- noch nach EU-Recht gegeben", sagte Christian Hierneis, Fraktionssprecher für Umweltpolitik und Tierschutz. Der Staat müsse vielmehr seine Förderung für Schutzmaßnahmen vor dem Wolf verbessern. "Abschießen löst keine Probleme."

Kaniber kündigte zudem einen Vorstoß bei Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zu den Fragen eines staatenübergreifenden Wolfs-Monitorings, zum Erhaltungszustand und schließlich zur Anpassung des Schutzstatus an die tatsächlichen Verhältnisse an. Sie forderte die vollständige Umsetzung des EU-Rechtes in nationales Recht, damit in Deutschland die gleichen Möglichkeiten beim Management zur Verfügung stehen wie in anderen EU-Staaten.

Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) betonte auf Anfrage der dpa: "Ich kann die Sorgen der Menschen vor Ort nachvollziehen. Die Sicherheit der Menschen steht an erster Stelle. Hier gibt es keine Kompromisse." Wölfe in Siedlungsgebieten verdienten besondere Aufmerksamkeit - auch der Verlust von Nutztieren durch den Wolf werde sehr ernst genommen. "Alle rechtlichen Möglichkeiten werden jetzt intensiv geprüft. Sollten die Voraussetzungen vorliegen, muss der Wolf entnommen werden."

Nach Angaben des LfU hatte der Wolf im Dezember eine Ziege verletzt sowie weitere Ziegen und ein Wildgehege angegriffen. Zudem hatte er im Landkreis Rosenheim Wildtiere getötet. Am 19. Dezember riss der männliche Wolf im Berchtesgadener Land Schafe. Wölfe sind in Deutschland streng geschützt. Unter bestimmten Voraussetzungen ist aber ein Abschuss erlaubt - etwa wenn Gefahr für Nutztiere droht, die nicht anderweitig vor dem Wolf geschützt werden können.

Die Regierung von Oberbayern erklärte zur ausstehenden Entscheidung über die Entnahme des Wolfes: "Die Erkenntnisse des Landesamts für Umwelt zur Zuordnung der Schadensereignisse (...) bilden eine wichtige Grundlage für die Entscheidung der Regierung von Oberbayern (...)." Das Bundesnaturschutzgesetz sehe für die Entnahme strenge Voraussetzungen vor. "Hierzu zählt auch, aber nicht nur die Frage, inwieweit Schadensereignisse einem bestimmten Tier zugeordnet werden können." Es werde "zügig an einer Entscheidung" gearbeitet.

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