Aktien in Corona-Zeiten

„Das Geld muss irgendwo hin“


Prof. Dr. Oliver Entrop hat den Lehrstuhl für Finance und Banking an der Universität Passau inne. Im Gespräch mit idowa erläutert er, was in Krisenzeiten im Anlagesektor zu beachten ist und was man mit 20.000 Euro Kapital derzeit anstellen kann.

Die Realwirtschaft verzeichnet in Teilen hohe Einbrüche im laufenden Jahr, etwa in Branchen wie dem Einzelhandel, in der Gastronomie oder auch in Teilen der Industrie. Gleichzeitig ist das Niveau zahlreicher Aktienindizes relativ hoch. Sind die Aktienkurse derzeit zu optimistisch veranschlagt?

Prof. Dr. Oliver Entrop: Aktienkurse behandeln nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft. Die Märkte scheinen momentan davon auszugehen, dass die wirtschaftliche Erholung nicht allzu lange auf sich warten lässt. Ob das zu optimistisch, das weiß man dann natürlich erst hinterher. Von Haus aus bin ich allerdings auch Optimist.

Was führt Sie dazu, optimistisch zu sein?

Entrop: Wenn die medizinische Entwicklung so voranschreitet, wie geplant, dann könnte man vielleicht schon in eineinhalb Jahren mit so etwas wie Normalität rechnen. Und dann könnte wirtschaftlich bis auf einige Branchen, die nach wie vor gebeutelt sind, alles wieder annähernd so sein wie vorher.

Die Aktienwerte zeigen immer wieder deutliche Schwankungen, auch bei scheinbar stabilen Werten von weltweit agierenden Unternehmen. Anlagen gleichen stellenweise einer Achterbahnfahrt. Gibt es Gründe dafür abseits der Unsicherheit durch Corona?

Entrop: Ich weiß gar nicht, ob wir hier wirklich eine Achterbahnfahrt haben. Natürlich ist die Luftfahrt eingebrochen, natürlich ist der Tourismus eingebrochen und etliche Tech-Aktien sind eingebrochen. Wenn man sich aber die Risiko-Indizes ansieht wie etwa den VDax in Deutschland, dann sind die nur minimal erhöht. Es ist eher der subjektive Eindruck, dass da zurzeit viel Bewegung im Markt ist. Im Durchschnitt sind diese Werte aber nur leicht erhöht. Gleichzeitig gibt es momentan neben Corona noch weitere Unsicherheiten. Das betrifft etwa die politische Entwicklung in den USA, aber vor allem längerfristig gedacht auch die großen Themen, etwa die digitale und ökologische Transformation der Wirtschaft. Das sind sicherlich Risiken, denen wir ausgesetzt sind. Aber auch sie führen nicht zu einer überdurchschnittlich hohen Volatilität an den Märkten.

Sehen Sie auch die Wirtschaftsbeziehungen mit China als derzeitigen Unsicherheitsfaktor?

Entrop: Auf jeden Fall. Insbesondere die Beziehungen USA und China. Ich denke aber, dass allen derzeit an einer Normalisierung gelegen ist.

"Klassische Zusammenhänge gelten nicht mehr"

Prof. Dr. Oliver Entrop lehrt Finance und Banking an der Universität Passau.

Prof. Dr. Oliver Entrop lehrt Finance und Banking an der Universität Passau.

Landläufige Zusammenhänge scheinen kaum mehr zu tragen. In Krisenzeiten investierte man traditionell etwa in vermeintlich sichere Werte wie Edelmetalle oder in Staatsanleihen und zog sich aus dem Aktienumfeld zurück. Aktuell scheint es so, als ob Anleger ihr Geld in allen Bereichen investiert halten und teils noch zukaufen. Der Goldpreis sprintet von einem Hoch zum nächsten, die Immobilienpreise sind nach wie vor hoch, gleichzeitig aber eben auch die Aktienmärkte. Ist das der Niedrigzinspolitik geschuldet, die dazu führt, dass Anleger weniger Kapital festverzinslich anlegen?

Entrop: Diese klassischen Zusammenhänge gelten schon länger nicht mehr und in der Tat beobachtet man diese Veränderung in Zusammenhang mit der Niedrigzinspolitik. Das heißt nun nicht, dass das der einzige Grund ist, aber es hat schon dazu geführt, dass extrem viel Liquidität im Markt ist. Und dieses Geld muss irgendwo hin. Der Korrekturfaktor, also der Marktpreis des Geldes, wirkt nicht mehr richtig, wenn eben die Zinsen künstlich niedrig gehalten werden. Zumindest nicht mehr in der Art und Weise, wie wir das vorher kannten.

Ist aus Ihrer Sicht dann zu viel Liquidität im Markt?

Entrop: Ich würde sagen, dass die Situation einfach derzeit eine andere ist. Ich würde das aber nicht werten wollen.

Eine Anhebung der Zinsen scheint derzeit kaum realistisch. Aber dennoch: Wäre das eine Möglichkeit, um Druck aus dem Anlagekessel zu nehmen?

Entrop: Ja, das könnte so passieren. Aber man muss bedenken, dass das Ganze ein Nullsummenspiel ist. Es gibt ja einen Grund, weshalb die Zinsen so niedrig sind, und der besteht darin, einige ökonomisch labile Staaten, stabil zu halten. Würde man die Zinsen anheben, dann würde sicherlich wieder mehr Anlagevolumen klassisch angelegt, aber das hätte wiederum Auswirkungen auf die ökonomisch labilen Staaten. Und das könnte dann wiederum wirtschaftlich gesehen alle anderen auch betreffen. Man würde Druck aus dem Anlagekessel nehmen, aber dann wiederum Druck an anderer Stelle aufbauen. Letztlich wäre das dann auch wiederum nicht gut für die Anleger. Das eine Instrument, um alle Zusammenhänge zu heilen, wenn man denn die Situation negativ betrachtet, gibt es letztendlich nicht.

"Das könnte passieren, insbesondere dann, wenn die Zinsen wieder angehoben werden."

Der beschrittene Weg ist also ohne Alternative?

Entrop: Zurzeit ja. Wir müssen allerdings dahin kommen, dass die Gründe für die Niedrigzinspolitik wieder wegfallen. Es geht also um ökonomisch wieder stabilere Verhältnisse in Zusammenhang mit den Staaten, vor allem in Europa.

Es wurden massive Rettungspakete seitens der Regierungen geschnürt, was zu einem Anstieg des Schuldenanteils führt. Rechnen Sie mit Auswirkungen der aktuellen Situation auf die Leitwährungen? Und könnten wir infolge der Rettungspakete wieder in eine Situation geraten, in der sich einzelne Staaten auf den Kapitalmärkten nicht mehr mit Geld versorgen können?

Entrop: Das könnte passieren, insbesondere dann, wenn die Zinsen wieder angehoben werden. Das ist die Krux. Deutschland steht derzeit allerdings hervorragend da, auch weil die Schuldenquote bis zuletzt nach unten gegangen ist. Andere europäische Länder stehen da sicherlich nicht so gut da. In Bezug auf die Leitwährungen stellt es sich so dar, dass der Euro gegenüber dem US-Dollar stark gewonnen hat im vergangenen halben Jahr. Wie sich das Ganze entwickelt, hängt vermutlich stark davon ab, wie sich das Vertrauen in die USA gestaltet - abhängig von Corona, dem Wahlverlauf und dem Wahlausgang.

Das deutsche Schreckgespenst in Zusammenhang mit der Währung heißt immer Inflation. Hier sind aber wohl derzeit keinerlei Indikatoren vorhanden, die in Richtung Inflation deuten würden, oder? Und wie sieht es mit der gegenläufigen Entwicklung, also Deflation, aus?

Entrop: Kurz- und mittelfristig ist keine Inflation zu erwarten. Viele erwarten seit 10 Jahren Inflation, aber sie kommt einfach nicht. Deflation sehe ich kurz- und mittelfristig auch nicht. Langfristig könnte es dagegen schon Risiken in die eine oder andere Richtung geben.

Sehen Sie lukrative Anlagemöglichkeiten abseits des Börsenparketts? Und gilt die alte Regel noch oder vielleicht mehr denn je, wonach Anleger möglichst diversifiziert investieren sollten?

Entrop: Ich möchte keine Anlageempfehlungen geben. Was man allerdings weiß aufgrund von empirischen Untersuchungen der vergangenen 20,30 Jahre ist das, was sie eben gesagt haben: Private Anleger sollten möglichst breit streuen. Sie sollten einfache Anlagen nehmen, die sie auch möglichst gut verstehen. Und sie sollten kostengünstige Anlagen nehmen, also Anlagen, bei denen nicht zu viel Provision abfließt. Außerdem sollten sie die Strategie möglichst langfristig durchhalten, egal was kurzfristig passiert, ob eine Krise kommt, oder nicht. "On the long run" führt das zur besten Rendite.

Wie stehen sie denn zu sogenannten "robo advisern", also zu Software-Angeboten von Finanzinstituten, die automatisch ein Portfolio zusammenstellen in Abhängigkeit von den Zielvorstellungen des Anlegers?

Entrop: Wenn das vernünftig gemacht ist, kostengünstig und eben breit gestreut, und wenn es nicht zu aktivistisch ist in dem Sinne, dass da alle paar Monate komplett umgeschichtet wird, dann kann das hochgradig sinnvoll sein. Aber nur unter der Bedingung dieser "wenn". Es ist dann letztlich nichts Anderes als eine automatisierte breite Streuung.

Der Winter steht bevor, vieles ist derzeit unklar beziehungsweise unsicher. Welche Auswirkungen hätte in so einer Situation ein zweiter großflächigerer Lockdown auf die Realwirtschaft und damit auch auf die Anlagen?

Entrop: Lokale Lockdowns wären nicht das große Problem. Nationale oder gar internationale könnten für bestimmte Branchen oder gar ganze Länder verheerend sein. Denken sie etwa an die Luftfahrt aber auch Teile des produzierenden Gewerbes. Ich gehe davon aus, dass der Politik die Gefahren bewusst sind. Daher wäre es wohl das allerletzte Mittel, zu dem man greifen würde. Aber ich bin natürlich kein Politiker.

Stellen wir uns jemanden vor, der plötzlich vor der Situation steht, einen hohen Geldbetrag anlegen zu können. Sagen wir etwa 20.000 Euro. Würden Sie so jemanden raten, noch vor dem Winter den Betrag anzulegen, auch wenn die Anlage breit gestreut ist?

Entrop: Zunächst ist wichtig, dass die 20.000 Euro wirklich übrig sind. In jedem Fall könnten man den Betrag dann schon breit streuen. Interessant könnte es sein, mit einem Teil ETFs auf internationale Aktien zu kaufen und mit einem Teil in Tagesgeld oder Staatsanleihen zu gehen. Wenn Sie wollen, können Sie auch ETFs auf Edelmetalle kaufen oder in Immobilienfonds gehen. In jedem Fall wäre mir die breite Streuung wichtig. Und was klar sein muss: Wenn Ihnen jemand bei einer Anlage eine hohe Rendite verspricht, dann geht das nicht ohne Risiko.

ETFs sind seit Jahren als Anlageform in aller Munde. Können Sie kurz erläutern, auf was hierbei zu achten ist?

Entrop: ETFs sind börsengehandelte Fonds, die in der Regel Aktienindizes passiv nachbilden. Es erfolgt also kein aktives Management. Deswegen sind sie auch vergleichsweise kostengünstig, also mit niedrigeren Managementgebühren versehen. Man sollte dabei in der Regel auf große Indizes gehen, also etwa den MSCI World oder den Euro Stoxx 50 oder auch den Dax. Wenn man das dann auch noch mischt, erhält man eine breite Streuung.