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Severin Gießibls Rennrad-Tour durch Europa

Quer durch Frankreich, Abstecher nach Spanien und Italien und zurück: Diese Reise über mehr als 5.500 Kilometer hat Severin Gießibl aus Regensburg mit seinem Rennrad gemacht. Sein größtes Abenteuer zum Nachlesen.


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Wein, so weit das Auge reicht: Die Reben sind in Frankreich ständiger Begleiter von Severin Gießibl.

Von Severin Gießibl

Hi, mein Name ist Severin Gießibl, ich bin 24 Jahre alt und lebe nahe Regensburg. Neben meinem Physikstudium, das aktuell eher auf Eis liegt, arbeite ich in einer Cocktailbar in der Stadt und jobbe ansonsten in der Gastronomie. Diese Radtour durch Europa war für mich eine Auszeit vom Alltag, genau wie ähnliche Reisen, die ich schon gemacht habe. Neben der körperlichen Anstrengung hatte sie ihre ganz eigenen abenteuerlichen und unvorhersehbaren Erlebnisse.

Die Route durch Europa

Die Reise führte grob über Paris (pünktlich zur letzten Tour-de-France-Etappe) an den Atlantik, über die Pyrenäen bis ins Baskenland, über Barcelona ans Mittelmeer. Anschließend an der Côte d‘Azur entlang nach Italien sowie über Lyon, Lausanne, Bern, Zürich und das Allgäu wieder heim.

Hier gibt es meine Reise zum Nachlesen.

(Wer ab Tag 1 nachlesen will, beginnt am Ende der Seite. Der zweite Teil der Reise fehlt derzeit noch, diese Texte trage ich sobald wie möglich nach.)

Tag 15: 1. August 2023

Start: Durango, Ziel: Durango

Noch ein freier Tag: Wie üblich habe ich mein Schlafdefizit ausgeglichen, dann gefrühstückt, mein Fahrrad gecheckt, ein wenig repariert und am Abend ging es nach Bilbao. Ein anderer Freund kam wieder dazu, das waren auch tolle Gespräche. Anderes Land, wiederum andere Sprache, andere Leute und anderes Renngeschehen, aber dieselben Gespräche wie früher.

Die Stadt war nicht so schön wie San Sebastián, hatte aber auch einen tollen Charakter. Wir besuchten einige Geschäfte und aßen Ramen. Wir trafen auch auf einen sehr fragwürdigen "berühmten Musiker", der für uns singen und tanzen wollte. Er sei weltberühmt, sagte er.
Nun, es war tolle, kostenlose Unterhaltung, wir hörten und schauten zu und filmten, das war sein Wunsch.

Tag 14: 31. Juli 2023

Start: San Sebastián, Ziel: Durango

Die schönste Stadt Spaniens verlassen – gar nicht so einfach. Es war hart, aber auch einfach ein toller Tag und außerdem eine kurze Strecke von 100 Kilometern nach Durango, wo ich einen Freund besuchte und bei ihm übernachtete.

Ich habe mich noch mehr in das Baskenland verliebt, aber man muss wirklich wissen, wo man hin will, denn die Routenführung in diesen Tälern ist nicht so einfach. Schnell wird es dreidimensional und man ist verwirrt, obwohl ich mich selbst als guten Orientierer bezeichne. Es gab zwei Anstiege und das bei 38 Grad Celsius und zehn Prozent Steigung. Die Abfahrt war cool – es fühlte sich wieder alpin an.

Der Tag war fast wie ein Ruhetag, keine Eile, kein Drängeln, nur Genießen. Wir trafen uns in einem Café, wo wir eisgekühlten Café con Leche tranken und Tortilla aßen. Mit einem Freund meines Gastgebers unterhielten wir uns über das Radfahren, bevor wir vor dem Fernseher eine Pizza zum Mitnehmen aßen. Diese Kombination hatte ich schon seit Jahren nicht mehr. Großartig.

Tag 13: 30. Juli 2023

Start: San Sebastián, Ziel: San Sebastián

Ich schlief über zwölf Stunden, das war auch nötig. Erst dann entschied ich, was ich mir noch anschauen will. Als Erstes war ich brunchen, um in Schwung zu kommen. Dann bin ich auf zum Strand und habe mich einfach in den Wellen treiben lassen. Das war entspannend. Ein Jahr lang war ich nicht mehr im Meer. Sehr kopfbefreiend.

Als ich eine Runde um die Altstadt ging, entschied ich, auf den kleinen Hügel zwischen Meer und Altstadt zu steigen. Oben befindet sich eine Festung samt Museum, die Aussicht war hervorragend. Mitten in alten Gemäuern gab es außerdem eine Cafébar, hier lässt es sich aushalten.

Dann habe ich mir das Aquarium angeschaut, aß noch mal Pintxos und hatte noch einen Drink, bevor es früh ins Bett ging.

Tag 12: 29. Juli 2023

Start: Bordeaux, Ziel: San Sebastián

Ich starte sehr früh, weil ich die Zieleinfahrt der diesjährigen Klassik San Sebastian sehen wollte: ein Radrennen, an dem ein Freund von mir teilnimmt. Ich habe erst wenige Tage davor zufällig davon erfahren, nachdem ich schon geplant hatte, an diesem Samstag in San Sebastian anzukommen.

Geplante Abfahrt war um sieben Uhr, doch genau da war eine Regenwolke über Bordeaux zu verorten. Das habe ich schon am Vorabend im Regenradar gesehen, hab mich aber dann um 6:30 Uhr davon live überzeugt. Ich wollte auf keinen Fall komplett nass zu 250 Kilometern aufbrechen, also investierte ich eine Stunde in extra Schlaf und Trockenheit. Ich kam schließlich um 7.45 Uhr los und von da war es ein einziges Rennen gegen die Uhr, beziehungsweise gegen die Profis in San Sebastian.

Es lagen 251 Kilometer und nur halbwegs vorhersehbare Bedingungen vor mir, und ich begann, die früheste Ankunftszeit des Profirennens gegen meine restliche Distanz gegenzurechnen. Schon bei Beginn der Fahrt stellte sich heraus, dass ich nun mindestens einen Schnitt von 28 Kilometern pro Stunde fahren muss, um mit dem schnellsten berechneten Ankunftszeitpunkt der Profis gleich auf zu sein. All das ohne eine Pinkelpause, Supermarkt-Pause, rote Ampeln, Stau und so weiter.

Somit stand meine Tageschallenge und ich visierte einen Dreißiger-Schnitt an. Ich bemühte mich, pausenlos und konstant voranzukommen, und ebenso meinen physischen und psychischen Zustand bei Strecke zu halten, um pünktlich ankommen zu können. Ich wusste, dass ich es schaffen kann. Nach fünf Stunden und immer wärmer werdender Umgebung in der südfranzösischen Urlaubsregion hatte ich eine hervorragende Form, ein super Gefühl und die Beine fühlten sich gut an.

Die Temperaturen stiegen von 18 Grad Celsius und Nieselregen bis auf 37 Grad Celsius und vollen Sonnenschein, während ich mich gut verpflegte, nahezu ein halbes Gramm Koffein und etliche Liter Softdrinks in mich reinschüttete, auch deswegen war ich keine Sekunde müde trotz kurze Nacht. Die Vegetation hat sich auch stark verändert: Bordeaux war schon relativ mediterran, dieses Bild verstärkte sich aber deutlich in den ersten 150 Kilometern, bis ich auch das erste Mal den Atlantischen Ozean sehen konnte.

Als ich durch die schöne Altstadt von Bayonne fuhr, landete ich mitten im größten Altstadtfest, das sie im Jahr haben. Perfekt. Genau, was ich brauche. Ich schlug mir meinen Weg durch die Tausenden Leute, um mich nur in noch volleren Plätzen wiederzufinden. Es tat mir leid, ich wusste einfach nichts davon und meine Route ging genau dadurch. Ich hatte auch keine echte Möglichkeit, das alles sinnvoll zu umfahren. So schmolz der Puffer mit Dreißiger-Schnitt langsam.

Doch meine Beine waren wirklich top und ich war so happy darüber. Die Häuser sahen wunderschön aus, mit komplett weißen Fassaden und roten Dächern. Alles sehr einheitlich und wirklich ansprechend. Dahinter die Pyrenäen, das erste Mal, dass ich sie sah. Dann die spanische Grenze. Yeah! Mein erstes Mal auf spanischem Festland - alles selbst erarbeitet, das fühlte sich super an.

Es folgte das Baskenland, Halleluja. Wie schön. Auch wenn ich wusste, dass da die ersten Anstiege des Tages nahten, war ich einfach geflasht von der Umgebung. Es sah aus wie kleine Alpen und fühlte sich alpin an, es waren aber nur immer wenige hundert Höhenmeter zu absolvieren. Manche „Gipfel“-Städtchen sahen aus, als müssen sie auf 2000 Metern liegen, lagen aber auf 250. Einfach cool.

Doch die Straßen wurden komplizierter. Alles war irgendwie zwischen Hügel und Küste oder Flüsse gequetscht, die Navigation wurde gefühlt dreidimensional. Schwierig, wenn man nach acht Stunden im Sattel nicht unbedingt mehr geistige Höchstleistungen vollbringt. Also bog ich einmal falsch ab, weil ich einem Schild statt meines Handys oder meines Instinkts folgte. Doch ich bemerkte den Fehler schnell und erkannte, wie mich das Zeit kostete. Also stieg ich über die Leitplanke, stapfte eine Böschung hinunter und über die Leitplanke zur nächsten Straße. Nur noch fünf Kilometer.

Als dann neongelbe Schilder mit Pfeil darauf ersichtlich wurden, wusste ich: Ich bin tatsächlich auf dem richtigen Weg. Das Rennen ging hier vor ein paar Stunden schon durch und die Straßen waren wieder freigegeben. Ich wusste aber auch nicht genau, wo die Ziellinie liegt. Also folgte ich meinem Instinkt, der mich genau ins Stadtzentrum brachte. Als ich Helikopter-Geräusche, mehr Absperrungen und Polizei sowie eine Menschenmenge sah, wusste ich: Hier bin ich richtig.

Ich stellte mich zu den anderen Zuschauern, woraufhin kurze Zeit später bereits ein Fahrer vorbeikam. Kurze Zeit später fand ich heraus, dass es sich dabei um den Vierten gehandelt hat. Nach über achteinhalb Stunden auf dem Rad in einem Rennen gegen die Zeit kann ich also zwei Minuten zu spät? Unfassbar.

Allerdings war es fantastisch, da zu sein und etwas näher am Geschehen zu sein als bei der viel prominenteren Tour de France. Ich warte bei den Betreuern der Teams und sprach einen aus der Mannschaft meines Freundes an. Sie sagten, dass er noch fährt. Sie waren beeindruckt von meiner Leistung, aus Deutschland mit dem Rad hierher zu fahren.

Mein Kumpel tauchte dann auf, und wir hatten ein schönes Gespräch, nachdem wir uns drei Jahre nicht gesehen hatten, da ich meine Rennkarriere kurz nach Corona beendet habe, und sie bei ihm da erst recht steil bergauf ging. Seit diesem Jahr ist er als Profi unterwegs und hat mit 22 Jahren bereits zwei Siege einfahren können.

Er musste dann allerdings bald wieder weg, sein Flieger stand schon bereite. Ich dagegen wollte mir diese schöne Stadt ansehen. Ich ging ins Hotel, das ich gebucht hatte, und hatte ein tolles Gespräch mit der bezaubernden Rezeptionistin, die radsportverrückt war. Ich aß einige Pintxos, kleine Häppchen, die man einzeln zusammenstellen kann. Ein cooles Konzept und ziemlich beliebt hier, nah verwandt mit Tapas.

Ich suche den besten Ort dafür und wartete immerhin 20 Minuten auf einen Platz, auch dabei war das Alleinsein wieder von Vorteil. Außerdem gab es eine ewig lange Karte offener Weine zu erschwinglichem Kurs. Ich hab mich einmal quer durch gegessen und getrunken und das für 50 €. Sensationell.

Als ich dann auf dem Rathausplatz unterwegs war, hat mich ein Einheimischer angesprochen und in ein Gespräch verwickelt. Ich war nicht in der Stimmung, das abprallen zu lassen, sondern einfach zu gut drauf. Er hat ein bisschen rum gewitzelt und ein paar Spielchen gemacht, worauf hin ich natürlich achtsamer geworden bin. Als er dann versuchte, mit seiner Hand in Richtung der Tasche zugreifen, in der er mein Handy vermutete, nahm ich sie, schaute ihm ganz ruhig, erbost, leicht enttäuscht und Kilometer tief in die Augen, bis er verschwand.

Das war in meinen Augen der selbstbewussteste Mensch, den ich je gesehen hab. Ein 1,60 Meter großer, 60 Kilogramm schwerer Kerl probiert's bei einem 1,90 Meter großen, fast 100 Kilogramm schweren Mann. Chapeau, aber nicht mit mir. Danach hatte ich noch zwei Drinks und bin ins Bett gefallen.

Tag 11: 28. Juli 2023

Start: Cognac, Ziel: Bordeaux

Weiter ging es auf der Weinroute, dieses Mal wurden die Trauben jedoch rot, bordeauxrot. Es stand die kürzeste Etappe bis jetzt an, nur 120 Kilometer.

Habe ich erwähnt, dass ich mich um meine Pflanzen gekümmert hab, bevor ich daheim losgefahren bin? Ich habe erfahren, dass es kürzlich daheim, quasi nur in dem Ort, wo ich wohne, einen Hagelsturm gegeben hat – mitten im Hochsommer. Um das Gießen einfacher zu machen, habe ich auf meine Zimmerpflanzen rausgestellt, an einen voll schattigen Platz unter offenem Himmel neben der Regentonne. Also beste Bedingungen zum Verweilen und gegossen werden. Und um vom Hagel getroffen zu werden. Sowas hätte ich nie im Leben erwartet. Die Blätter hat es komplett zerfetzt, sie sind teilweise auch nicht mehr vorhanden. Da es sich um Zimmerpflanzen handelt, geht es hier nur um Optik und mir waren sie wichtig, da sie wirklich schön anzuschauen waren und ich viel Arbeit da rein gesteckt habe. Ich war ziemlich traurig darüber.

Na ja, bei gutem Wetter heute kam ich gut voran. Ich habe mir mal keine Sorgen über die Zeit gemacht, hatte Mittagessen auf dem Rad. Essen auf zwei Rädern benutze ich allerdings fast immer eher als Beschäftigungsmethode denn als Methode zum Zeitsparen.

Immer wenn ich damit fertig war, waren es jeweils zehn Kilometer weniger. Allerdings kam es beinahe zu einem Unfall, als mich ein Lkw auf einer kleinen Straße überholte und ihm, kurz nachdem er mich überholt hatte, einen Teil der Seitenwand seiner Ladefläche abfiel. Wenn das etwas eher passiert wäre, hätte ich nicht rechtzeitig reagieren können ... Ich war sehr froh, dass es mich nicht erwischt hat.

Sich einer Großstadt freitags um 16 Uhr nachmittags zu nähern, ist keine gute Idee. Allerdings hat es mir durchaus geholfen, den Weg zu finden. Ich sicherte mir ein Hotel unweit des Zentrums, die Gastgeberin war sehr nett und ich kümmere mich darum, alles für den nächsten Tag vorbereitet zu haben. Ich hatte ein gutes Abendessen am Theaterplatz und war überrascht über die wahnsinnig schöne Altstadt, die mich eher an Spanien als Frankreich erinnerte: So viele wunderschöne marmorsteinerne Passagen, viele Läden, eine stilvoll gepflegte Tram und reges Treiben machten es ziemlich romantisch. Ich besuchte noch zwei Bars und begab mich dann früh ins Bett.

Tag 10: 27. Juli 2023

Start: Nantes, Ziel: Cognac

Vom Aperitif zum Digestif, vom Loire-Tal bis zur Stadt Cognac – beides bekannt für ihre jeweiligen Traubenprodukte – so kann man die heutige Route beschreiben, die teilweise sehr malerisch war. Das Wetter war sehr viel besser, von 18 Grad Celsius und Nieselregen bis hin zu 29 Grad Celsius und strahlendem Sonnenschein. Rund 1500 Kilometer habe ich schon geschafft, da pedalierte es sich schon deutlich leichter.

Etwa auf der Hälfte der heutigen 230 Kilometer nach Cognac befand sich die Austauschschule, mit der wir damals einen Austausch betrieben haben. Ich hab kurz vorbeigeschaut, es waren zwar Sommerferien, aber ich erinnerte mich an gewisse Dinge und fand es sehr schön, wieder zurückzukehren. Krass, wie neun Jahre vergehen können.

Heute bin ich fast ausschließlich Route national gefahren, das ist vergleichbar mit Bundesstraßen, aber noch einmal besser und breiter ausgebaut und grundsätzlich für den Güterverkehr gedacht, aber auch für Räder erlaubt. Das hat den Vorteil, weniger navigieren zu müssen, da die größeren Ziele sowieso gerade aus beziehungsweise sehr gut ausgeschildert sind.

Alle Wege führen allerdings nicht nach Cognac, weshalb ich etwa 30 Kilometer davor diese große Straße verlassen musste. Das war aber auch der perfekte Zeitpunkt, da sich auch die Umgebung von sehr flachen, landwirtschaftlich genutzten Flächen stark veränderte zu weinwirtschaftlich genutzten Böden und schöner Natur. Kurz gesagt bog ich in ein reines Traubenmeer ab. Das war schön, da ich für längere Stunden schon keine Weinreben mehr gesehen habe.

In Deutschland eher als Altherrengetränk und aus der Mode bekannt, hat es der (Eau de vie de vin de) Cognac hierzulande durchaus auf die Landkarte geschafft, und auch auf meine Reiseroute. Pineau de Charentes sollte dabei aber nicht im Schatten stehen, ein Weinbauer kippte 1589 aus Versehen frischen Traubenmost in ein Fass, das noch Cognac enthält. Nach einigen Jahren wurde es probiert und so entstand diese süßweinähnliche Köstlichkeit. Quasi vergleichbar mit Portwein, da ist der Most allerdings vergoren und die Spirituose ungereift, mit der aufgespritzt wird. Somit also ein vielfältigerer Geschmack.

Nach dem Check-in hab ich nach einem Restaurant gesucht, das fiel sehr schwer, weil genau an diesem Wochenende eine Fete stattfand, allerdings fand ich doch noch einen sehr guten Platz zum Essen und Trinken. Ich spazierte noch durch die schöne Altstadt, die natürlich auch einige Cognac-Häuser beherbergt sowie ein wunderschön gelegenes Hôtel de Ville samt öffentlichen Park.

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Fotos von Severin Gießibls Etappen durch Frankreich.

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Fotos von Severin Gießibls Etappen durch Frankreich.

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Fotos von Severin Gießibls Etappen durch Frankreich.

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Fotos von Severin Gießibls Etappen durch Frankreich.

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Fotos von Severin Gießibls Etappen durch Frankreich.

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Fotos von Severin Gießibls Etappen durch Frankreich.

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Fotos von Severin Gießibls Etappen durch Frankreich.

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Fotos von Severin Gießibls Etappen durch Frankreich.

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Fotos von Severin Gießibls Etappen durch Frankreich.

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Fotos von Severin Gießibls Etappen durch Frankreich.

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Fotos von Severin Gießibls Etappen durch Frankreich.

Tag 9: 26. Juli 2023

Start: Le Mans, Ziel: Nantes

Heute wieder Frühstück auf dem Rad, hatte allerdings einen langsameren Start als gestern. Was ein Ruhetag nur so alles ausmacht ... In Nantes war ich vor neun Jahren schon einmal im Zuge eines Austausches unserer Schule, an ein bisschen erinnerte ich mich.

Die Beine waren nicht so gut, allerdings gab es nur 180 Kilometer zu bewältigen. Die zweite Hälfte führte entlang der Loire, das war schön. Außerdem spürte man den näherkommenden Atlantik, das war auch cool. Karaoke aufm Rad war auch wieder am Start und ich inhalierte auch ein Baguette. Ich hatte endlich wieder eine Nacht über das Portal "Warm showers" organisieren können, das tat meinem Geldbeutel nach über 800 in Paris ausgegebenen Euros sehr gut.

Mein Gastgeber war ein 70-jähriger, allein lebender Mann in einer Wohnung nahe dem Stadtzentrum. Obwohl er nur Französisch sprach, kamen wir sehr gut miteinander aus, da er für sein Alter erstaunlich viel Technik und Internet benutzte. Er selbst zog manchmal den Google Übersetzer raus. Nach dem Abendessen, das er mir ohne zu zögern zubereitete, gab er mir auch noch seinen Schlüssel, damit ich Nantes sehen konnte und er ins Bett gehen konnte. Als ich auf dem Weg ins Zentrum an dem Schloss vorbeiging, erinnerte ich mich, dass das der Ort war, an dem ein bestimmtes Bild von mir vor neun Jahren gemacht worden ist.

Ich hab noch mal gegessen, getrunken natürlich auch. Champagne für sieben Euro das Glas empfand ich als Nötigung. Außerdem trank ich noch einen St. Germain Spritz (St. Germain ist ein sehr bekannter französischer Holunderblütenlikör) in einer Dive-Bar. Der 20-jährige Besitzer machte einen tollen Job inklusive Feuerspeieinlage.

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Frückstück auf dem Rad – auch das klappt, wenn's schnell gehen muss.

Tag 8: 25. Juli 2023

Start: Paris, Ziel: Le Mans

Schon wieder Regen. Ich habe dazu gar nichts geschrieben, aber in Paris war das Wetter wirklich sehr wechselhaft. Nach einer guten Nacht und mit erholtem Magen machte ich mich direkt auf den 220 Kilometer langen Weg nach Le Mans. Gutes Gefühl trotz Nieselregen. Dank guter Beine frühstückte ich erst nach über einer Stunde wieder auf dem Rad. Auf dem Weg lag Chartres, eine malerisch schöne Altstadt mit pompöser, wunderschöner Kathedrale.

Kurz danach stürmte und regnete es heftig, was der Himmel auch schon ankündigte, und ich machte meine erste Pause, um nicht krank zu werden. Zeit verging und es wurde später und später. Eine gute Route nach Le Mans zu finden war jetzt schwieriger, die Straßen wurden kleiner und unübersichtlicher. Perfekt bei wenig Akku und Regen.

Na ja, keine Aufgabe zu groß und so kam ich dann auch an. Allerdings musste ich noch was buchen, das Portal "Warm showers" war wieder erfolglos. Da traf ich eine falsche Entscheidung, dachte mir: drei Euro mehr, Appartement, dafür einen Kilometer näher am Zentrum. Allerdings dauerte es vor Ort etwa eine Stunde, bis der Verantwortliche vorbeikam und mir die Schlüssel gab und das bei 18 Grad Celsius und Handy mit sieben Prozent Akku. Das hätte ich mit einberechnen müssen. Na ja, again what learned. Das hat mir auch verbaut, etwas besser essen zu gehen. Schade.

Ich machte mich zügig auf den Weg zum Hauptplatz, auf dem viel los war. Eine Straße weiter kamen zwei Kleinwagen zum Stillstand, woraufhin zehn vermummte, junge Männer ausstiegen und geschlossen in Richtung eines Innenhofes gingen. Ich dachte mir zuerst nichts dabei, da es immer wieder kleine Grüppchen zu sehen gab, die zusammen einen schönen Abend hatten. Als sie aber in diesem Innenhof angekommen waren, waren daraus nur noch verschiedene Geräusche eines nichts gerade freundlichen Zusammentreffens wahrzunehmen. Berstende Gläser, beleidigende Rufe, das hörte sich zumindest in ihrer Welt nach Spaß an. So etwa habe ich noch nie erlebt. Ich habe normalerweise vor niemandem Angst – vor Gruppen allerdings schon.

Weiter gings auf die Suche nach einem geeigneten Restaurant und ich habe noch was relativ Gutes gefunden. Der Hauptplatz, an dem es lag, war neu gepflastert samt Tram und öffentlichem Gemüse- und Kräutergarten sowie hölzernen Stühlen und Liegen.

Tag 7: 24. Juli 2023

Start: Paris, Ziel: Paris

Das erste Mal, dass ich lange geschlafen hab auf diese Reise. Ganze zwölf Stunden. Die waren auch vollkommen nötig. Mein Magen war irgendwie durchwühlt, nachts meinte ich sogar, ich müsste brechen. Mit Schonkost und einen Nap wurde es besser. Den Tag über erledigte ich die übrigen Punkte der Touri-Bucketlist, bevor es dann abends ins Fleur de Pavé ging.

Der Pass (gastronomisch: die Schnittstelle zwischen Küche und Service, umgangssprachlich: die Anrichte) befand sich an einer Bar. Super Experience für jemanden, der das sonst nicht kennt. Außerdem einzigartig die Möglichkeit, unverblümt und direkt mit den Köchen zu reden. Toll. Ebenso sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Zum Digestif habe ich die geschlossene Bar vom Vorabends angesteuert. Nun hatte sie offen. Coole Gespräche, einzigartige Cocktailkreationen und eine super Karte an einem tollen Ort.

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Das klassische Touri-Foto vor dem Eiffelturm darf natürlich in Paris nicht fehlen.

Tag 6: 23. Juli 2023

Start: Paris, Ziel: Paris

Nach einem für ein Hostel übliches Frühstück hatte ich einige Planungsschwierigkeiten. Ich habe immer noch keinen privaten Übernachtungsplatz gefunden für die nächsten zwei Tage, die ich in Paris bleiben wollte, also musste ich meinen Aufenthalt in der Jugendherberge verlängern. Damit hatte ich zumindest meine Unterkunft für den Besuch in Paris gesichert. Das dauerte allerdings, weil ich eben nach Alternativen suchte. Ich fand leider keine, obwohl die Herberge mit guten fünf Kilometern zum Zentrum nicht optimal waren, da ich insgesamt rund fünf Stunden auf Miet-E-Bikes verbrachte.

Ich habe dann einige bekannte Attraktionen besichtigt oder, besser gesagt, bin vorbeigefahren, weil ich kein großer Fan – gerade bei dieser Art von Trip – bin, in Museen zu gehen oder Ähnliches. Außerdem hielt ich Ausschau nach einem geeigneten Ort, um die letzte Etappe der Tour de France optimal zu verfolgen. Leider hat sich da in den letzten Jahren etwas verändert, denn Teile um die Zielankunft werden nun weiträumig gesperrt und für den Zutritt zu ausgewählten Orten werden Tickets verkauft. Ich hatte allerdings genügend Zeit, da das ganze Fahrerfeld teilweise sogar einen morgendlichen Transferflug am Tag der letzten Etappe hinlegt.

Ich sah mir also in der Zwischenzeit einige alte Gebäude an und war erstaunt, welch riesigen Aufwand in die Restauration der Notre-Dame-Kathedrale gesteckt wird. Ich besuchte ebenso einige Bäcker sowie Konditoren und verköstigte mich beispiellos. Mittags war das Wetter noch ziemlich schlecht, mit einigen Schauern und 16 Grad Celsius, bevor es nachmittags immer besser wurde in Richtung 26 Grad Celsius und Sonnenschein. Immer mehr Straßen in Paris wurden gesperrt und immer mehr Polizei zeigte sich präsent.

Ganz zufällig war ich mit meinem Miet-E-Bike auch auf einem Teil der Strecke unterwegs, natürlich lange bevor, das Fahrerfeld kam. Als ich die Gatter links und rechts am Straßenrand und den Richtungspfeil sah, bekam ich die ersten Renngefühle. Noch vor vier Jahren war es für mich normal, an einem Sonntag irgendwo hinzufahren. Und in welchem Ort auch immer genau da hin zu fahren, wo gesperrt war. Denn da fand das Rennen statt. Kurze Zeit später habe ich dann einen recht guten Platz leicht erhöht über dem Place de la Concorde gefunden, also kurz nach der Flamme Rouge, dem letzten Kilometer.

Ich hatte Gänsehaut, als ich die Motorengeräusche des Flugzeugs wahrnahm, das über dem Fahrerfeld zur TV-Übertragung kreiste. Das war über eine Stunde, bevor das Feld bei uns vorbeigefahren kam. Außerdem ist es nicht schlecht zu wissen, dass vor dem offiziellen Renn-Konvoi, eine Werbekarawane zwei Stunden vorher die Strecke bereits abfährt. Das bedeutet, dass rund drei Stunden vor Durchfahrt absolute Vollsperrung auf der gesamten Rennstrecke herrscht. Das in einer Weltstadt zu organisieren, ist ein absoluter Höllenakt, allein in Paris waren Tausende Polizisten im Einsatz.

In den zwei Stunden zwischen Werbekarawane und Fahrer ist es auf der Strecke allerdings nicht still. VIP-Fahrzeuge, Autos der Teams zur Streckenbesichtigung, sowie Polizei und so weiter fahren dauerhaft die Strecke ab. Sogar eine Straßenkehrmaschine war mit dabei.

Als dann das Feld 15 Minuten später tatsächlich ankam, erreichte uns eine La-Ola-Welle an Anfeuerungen, Geschrei und Klatschen sowie Emotionen. Es fühlte sich anfangs surreal an, das, was man 100 Stunden zuvor im Fernsehen gesehen hat, endlich live zu sehen mit Bildern und Emotionen in echt. Allein die Menschenmassen, die nur für ein Sportevent hier hergekommen sind, waren unbeschreiblich. So viele Leute. So viele Nationen. Ein Sport. Keine Gewalt, keine Ausschreitungen. Eine große Liebe. "La Grande Boucle", wie sie die Franzosen auch nennen. Es war ein emotional unbeschreibliches Erlebnis, es hat mich an so viele fantastische Dinge zurückerinnert.

Ich habe dann nach einem guten Platz zum Essen gesucht, es wurde die "Clown Bar & Restaurant". Schönes Plätzchen, originell, französisch und liebenswert, exzellenter Service, sehr gute, asiatisch angehauchte französische Küche. Direkt danach bin ich heimgefahren, um meine gerissene Hose zu nähen ... sie hielt zwei Stunden.

Tag 5: 22. Juli 2023

Start: Reims, Ziel: Paris

Es war wieder ein bisschen kalt, also trug ich alles an Radklamotten, was ich dabei habe. Gefrühstückt hab ich dieses Mal auf dem Rad, da kommt man einfach besser los. Für viele Kilometer war das einzige, was neben den Straßen war Pinot noir, Pinot Meunier und Chardonnay. Sooo schön! Verrückt, wenn man bedenkt, dass eine Traube in über zehn Jahren verflüssigt vielleicht mal über einen Euro wert ist. Ich fuhr einen Umweg über die Hauptstadt des Brie, Meaux, und aß confierte Entenkeulen mit Kartoffeln und einem Glas Champagner.

Nachdem ich durch die Weiten des Weins durch war, kam lange nur Weizen, der eben geerntet wurde. Am Ende wurde deutlich, wieso die Verkehrspolitik von Paris so heiß diskutiert wird: Es war schon ein bisschen chaotisch, mit permanenter Staugefahr. Doch es war so toll, in Paris anzukommen. Ich war noch nie hier und ich wusste auch nicht, was auf mich zukam, weil ich einfach wenige Dinge im Voraus plane.

Ich habe privat wieder keinen Schlafplatz bekommen, also auf zur Jugendherberge. Dort angekommen machte ich mich an die Abendplanung, ich wollte ein bisschen was essen und gute Drinks. Eine Bar und irgendein Sterne-Restaurant standen auf meiner Liste, ich hab allerdings was gefunden, was mir noch besser gefiel. Eigentlich will ich überall eher Lokales probieren, bei dieser Erfahrung war das aber wirklich zweitrangig.

„Candelaria“, eine Taqueria mit Drinks, hörte sich gut an. Vor Ort dann reges Treiben und ein Türsteher, der eine helle, unscheinbare, gar lieblos eingerichtete Taco-Bar bewachte. Er meinte, in fünf Minuten hätte ich Platz an der Bar und er quetschte mich irgendwie rein. Das ist dann wohl ein riesiger Vorteil des Alleine-Reisens. Ich betrat die Taqueria, an der Bar war kein Platz. Ich fragte daraufhin einen der Mexikaner, der an der Tacopresse stand, nach der Bar. Er sagte „hier“ und zeigte auf die weiße Wand, die eigentlich eine Tür aus Spanplatten war.

Hinter dieser verbarg sich eine mit Menschen, guter Laune und Kerzenlicht gefüllte höhlenartige Bar. Unglaublich toll. Platz an der Bar – Träumchen. Europas beste Bar 2013 hat mir gezeigt, was es ausmacht, einzigartig zu sein. Ich verbrachte dort einige Euros und Stunden, bevor ich in die „Little Red Door“ ging. Türsteher, lange Schlange, aber Alleinsein war wieder von Vorteil. Darin war wieder eine ebenso coole Atmosphäre, ein Mix zwischen Wohnzimmer und Bistro.

Nachdem ich meinen Drink hatte, schaute ich gespannt zu, lachte und hatte eine gute Zeit. Ohne weiteres wurde ich gefragt, ob ich auch Barkeeper sei. Es folgte in beiden Locations ein tolles, recht persönliches Gespräch. Sie fragten nach der Bar, wo ich arbeite, gaben Sightseeing-Tipps und waren einfach exzellente Gastgeber.

Tag 4: 21. Juli 2023

Start: Metz, Ziel: Reims

Heute wurde ich von trommelndem Regen geweckt im einfachen, aber schönen Penthouse meines Gastgebers. Dieser bescherte mir ein Frühstück und wir ratschten noch über Bikepacking. Witzigerweise hat er fast dieselbe Tour durch Italien ein Jahr früher in die andere Richtung gemacht!

Bei dem Wetter habe ich mich nicht beeilt und mich auch mental für einen längeren, kalten Tag auf dem Sattel mit prognostizierten drei Stunden Nieselregen und nur 16 Grad Celsius fertiggemacht.

Perfekt gekleidet und motiviert ging's dann los – 180 Kilometer nach Reims in der früheren Champagne. Das Mindset war hier sehr wichtig, denn es war kälter als gedacht und anstrengend. Allerdings war von Vorteil, dass der Himmel in Fahrtrichtung blau war, zumindest am Horizont.

Auf dem Weg durchquerte ich Verdun und sah im Vorbeifahren unendlich viele Gedenkstätten, Friedhöfe, Schlachtplätze und militärische Vorrichtungen. Das hat ein flaues Gefühl in mir hinterlassen.

Auf den verbleibenden Kilometern nach Reims hoffte ich, noch etwas von Großproduzenten aus der Champagner-Industrie zu sehen; ich wurde nicht enttäuscht. Veuve-Cliquots Verwaltungsgebäude war riesig, ein Vranken-Pommery-Schloss kurz hinter den Stadtmauern ebenso. Unverkennbar, welch wirtschaftliche Rolle dieser alte Traubensaft hier spielt.

In der Stadt selbst waren einige Souvenir-Shops und auch Ausstellungen, bei denen man zum Beispiel Keller oder gewisse Vorrichtungen begutachten konnte. Mir war das allerdings zu touristisch. Lieber würde ich einmal bei der Ernte helfen – natürlich gegen flüssige Bezahlung.

Die Nachtszene in der Stadt war aktiv und an einer langen Fußgängerzone gelegen, in der örtlichen Jugendherberge fiel ich in mein Bett.

Tag 3: 20. Juli 2023

Start: Worms, Ziel: Metz

Nach einem schönen Frühstück mit dem Barfreund verließ ich Worms mit großer Vorfreude, endlich Deutschland zu verlassen.
Die Route beinhaltete kleinere Anstiege und viele neue Orte für mich. Als ich realisierte, dass mich die Route nach Metz durch Kaiserslautern führt, war ich glücklich, weil ich genau wusste, wo ich da vorbeikomme.

Nach 30 Kilometern mitten im Nirgendwo, komplett allein auf einer Landstraße übersah mich ein von rechts auf meine bevorrechtigte Straße einbiegender LKW. Ich dachte, er sah mich, da ich rot gekleidet bin. Tat er nicht. Es war bereits zu spät zum Bremsen und ich begann, auszuweichen und zu beschleunigen. Er kam mir immer näher, ich trat immer härter in die Pedale und mir gelang es, ihm zu entfliehen. Irgendwie schaffte ich es. Irgendwie hab ich meinen Arsch retten können. Irgendwie wurde ich nicht von einem LKW überrollt. Ihm war das egal, er tat als wäre nichts passiert und ist weitergefahren.

Man spricht im Augenblick gerne von Schrecksekunden. Das zugrundeliegende Schreckensereignis ist meist eher einen Augenblick beziehungsweise einen Gehirn’schen Neuberechnungszeitraum lang. Hier handelte es sich aber wirklich um eine Sekunde. Ich war nicht besonders schnell und er fuhr stark an, das wäre um ein Haar echt katastrophal geendet. Ich sah mich bereits unter seinen Rädern auf die Feuerwehr wartend. Im Schockraum. Mit der Wahl, mich mit den Schmerzen oder meinem wachsenden Hass gegenüber rücksichtslosen Verkehrsteilnehmern auseinanderzusetzen. Wie übersieht man auf der Straße einen rot gekleideten Menschen am hellichten Tag? Wie?

Es hat eine Zeit gedauert, bis ich das verdaut hatte ... Ich weiß wie ein Schockraum aussieht und ja ich habe ihn liegend besucht. Ich war extrem dankbar, dass ich ihn damals nicht wirklich brauchte und zeitgleich wusste, dass man in Deutschland im Fall der Fälle in besten Händen ist. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich erst rund 15 Prozent der Strecke absolviert. Ich fing mich und fuhr weiter.

Was gibts in Kaiserslautern Interessantes? die Ramstein Air Base. Ich liebe Flugzeuge, Militärzeug und mag Amerika. Mir gefällt, dass quasi jeder Soldat sowie alles an Equipment auf dem Weg in den Nahen und Mittleren Osten hier zwischenlandet. So wichtig ist unsere außenpolitische Gastfreundschaft für die militärische Schlagkraft unseres stärksten NATO-Partners. Ich sah einige große Flieger landen, das war cool.

Die nächste größere Stadt auf der Route war Saarbrücken. Ich war noch nie im Saarland, das war also genauso neu für mich wie Teile des Rheinlands. Ich hab mich kurz hingesetzt und die „vibes gecatcht“, wie man heute sagt und fuhr dann fort.

Tatsächlich: die erste internationale Grenze! Eigentlich kenne ich so etwas überhaupt nicht. Noch nie in meinem Leben habe ich physisch eine Landgrenze überquert, an der rigoros kontrolliert wird. Es war schon ein besonderes Gefühl, Haus an Haus, ein paar mehr Schilder und plötzlich hatten alle Kennzeichen ein F statt ein D unter den Sternen. Allein an den Straßenmarkierungen und dem Schilder-Layout erkannte ich das Land der Liebe.

Ich bin außerdem mindestens fünf Jahre nicht in Frankreich gewesen und hier noch nie Rennrad gefahren. Ich habe allerdings Hunderte Stunden Tour de France geschaut. Ich hab das wiedererkannt und hatte das Gefühl, selbst mitzufahren, die Motorradgeräusche vom Kamerabike und die Zuschauer zu hören. Ein unbeschreibliches Gefühl, welches mich die letzten 50 der 200 Kilomter beflügelte.

Unterwegs habe ich mir noch eine Übernachtungsmöglichkeit über Warmshowers klargemacht – einer Art Couchsurfing-App für Radreisende. Die Stadt war sehr schön, ich aß etwas, bevor ich dann meinen Gastgeber traf. Wir schlenderten durch die Stadt, sahen uns eine Lichtershow an der Kathedrale an und tranken noch ein Bier. Ab auf die aufblasbare Matratze und ciao.

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Seine eigene Tour de France – die plant Severin Gießibl. Anschließend soll es auch noch nach Spanien, Italien und in die Schweiz gehen.

Tag 2: 19. Juli 2023

Start: Bamberg, Ziel: Worms

Ich verließ Bamberg mit einem Lächeln. Ich war einfach sehr positiv gestimmt über den Trip. 240 Kilometer standen auf dem Plan, die durch Hitze, Gegenwind, einem apokalyptischen Regenschauer sowie vielen Anstiegen zum Schluss mir nicht gerade leicht gemacht wurden. Die Route war gespickt mit wunderschöner Natur, so vielen verschiedenen kleinen Dörfern und einfach sehr viel von Deutschland, was ich so noch nicht gesehen habe. Gerade der Odenwald fühlte sich wie ein passender Rückzugsort an.

Ich hielt für einen Affogato in Würzburg, sehr kurz, da mir schon bewusst war, dass ich sehr lang für diese Etappe benötigen werde. Es fiel mir anfangs schwer, aber es wurde leichter und leichter und nach über sieben Stunden erreichte ich ein absolutes Stimmungshoch mit Karaokeartigen Ausbrüchen. Außer Würzburg gab es quasi keine Stadt auf dem Weg, also bin ich den Rest der Zeit nur gerollt.

Ziel war Worms, eine kleine, aber liebenswürdige Stadt am Rhein. Ein befreundeter Barbesitzer lebt dort über seiner detailreich gestalteten und familiär ausgelebten Bar. Wir hatten einen schönen Abend in seiner Bar und ein gutes Gespräch über die Branche und Szene, bevor ich (viel zu spät) schlafen ging.

Tag 1: 18. Juli 2023

Start: Regensburg, Ziel: Bamberg

Nach viel Organisation, Aufräumen, Packen und vierfachem Checken, dass ich alles hab, was ich brauch, hab ich es nachmittags geschafft loszufahren. Allein. Für sechs Wochen. Auf mein größtes Abenteuer. Stell dir vor, du machst das. Was nimmst du mit? Was lässt du zurück? Wie extrahierst du dich aus deiner alltäglichen Umwelt? Hast du genug Leute, die deine Pflanzen gießen? Bist du bereit für all die Dinge, von denen du dir nie vorstellen könntest, dass sie dir passieren?

Ich GLAUBE: Ja.

Ich hab noch wichtige Post versandt, ebenso mit der Notiz, dass ich sieben Wochen lang nicht antworten werde und habe noch etwas Brot gebacken, wovon ich eines mitnahm. Die Route durch die Oberpfalz und weite Teile Frankens war wunderschön und ich konnte schnell einen guten Reiserhythmus finden. Altdorf, Forchheim, Lauf und Neumarkt waren mir relativ neu.

Auf über der Hälfte der Strecke hatte ich Gänsehaut. Es hat sich immer noch verrückt und unfassbar angefühlt, den sicheren Hafen Elternhaus mitsamt seinen unbegrenzten Möglichkeiten gegen ein Rad und sieben Kilogramm Gepäck einzutauschen. Wer mich von Radrennen kennt, weiß, dass ich immer mit Abstand am meisten dabei hatte. Ich wollte immer für alles gerüstet sein und gerade im Wettkampf nichts dem Zufall überlassen. Im Gegensatz dazu habe ich jetzt nur ein bisschen Panzertape, Kabelbinder und ein Taschenmesser dabei – neben normalem Fahrrad-Reparaturzeug.

Das Ziel nach 169 Kilometern mit 1.330 Höhenmetern war Bamberg. Zuletzt war ich hier vor zwölf Jahren als Teil der Regensburger Domspatzen auf Konzert. War also wieder eine Reise wert. Ein guter Freund zog dort kürzlich hin und ich hatte ihn noch nicht besucht. In der wahrscheinlich schönsten Stadt Frankens mit italienischem Flair, was auch die beiden italienischen Touristen ausmachten, die gerade in der Eisdiele vor uns standen, zogen wir um die Häuser. Rauchbier ist die kulinarische Spezialität der traditionsreichen Stadt. Danach fiel ich ins Bett.

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Die erste Etappe seiner Reise bringt Severin Gießibl nach Bamberg.

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Die erste Etappe seiner Reise bringt Severin Gießibl nach Bamberg.

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Die erste Etappe seiner Reise bringt Severin Gießibl nach Bamberg.

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Die erste Etappe seiner Reise bringt Severin Gießibl nach Bamberg.

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Die erste Etappe seiner Reise bringt Severin Gießibl nach Bamberg.

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Die erste Etappe seiner Reise bringt Severin Gießibl nach Bamberg.

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Die erste Etappe seiner Reise bringt Severin Gießibl nach Bamberg.

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Die erste Etappe seiner Reise bringt Severin Gießibl nach Bamberg.

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Die erste Etappe seiner Reise bringt Severin Gießibl nach Bamberg.

Was ich alles dabei habe

In so einer Tour ist ein gewisser Selbstfindungscharakter enthalten, da ich immerhin über 85 Prozent der Gesamtmasse von Gepäck, Rad und Kleidung ausmache. Jedes "Item" hat einen unvergleichbaren Wert, da die rund sieben Kilogramm Gepäck das absolute Ein und Alles sind, mit dem ich diese Reise bestreiten möchte.

Den genauen Grund, weshalb ich vergangenes Jahr meine erste große Tour machte, weiß ich nicht mehr; aber sobald ich es mir in den Kopf gesetzt hatte, war ich davon nicht mehr abzuhalten.

Einmal Italien und zurück: meine Tour im vergangenen Jahr

Vergangenes Jahr bin ich über vier Wochen schon 4.000 Kilometer gefahren – von Regensburg über den Brenner zum Gardasee, anschließend über die Po-Ebene an die Adria bis zum Gargano. Nach der Appenin-Überquerung bei bis zu 20 Prozent Steigung und 47 Grad Celsius im Schatten über die Amalfi-Küste zur Pizza-Geburtsstadt und über die Via Appia dahin, wo alle Wege hinführen: Rom. Durch die schönsten mit Zypressen übersäten Hügel der Toskana und die Cinque Terre, nach Portofino, den schönsten Fleck ligurischer Küste, über die modischste Stadt an den Lago Maggiore. Dort Auszeit und nach vier Tagen „dolce far niente“ über den Bernardino, das Rheintal und Allgäu zurück! Geografisch, kulinarisch, kulturell, sportlich und menschlich ein unvergleichliches Erlebnis

Mein Weg zum Rad

Über eine erkannte Leidenschaft und Freunde bin ich 2015 Vollgas mit dem Rennrad durchgestartet und war schon immer jemand, der noch etwas länger gefahren ist, anstatt die härteren, kürzeren Intervalle zu absolvieren. Die hätten mehr spezifischen Trainingsfortschritt für die Rennen gebracht, die ich ab 2016 bestritten habe.

Bei meinem damaligen Verein gab es eine sehr gut organisierte Rennmannschaft, der ich angehörte. Mit ihr bereiste ich einige Länder, unter anderem sogar Trinidad und Tobago und nahm auch, eher erfolglos, an Deutschen Meisterschaften in der Elite und U23 teil.

Mit Corona gab es kaum noch Rennen, in Deutschland erstmal nur auf Rennstrecken, also sehr selten und unter höchsten Auflagen. Das hat dazu geführt, dass ich den Rennsport beendete. Seitdem trainierte ich ab (eine gängige Praxis, um peu à peu die Belastung zu reduzieren, um Herzprobleme zu vermeiden) und erledigte mehr und mehr Dinge mit dem Rad. Seit geraumer Zeit ist das mein Verkehrsmittel der Wahl um Freunde zu besuchen, für die Stadt und vieles mehr.