Straubing/Bogen

Wenn die Seele streikt: Leben trotz Angst und Depression


Oftmals fühlen sich Menschen mit Depressionen allein gelassen in ihrem Leid. (Foto: Victoria Bonn-Meuser)

Oftmals fühlen sich Menschen mit Depressionen allein gelassen in ihrem Leid. (Foto: Victoria Bonn-Meuser)

Von Doris Emmer und Redaktion idowa

Martin Kellermeier kämpft. Wenn er nicht gegen seine Krankheit kämpft, kämpft er mit Krankenkassen und Sozialgerichten. Doch nicht für sich, sondern für Menschen, die sein Schicksal teilen. Er hat Selbsthilfegruppen gegründet. Kellermeier ist depressiv mit manischen Phasen. Bipolare Störung heißt das in der Ärztesprache.

Was es heißt, psychisch krank zu sein, hat Kellermeier früh gelernt. Als er Mitte 20 war, geriet sein Leben aus den Fugen. Irgendetwas in seinem Inneren blockierte ihn. Er konnte sich morgens kaum noch aufraffen. Immer öfter ging er nicht zur Arbeit, schließlich verlor er seinen Job. Bekannte fingen an, hinter seinem Rücken über ihn zu tuscheln. Seine Mutter verstand nicht, warum er sich nicht einen neuen Job suchte.

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Kellermeier fühlte sich leer. Und allein, allein mit seiner Krankheit. Er hatte Angst, über sie zu sprechen. "Vor dreißig Jahren war eine Depression noch ein Stigma für die ganze Familie. Leider ist auch heute noch ein Aufenthalt in psychiatrischen Kliniken bei Nichtbetroffenen mit Vorurteilen verbunden," erklärt er. Lähmende Angst macht sich seit rund 30 Jahren immer stärker bei dem heute 52-Jährigen breit. Er musste sich von immer mehr Lebensplänen verabschieden.

Heikles Eingeständnis

Viele Betroffene würden erst einmal ihre psychischen Probleme verheimlichen. Erst wenn irgendetwas extrem aus dem Ruder laufe, müssten sie sich eingestehen: "Ich bin krank!". "Das Umfeld tut meist ein Übriges. Gerade im Berufsleben ist es oft fatal, Schwäche zu zeigen." Mobbing, wenn man sowieso schon am Boden liegt, sei nicht selten die Folge, sagt Kellermeier.

Heute kommen die Zyklen seiner bipolaren Störung etwa im Dreijahres-Rhythmus. Drei Jahre ist Kellermeier niedergeschlagen und leidet unter Angstzuständen, drei Jahre ist er übersteigert positiv gestimmt. Auch in diesem Zustand ist für viele Betroffene mit einer manischen Depression der Alltag schwierig zu gestalten. Die Risikobereitschaft steigt, wenn man die Umwelt als zu positiv wahrnimmt, kaum noch Gefahren und Probleme erkennt.

Kellermeier hat sich als Initiator von Selbsthilfegruppen für Menschen mit Ängsten und Depressionen zur Aufgabe gemacht, die Belange der Kranken in seinen Gruppen bei Krankenkassen, Ämtern und Gerichten durchzusetzen. Zumeist mit Erfolg, wie er betont. Dieses Engagement für Leidensgenossen gibt ihm Kraft. Kraft, die er für Krisen braucht.

Niederschmetternde Diagnose

Eine Besucherin der Selbsthilfegruppe ist zur Zeit in einer solchen Krise. Die Mutter schwer krank, der Bruder starb in jungen Jahren am Sekundentod. Als die Gruppenteilnehmerin dann vor wenigen Jahren die endgültige Diagnose "Multiple Sklerose" erhielt, war der Depression Tür und Tor geöffnet. Die 42-jährige Frau sieht ihre Erkrankung als eine Reaktion auf die einschneidenden Ereignisse in ihrem Leben. Zu den psychischen Problemen kamen bei ihr schwere Existenzängste. Ihre Rente wurde nur befristet genehmigt. Kellermeier ergreift hier die Initiative.Er will durchsetzen, dass die Frau zumindest finanziell einigermaßen abgesichert ist.

Das Umfeld in Ordnung zu bringen, ist nur ein Problem während der Krankheit. Wichtigster Punkt: Die Krankheit muss behandelt werden. Schon beim Hausarzt, der oft ein erster Ansprechpartner bei psychischen Problemen ist, muss sich ein Kranker in einer Krise gut aufgehoben fühlen, sagt Kellermeier. Doch vor allem kommt es auf den Neurologen an. Erst er könne das labile Wechselspiel nachvollziehen: zwischen Angstzuständen, Panikattacken, depressiven Phasen, zwanghaftem Grübeln, Antriebslosigkeit, Schuldgefühlen und all den anderen schmerzhaften Symptomen, die eine Depression formen können.

Der chemische Weg aus der Krise

Betroffene bekommen oft als ersten Rettungsanker in einer schweren Krankheitsphase starke Medikamente. Erst die Tabletten machen es meist überhaupt möglich, dass sich die Kranken für eine Psychotherapie öffnen. Doch der chemische Weg aus der Krise ist schwierig. Als Nichtbetroffener denke man sich schon mal: "Die Medizin ist ja schon soweit. Da gibt es doch Medikamente!", sagt Kellermeier. Doch mit den Antidepressiva, den Phasenprophylaktika, den Neuroleptika und Beruhigungsmitteln sei die Sache nicht so einfach. Eine Depression ist keine vereiterte Nebenhöhle: Drei Tage Antibiotika und es geht schon wieder aufwärts.

Über Medikamente und deren individuelle Wirkung wird auch viel in den Selbsthilfegruppen berichtet. In den Treffen werden Erfahrungen mit Tabletten und Therapien ausgetauscht, Tipps gegeben und Mut geschöpft.

Ute Späth ist Mitglied in den Selbsthilfegruppen und die Lebenspartnerin von Martin Kellermeier. Sie ist seit 40 Jahren depressiv. Das Leben hat ihr viel Gepäck auf den Rücken gelegt. Der frühe Tod ihres Mannes, Sorgen mit dem Kind, alles, was einem gesunden Menschen schon das Rückgrat brechen kann, lastet doppelt schwer auf ihr.

Niemand ist "nasch"

Anders als bei einer bipolaren Störung, die depressive aber auch manische Phasen mit sich bringt, lebt die 55-Jährige in einem stetigen Tief. Als sie nicht mehr weiter wusste, stand ihre Familie verständnislos daneben. Die Mutter von Ute Späth brachte es auf einen einfachen Nenner: "Bei uns in der Familie ist keiner nasch!".

Problematische Dinge, die gesunde Menschen verkraften können, setzen Späth extrem zu. Ein Arzt riet ihr, sich ein dickeres Fell wachsen zu lassen. "Leichter gesagt als getan, wenn schon die Kraft nicht mehr ausreicht, um morgens aufzustehen und sich ein Frühstück zu machen", verdeutlicht sie traurig.

Kellermeier und Späth sind sich einig: Es hat ihnen viel gebracht, zur Krankheit zu stehen, im Beruf einen Schlussstrich zu ziehen und nach vorne zu blicken. "Endlich hat das Schauspielern vor anderen ein Ende," betont Späth. "Nur die Freunde, die auch in der Not bei einem bleiben, seien die echten Freunde." Freunde, die nachvollziehen können, wie es einem geht, gebe es in der Selbsthilfegruppe, stimmt ihr Kellermeier zu.

Trotz quälender Flugangst in den Flieger steigen, trotz krankhafter Panik den Weg zum Zahnarzt gehen, trotz schwerer Ängste den Weg zu Leidensgenossen finden - bei all solchen Problemen kann der Austausch in der Gemeinschaft helfen. Zwei Gruppen hat Kellermeier ins Leben gerufen. Die eine trifft sich in Geiselhöring, die andere in Metten.

Oft sind es nur scheinbar kleine Hindernisse die Betroffene so überwinden. Doch, egal wie klein und wie viel Mühe damit verbunden ist: "Das Leben geht weiter, jeder Schritt ist ein Erfolg", bringt es Kellermeier auf den Punkt.

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Ute Späth und Martin Kellermeier haben sich in ihrer Selbsthilfegruppe kennengelernt. (Foto: de)

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Medikamente zeigen bei psychischen Erkrankungen oft nur allmählich eine Wirkung. Geduld aufzubringen ist meist schwer, wenn ein Patient leidet. (Foto: Patrick Seeger)