2020 deutlich mehr Fahrrad-Unfälle

Bayerns Straßen werden sicherer – außer für Radfahrer


Trotz stark gesunkener Unfallzahlen auf Bayerns Straßen durch das coronabedingt niedrige Verkehrsaufkommen steigt eine Zahl immer weiter: Die der verunglückten Fahrradfahrer. (Symbolbild)

Trotz stark gesunkener Unfallzahlen auf Bayerns Straßen durch das coronabedingt niedrige Verkehrsaufkommen steigt eine Zahl immer weiter: Die der verunglückten Fahrradfahrer. (Symbolbild)

Von Redaktion idowa und mit Material der dpa

Weil coronavirusbedingt wenig Verkehr auf den Straßen herrscht, hat die Zahl der Verkehrsunfälle in Bayern im bisherigen Jahr 2020 verglichen mit dem Vorjahr stark abgenommen. Eine Ausnahme gibt es allerdings: Die Zahl der verunglückten Fahrradfahrer stieg deutlich an. Ein statistischer Trend der letzten Jahre scheint sich fortzusetzen - und dafür gibt es mehrere Gründe.

Von Januar bis Mai diesen Jahres verunglückten nach Angaben des bayerischen Landesamts für Statistik (LfStat) 5.402 Radler auf Bayerns Straßen, 18 davon starben. Das bedeutet einen Anstieg um satte 18 Prozent verglichen mit dem selben Zeitraum des Vorjahres, als 4.567 Unfälle mit Fahrradfahrern registriert wurden. Zwar nahm die Anzahl der Getöteten um etwa 33 Prozent ab (Vorjahreszeitraum: 27), allerdings wurden mit 1.204 deutlich mehr Radler bei Unfällen schwer verletzt als in den ersten fünf Monaten des vergangenen Jahres (897).

Seit Jahren verunglücken immer mehr Radler

Bisher sieht es also 2020 so aus, als würde sich ein längerer statistischer Trend fortsetzen: 2015 waren 8.589 Radler in Bayern verunglückt, 58 von ihnen tödlich. Diese Zahl stieg 2016 um knapp acht Prozent auf 9.265, bei 46 Getöteten. Im Jahr 2017 gab es laut Statistik 9.309 verunglückte Fahrradfahrer - ein Plus von knapp 0,5 Prozent - und 49 Radler kamen dabei zu Tode. Einen deutlicher Anstieg von fast 13 Prozent bei den Fahrrad-Unfällen brachte das Jahr 2018 mit sich, als 10.490 Radfahrer verunglückten, von denen 60 starben. Nach einem Anstieg um rund 1,1 Prozent auf 10.612 Verunglückte im Jahr 2019, wobei 64 Todesfälle zu beklagen waren, scheint die Zahl der in Unfälle verwickelten Fahrradfahrer angesichts der aktuellen Zahlen dieses Jahr erneut anzusteigen.

ADFC: Radinfrastruktur wächst nicht schnell genug

Für Petra Husemann-Roew, Landesgeschäftsführerin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) in Bayern, sind diese Zahlen nicht weiter verwunderlich. "Es sind natürlich in den letzten Jahren deutlich mehr Radfahrer unterwegs - und sind es seit dem Corona-Lockdown weiterhin", erklärt sie idowa gegenüber. Ihrer Meinung nach wächst die Radinfrastruktur in Bayern weder schnell genug noch in ausreichendem Maße mit den Fahrradverhältnissen mit. "Das heißt, mehr Menschen sind auf engen, lückenhaften und als unsicher empfundenen Radwegen unterwegs, weshalb die Wahrscheinlichkeit von Unfällen und Kollisionen steigt." Husemann-Roew sieht eine "zunehmende Rücksichtslosigkeit" bei allen Verkehrsteilnehmern, weil die zunehmende Enge auf den Straßen "den Druck im Kessel steigen" lasse. Der ADFC fordert deshalb mehr sogenannte "Pop-Up Bike-Lanes" in Innenstädten, auf denen Fahrradfahrer ungestört fahren können sowie mehr Rücksichtnahme der Autofahrer und verbesserte Frühwarn-Technologie in Autos.

Bernd Emmrich, Fachreferent für Verkehr und Umwelt beim ADAC Südbayern, sieht für die Daten des bisherigen Jahres 2020 einen "besonderen Hintergrund" gegeben. Dass es trotz durch Corona stark gesunkener Unfallzahlen in Bayern zu mehr Unfällen mit Beteiligung von Fahrradfahrern kommt, hat für ihn auch damit zu tun, dass viele Menschen, die vor den Coronavirus-Maßnahmen mit dem ÖPNV oder dem Auto zur Arbeit gefahren seien, nun für den Arbeitsweg das Fahrrad vorzögen. Aber auch die Freizeit spielt für Emmrich eine Rolle: "Im Freizeitverkehr hat das Fahrrad im Jahr 2020 einen regelrechten Boom verzeichnet", sagt er. "Die besondere Situation hat vielen Menschen offenbar den Anstoß und auch zeitliche Kapazitäten geschaffen, um das Fahrrad in der Freizeit zu benutzen."

Zahl der Unfälle mit E-Bikes steigt stark an

Auch, dass es seit Jahren immer mehr E-Bikes gibt, trägt für den ADAC-Experten dazu bei, dass mehr Fahrradfahrer verunglücken. "Immer mehr ungeübte Personen, die ohne Unterstützung eines Motors nicht mehr mit dem Rad fahren würden oder jetzt auch anspruchsvollere Strecken fahren, sind nun mit Fahrrädern unterwegs", erklärt er. Das Fahren mit den vergleichsweise schweren Pedelecs sei aber durchaus anspruchsvoll und gewöhnungsbedürftig, weshalb es zu mehr Unfällen komme.

Die Statistik stützt Emmrichs Einschätzung: Im Jahr 2015 verunglückten laut LfStat in Bayern rund 300 Menschen mit E-Bikes, acht von ihnen tödlich. Seitdem ist die Zahl der Unfälle mit elektrischen Fahrrädern wie auch die Zahl der dabei zu Tode Gekommenen fast kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2019 hatten dann bereits 1.367 bayerische E-Bike-Fahrer einen Unfall, wobei 18 ums Leben kamen, und von Januar bis Mai 2020 zeigt die Statistik schon 772 mit E-Bike Verunglückte und sieben Tote. Das entspricht einem Anstieg von fast 70 Prozent verglichen mit dem Vorjahreszeitraum (458 Verunglückte, drei Tote).

Löst der Lkw-Abbiegeassistent einen Teil des Problems?

Um das Risiko tödlicher Unfälle beim Abbiegen zu reduzieren, macht sich der Bundestag schon seit Längerem für den Einbau elektronischer Abbiege-Assistenten in Lastwagen stark. (Symbolbild)

Um das Risiko tödlicher Unfälle beim Abbiegen zu reduzieren, macht sich der Bundestag schon seit Längerem für den Einbau elektronischer Abbiege-Assistenten in Lastwagen stark. (Symbolbild)

Löst der Lkw-Abbiegeassistent einen Teil des Problems?

Neben mehr elektrischen Fahrrädern und allgemein gestiegenen Fahrradfahrer-Zahlen auf Bayerns Straßen gibt es aber noch einen weiteren Grund für die vielen Unfälle: Gerade in Innenstädten kommt es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Radlern und Lkws, weil deren Fahrer aus ihrer erhöhten Kabine herannahende Fahrräder im "toten Winkel" zu spät sehen. Sogenannte "Abbiege-Assistenten" können hier Warnsignale aussenden oder automatisch bremsen.

Die Deutsche Verkehrswacht (DVW) hatte deshalb bereits Anfang Juni zum "Weltfahrradtag" den verpflichtenden Einbau der Technologie in Lkw gefordert. "Der Abbiege-Assistent könnte zumindest für viele gefährliche Bereiche in Innenstädten jetzt schon Pflicht sein, wenn wir mutig vorgehen würden. Es passiert aber nichts. So verlieren wir Zeit und gefährden damit Menschenleben. Das ist inakzeptabel", sagte Präsident Kurt Bodewig damals gegenüber dpa. Zur Förderung des Radverkehrs sei eine gute Infrastruktur und richtiges Verhalten der Radfahrer wichtig, aber eben auch technische Systeme wie der Abbiege-Assistent. Auch die ADAC-Sprecherin Katrin van Randenborgh erklärte kürzlich, es sei dringend erforderlich, bei der Nachrüstung mit Abbiegeassistenten von Bestands-LKW schnell Fortschritte zu machen. "Technisch ist eine Kombination mit einem Notbremssystem sinnvoll", sagte sie der dpa.

LBS warnt vor trügerischer Sicherheit

Für Sabine Lehmann, Geschäftsführerin des Landesverbands Bayerischer Spediteure e.V. (LBS), ist der Abbiegeassistent "ein Baustein in einer ganzen Reihe von Maßnahmen" zur Reduzierung von Unfällen mit Fahrradfahrern. "Schon seit Jahren investieren Speditionsunternehmen in Spiegeleinstellplätze, um die unvermeidlichen toten Winkel rund um das Fahrzeug zu verkleinern", erklärt sie gegenüber idowa. "Dennoch wird auch mit den Abbiegeassistenten keine absolute Sicherheit erreichbar sein." Im Gegenteil: Laut Lehmann könnten die Systeme eine trügerische Sicherheit vermitteln, weil "der Fahrer ja schon Bescheid weiß", man sich also selbst ohne Risiko bewegen könne.

Von Schuldzuweisungen bei Unfällen zwischen Lkws und Fahrradfahrern will der LBS trotzdem nichts wissen. "Jeder Unfall ist einer zu viel", sagt Sabine Lehmann. "Aber der zur Verfügung stehende Verkehrsraum wird immer enger, weil das Verkehrsaufkommen insgesamt stetig ansteigt. Wir wünschen uns deshalb, dass sich alle intensiver in die Rolle des jeweils anderen versetzen, um dessen Grenzen zu kennen und sich danach zu verhalten." Wer einmal im Cockpit eines Lkw gesessen sei, sei in der Regel sehr erstaunt, was man von dort alles sehen kann - und was alles nicht. Der LBS informiert seine Mitglieder zudem über den Stand der Technik und weist auf Fördermöglichkeiten hin. "Wir stehen gern auch vermittelnd zur Seite, wenn sich die Öffentlichkeit ein direktes Bild davon machen will, wieviel Schutz ein Abbiegeassistent bietet und welche anderen Maßnahmen für mehr Sicherheit erforderlich sind", sagt Geschäftsführerin Lehmann.