Regensburg/Mitterdorf

Blinde Fahrt: Ein Besuch bei dem sehbehinderten Jonas und seinem Skilehrer auf der Piste


Ein Besuch bei dem sehbehinderten Jonas und seinem Skilehrer.

Ein Besuch bei dem sehbehinderten Jonas und seinem Skilehrer.

Jonas ist fast blind. Sein Sehvermögen beträgt fünf Prozent. Er kann von seiner Umgebung Konturen und Farben wahrnehmen. Mehr nicht. Trotzdem lässt er sich nicht unterkriegen und betreibt viel Sport, im Winter vor allem Skifahren. Ein Besuch bei Jonas und seinem Skilehrer auf der Piste.

Es passiert in einer Rechtskurve. Kurz hat Jonas seine Ski nicht unter Kontrolle. Er rutscht ein wenig die Piste hinunter. Ein paar Meter später laufen seine Bretter wieder parallel. Jonas zieht die nächste Kurve. Später wird er sagen: "Meine Ski parallel zu halten, finde ich noch am schwierigsten."

Jonas Biebricher ist 14 Jahre alt und kommt aus Essen. Seit acht Jahren fährt er Ski. Das wäre an sich nichts Außergewöhnliches. Doch Jonas ist von Geburt an stark sehbehindert, fast blind. Von Menschen und Gegenständen in seiner Umgebung nimmt er nur Konturen und Farben wahr. Trägt jemand eine knallrote Jacke, kann er das grob erkennen. Setzt sich aber eine Person mit ähnlicher Kleidung auf denselben Platz - Jonas würde es nicht merken. Nur die Stimmen kann er natürlich unterschieden und daran orientiert er sich vor allem bei Menschen. Trotzdem fährt Jonas begeistert Ski. Allerdings nicht alleine.

Heute nimmt er an einem Skikurs im Skigebiet Mitterdorf im Landkreis Freyung-Grafenau teil. Der Kurs geht vom Verein TSV Kareth-Lappersdorf aus dem Landkreis Regensburg aus. Sein Skilehrer Daniel Meuer kommt aus der Nähe von Regensburg und ist heute die wichtigste Person für Jonas. Er begleitet den 14-Jährigen sicher die Piste hinab.

Ein Lautsprecher am Rücken zur Orientierung

"Die Piste hier ist relativ flach. Wir machen die erste Kurve rechts. Bist du bereit?", fragt Daniel oben am Berg. "Ja, wir können starten!". Die beiden stoßen die Skistöcke in den Schnee. "Geht, geht, geht, geht uuund hooopp! Geht, geht, geht uuund hooopp! Geht, geht, und hopp..." - Skilehrer Daniel spricht in ein kleines Mikrofon, am Rücken trägt er einen Lautsprecher, das seine Stimme verstärkt. Dieser folgt Jonas auf der Piste in etwa zwei bis drei Metern Abstand. Durch den Lautsprecher am Rücken ist das Tonsignal immer auf derselben Höhe. Das ist wichtig für den Skifahrer, um sich zu orientieren.

Mit "Geht", "Hopp" und "Halt" sicher die Piste hinunter

"Geht" bedeutet dabei: Fahr gerade weiter, die Piste ist frei. "Hopp" steht für eine Kurve. Damit klar ist, ob eine Rechts- oder Linkskurve gemeint ist, legt Daniel die erste Kurve fest, danach geht es immer abwechselnd weiter - außer es kommt ein neues Kommando. Als drittes Signal gibt es "Halt". Je nachdem, ob Daniel das Kommando schnell oder langsam spricht, weißt Jonas, wie er reagieren muss. Ein schnelles "Hopp" ist eine enge Kurve, ein langgezogenes "Hooopp" eine weite. "Und" dient zur Vorbereitung. Damit weiß Jonas: Vorsicht, gleich kommt ein Signal. Ob ein Skifahrer mehr oder weniger Signale auf der Piste benötigt, hängt davon ab, wie gut er sieht. Das entscheidet auch die Tagesform und das Wetter. Mit seiner heutigen Verfassung ist Jonas zufrieden: "Das Wetter ist gut, ich fühle mich sicher auf den Ski."

"Es darf gerne mal steiler sein!"

Am Vormittag sind Jonas und Daniel schon einige Male den Hang gefahren, deshalb soll die nächste Abfahrt auf einer anderen, etwas steileren Piste stattfinden. Jonas freut sich: "Es darf gerne mal steiler sein! Am liebsten habe ich es, wenn der Schnee gut ist, ich die Ski laufen lassen kann und es den Hang schnell hinunter geht."

Von Essen, der Heimat von Jonas, zum Skiverein Kareth-Lappersdorf, nahe Regensburg, ist es ein gutes Stück. Wie kam Jonas dazu? Der TSV Kareth-Lappersdorf war einer der ersten und ist nach wie vor einer der wenigen Vereine, der Skifahren für Blinde ermöglicht. Dabei ist Rolf Kroseberg, dem dortigen Ansprechpartner fürs Blindenskifahren, eines wichtig: "Wir begleiten die blinden oder sehbehinderten Sportler, wir betreuen sie nicht. Denn eine Betreuung brauchen sie nicht."

Zurück zu Jonas. Seine Eltern sind begeisterte Skifahrer, deswegen sollte es auch ihr Sohn probieren. Mit sechs Jahren stand Jonas das erste Mal auf Ski. "Das war eine Katastrophe", blickt er zurück und grinst. "Ich war in einem normalen Skikurs mit fünf weiteren Kindern und kam kaum voran." Danach nahm er Einzelunterricht - viel besser. Auch beim dreitägigen Skikurs in Mitterdorf begleitet je ein Skilehrer einen sehbehinderten oder blinden Sportler. "Anders ergibt es keinen Sinn. Es würde den Skifahrern nichts nützen", sagt Rolf Kroseberg.

Nicht einfach nur dem Skilehrer nachfahren

"Und halt!" Mit einem Rechtsschwung kommt Jonas am Ende der Piste neben seinem Skilehrer zum Stehen. Sie reihen sich in die Schlange am Lift ein. "Versuche, bei der nächsten Abfahrt deinen Rücken beim Fahren etwas gerader zu halten", gibt Daniel Jonas Tipps. "Das macht das Fahren einfacher." Daniel nimmt Jonas am Arm, sie passieren die Schranke vor dem Lift.

Auch das Liftfahren ist für Jonas kein Problem. Daniel hilft ihm, sich in Position zu bringen: "Achtung, der Bügel kommt. Drei, zwei, eins." Los geht die Fahrt nach oben.

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Jonas' Fazit nach ein paar Pisten-Abfahrten.

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Das Befestigen der Ski ist Teamarbeit.

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Mit Hinweisen auf den Warnwesten erkennen andere Skifahrer auf der Piste, dass sie auf Jonas und Daniel Rücksicht nehmen sollen.

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An der Stimme, die aus dem grauen Lautsprecher am Rücken von Skilehrer Daniel kommt, orientiert sich Jonas.