Evakuierung stockt

Afghanistan: Flughafen Kabul anscheinend geschlossen


Ein Soldat der US-Luftwaffe steht auf dem Hamid Karzai International Airport in Kabul Wache. Vor den Toren des Flughafens stehen Tausende Menschen.

Ein Soldat der US-Luftwaffe steht auf dem Hamid Karzai International Airport in Kabul Wache. Vor den Toren des Flughafens stehen Tausende Menschen.

Von mit Material der dpa

Etwas mehr als 1800 Menschen konnte die Bundeswehr bisher aus Kabul bringen, am Samstag schafften es zunächst nur sehr wenige auf das Flughafengelände und in die deutschen Flieger Richtung Usbekistan. Hubschrauber sollen nun helfen.

Die Evakuierung von Menschen aus der afghanischen Hauptstadt Kabul durch die Bundeswehr ist angesichts chaotischer Verhältnisse am Flughafen ins Stocken geraten. Zwei am Samstag gestartete deutsche Flieger konnten nur sieben beziehungsweise acht Personen nach Usbekistan bringen, wie die Bundeswehr via Twitter mitteilte. Am späten Freitagabend deutscher Zeit wurden 172 Menschen von der Bundeswehr aus dem von den militant-islamistischen Taliban eroberten Land ausgeflogen.

Große Probleme gab es bei den Zugängen zum Kabuler Flughafen, an dem sich weiterhin dramatische Szenen abspielen. Ein Augenzeuge berichtete der Deutschen Presse-Agentur, dass dort Tausende Menschen ausharrten. "Sicherheitslage am Flughafen in #Kabul ist weiterhin äußerst gefährlich, Zugang zum Flughafen häufig nicht möglich. Nach unserem Kenntnisstand sind die Gates derzeit geschlossen", twitterte das Auswärtige Amt.

"Derzeit ist es grundsätzlich sicherer, zu Hause oder an einem geschützten Ort zu bleiben", schrieb die deutsche Botschaft in Kabul an Landsleute. Die US-Botschaft rief amerikanische Staatsbürger am Samstag dazu auf, den Flughafen aufgrund möglicher Sicherheitsbedrohungen zu meiden. Die afghanische zivile Luftfahrtbehörde machte deutlich, dass es weiter keine zivilen und kommerziellen Flüge geben werde.

Bundeswehr-Hubschrauber in Kabul

Die Bundeswehr hat zwei Hubschrauber nach Kabul verlegt, um mehr Möglichkeiten bei den Evakuierungen zu haben. Die wendigen Helikopter kamen am Samstagmorgen in Kabul an und sind nach Angaben des Verteidigungsministeriums einsatzbereit. Es sei geplant, damit in Kabul "kleinere Gruppen zu Evakuierender im Stadtgebiet aufzunehmen und sicher zum Flughafen zu transportieren", teilte die Bundeswehr mit. Informationen über konkrete Einsätze gab es zunächst nicht. Die Hubschrauber können nach Angaben von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nur in Abstimmung mit den Amerikanern und den anderen Partnerstaaten vor Ort eingesetzt werden.

Seit Samstag soll zudem der Vizechef der militant-islamistischen Taliban in Kabul sein, sagten Taliban-Kreise der Deutschen Presse-Agentur. Mullah Abdul Ghani Baradar wolle mit Taliban-Mitgliedern und weiteren Politikern über die Bildung einer neuen Regierung sprechen, hieß es weiter. Baradar wäre der bislang höchstrangige Taliban-Führer, der in Kabul eingetroffen ist. Bilder von ihm in der Stadt gab es allerdings auch am Abend (Ortszeit) noch nicht. Wo sich Taliban-Führer Haibatullah Achundsada und seine zwei weiteren Stellvertreter befinden, ist unklar.

Vor knapp einer Woche hatten die Taliban Kabul erobert und die Macht übernommen. Seitdem fürchten Oppositionelle, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und auch Ortskräfte, die für westliche Staaten tätig waren, Racheaktionen an sich. Es ist weitgehend unklar, wie die Islamisten dieses Mal herrschen werden. Es wird befürchtet, dass die Extremisten wieder ein islamisches "Emirat" errichten wollen und dabei mit drakonischen Strafen gegen Andersdenkende vorgehen.

CNN: Rund 14.000 Menschen am Flughafen

Ein zweiter Augenzeuge sagte der dpa, dass sich Menschen aus allen Gesellschaftsschichten am Flughafen Kabul befänden. Er habe Schauspieler in der Menge gesehen, bekannte Fernsehpersönlichkeiten, Jugendliche, Frauen mit neugeborenen Babys oder Menschen im Rollstuhl. Der US-Sender CNN berichtete unter Berufung auf eine "informierte Quelle", dass rund 14.000 Menschen am Flughafen seien.

Bisher hat die Bundeswehr etwas mehr als 1800 Menschen von Kabul in die usbekische Hauptstadt Taschkent gebracht, von wo aus die Evakuierten nach Deutschland weiterfliegen sollen. Für Samstag waren laut Verteidigungsministerium bis zu sechs Evakuierungsflüge geplant. Es ist allerdings unklar, wie Passagiere angesichts des weiter geschlossenen Zugangstores und der Menschenmassen dort diese Flüge erreichen können. Lieferungen von Hilfsgütern, vor allem Wasser, Babynahrung und Drogerieartikel, seien in die Wege geleitet worden, um Menschen auf dem Flughafengelände entsprechend versorgen zu können, sagte Generalinspekteur Eberhard Zorn.

Kramp-Karrenbauer sicherte zu, dass die Bundeswehr die Evakuierung von Deutschen und Ortskräften aus Kabul unter Hochdruck fortsetzen werde. "Die Situation ist schwierig, aber wir werden mit den Möglichkeiten und allem, was sich vor Ort ergibt, weiter dranbleiben, so viele wie möglich herauszuholen", sagte Kramp-Karrenbauer am Samstag in Berlin.

Verhandlungen mit den Taliban

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bestätigte, dass mit den Taliban gesprochen werde, um die Evakuierungen zu erleichtern. Die Verhandlungen bedeuteten aber keineswegs eine Anerkennung der neuen Regierung, betonte die CDU-Politikerin bei einem Besuch in Spanien. Sie stellte zudem eine Erhöhung der humanitären Hilfe der Europäischen Union in Aussicht. Es werde allerdings keine Mittel für die Taliban geben, wenn diese nicht die Menschenrechte respektieren sollten, sagte von der Leyen bezüglich der Entwicklungsgelder in Höhe von einer Milliarde Euro, die für Afghanistan für die nächsten sieben Jahre vorgesehen sind.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach den Bundeswehrsoldaten in Afghanistan für den Einsatz zur Rettung von Deutschen und Ortskräften ihren "tiefen Dank" aus. Sie bezeichnete die Entwicklung in Afghanistan mit der Machtübernahme der Taliban als "Drama" und "Tragödie". "Wir wollten möglichst vielen Menschen in Afghanistan ein freies, ein gutes und selbstbestimmtes Leben ermöglichen", sagte Merkel. "Und da müssen wir einfach sagen: Das ist so nicht gelungen."

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Nach Kabul verlegt: Ein Bundeswehr-Hubschrauber vom Typ H-145M steht neben Bundeswehrsoldaten in einem Transportflugzeug A400M.

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Passagieren wird an Bord eines Transportflugzeugs A400M beim Anschnallen geholfen. Die Bundeswehr hat weitere Menschen aus Kabul ausgeflogen.

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Taliban-Kämpfer warten in einem Restaurant in Kabul auf ihr Mittagessen.

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Neue Machthaber, neue Fahne: In Kabul werden Flaggen der Taliban verkauft.