Straubing

Die Stadt Straubing und die Höhenangst


Schön oder schiach? Auf alle Fälle flach: die neue Dreifachturnhalle direkt am Zentrum. Wer will urban sein und baut Flachbauten ins Zentrum?

Schön oder schiach? Auf alle Fälle flach: die neue Dreifachturnhalle direkt am Zentrum. Wer will urban sein und baut Flachbauten ins Zentrum?

Wo waren wir stehengeblieben? Woolworth, genau. Strolchen wir weiter zur Bahnhofstraße, bei deren Neueröffnung der OB gesagt hat, dass "fast alle" Geschäfts- und Hausbesitzer hier für die Winterbeleuchtung mitzahlen, und dass er deshalb "fast allen" in der Bahnhofstraße dankt. Da zahlt einer offenbar nicht mit. Aber wie man hört, hat einer immerhin in letzter Minute erlaubt, dass die Winterbeleuchtung an seinen Häusern festgemacht werden darf. Das war echt nett. Echter Gemeinsinn halt. Und als es dunkel war, hat die Winterbeleuchtung angefangen zu leuchten: weiß, cremefarben, orange.

Sehr schön, hab' ich gedacht. Aber ich hab' auch gedacht, wegen mir hätt' Weiß alleine es auch getan, ich bin da anspruchslos. Creme vielleicht noch. Ein paar Abende später bin ich auf dem Heimweg am Woolworth. Sehr schön, diese Lichter der Bahnhofstraße, denk' ich und mach mit dem Smartphone ein Foto. Es zeigt alle Lichter nur in Weiß. Cremefarben und Orange zeigt es nicht. Ich merke gerade, dass mich das irritiert, da kommt ein Paar von der Cafébar her.

"Tschuldigung", sagt der Herr, "zeigt Ihr Foto die Farben? Bei uns nämlich ned." Und die Frau sagt: "So schön, diese Farben! So schön!" Und sie hat absolut recht. Was ich damit sagen will: Naja, manchmal lieg' ich halt daneben, natürlich nur manchmal. Manchmal nämlich nicht. Weiter unten zum Beispiel, die neu sanierte Fassade vom Zimmermann: Wow! Wunderbar. Kompliment. Da kann man sehen, was für eine Prachtstraße diese Straße einst war. Und gleich vis-a-vis das glatte Gegenteil: Da stehen Flachbauten, und daran erkennt man Historisches: Nämlich, wie diese Straße im Krieg zerbombt worden ist. Ein Fall für den Denkmalschutz also? In dieser Stadt ist das fast zu befürchten.

Wo sind Symbole des aufstrebenden Straubings?

Seit 60 Jahren stehen diese Nachkriegsflachbauten da rum und verkaufen wichtige Dinge wie Schnellimbiss-Pizza Hawaii. Wahrscheinlich stehen die noch 60 Jahre flach rum. Straubing, das glaube ich fest, hat nämlich ein Faible für niedriges Bauen. Nehmen wir die Diskussion um den Plan für den Block hinter der Stiftskirche. Was war die große Befürchtung? Dass er zu groß wird, zu hoch. Verstehen Sie das bitte nicht falsch: Selbstverständlich muss man hinterfragen, ob da eine Gefahr ist, dass etwas zu groß wird oder zu hoch. Aber in Straubing sehe ich die Gefahr doch eher andersrum.

Das Einzige, was bei uns zu groß ist, ist das Theresiencenter, und das funktioniert nicht, weil es zu klein ist. Das hätte entweder größer oder gar nicht gehört. Aber in Straubing ist vieles klein-klein. Nehmen wir zum Beispiel den Turm am Ende der Bahnhofstraße, am Jahnplatz: Der hat was Städtisches, der strahlt Urbanität aus. Er ist nur etwas klein. Wäre er höher, wäre er noch sehr viel besser. Städtischer halt.

Tatsächlich war er drei Etagen höher geplant. Aber das ist damals abgelehnt worden: zu hoch. Vor gut zehn Jahren war das, ein Fall von Straubinger Höhenangst, obwohl gar keine Stiftskirche in der Nähe war, die er ruinieren hätt' können. Vielleicht war's für eine Mehrheit im Stadtrat auch nur der falsche Bauherr. Drei Etagen mehr wären ein Statement gewesen: ein Solitär, Symbol für ein aufstrebendes Straubing, Urbanität. Fahren Sie rein von der Landshuter Straße, schauen Sie's sich an, stellen Sie sich drei Etagen mehr vor: Sie werden mir recht geben. Knapp 22 Meter ist er hoch. In Deggendorf haben sie einen 22-Meter-Turm abgelehnt. Dort werden es 36 Meter. Die machen es richtig, ein Turm ist dort ein Turm.

Sind das die Flachbauten im Zentrum?

Oder die Schildhauerstraße: eine Innenstadtlage, urbanes Gebiet. Was finden wir hier? Flachbauten. Supermarkt, Apotheke, Videothek, Schuh oder Ein-Euro-Laden, das wechselt ja öfter da. Flachbauten haben den Charme einer Ausfallstraße. Für gewöhnlich stehen sie auch an solchen, das ist schlimm genug. Hier stehen sie in der Innenstadt. Sie blockieren Innenstadtverdichtung. Sie sind verschenkte Chancen. Schiach sind sie auch. Oder 500 Meter weiter stadteinwärts, die Dreifachturnhalle direkt am Zentrum: Flachbau. Wer will urban sein und baut Flachbauten ins Zentrum? Straubing. Das ist natürlich nicht die Sicht eines Fachmanns. Es ist eine Laiensicht. Der Fluch für den Fachmann ist, dass durch die Welt so viele Laien strolchen. Fachleute mögen es nicht, wenn Laien sich äußern zu Dingen, die sie nicht verstehen. Weil dann strolcht so ein Laie, von den Schildhauer- (wieso -hauer? Heißt das nicht eigentlich -bürger?)-Flachbauten kommend, an der Dreifachflachhalle vorbei und denkt: "Alles so flach hier. Sogar die Türme bauen sie flach. Vielleicht liegt's am Gäuboden. Der ist ja auch relativ flach." Ja, Laien sind schlimm, und vor der Dreifachhalle ist eine Brache. Und Brachen sind wie? Flach.

An der Brache vor der Dreifachturnhalle ist eine Hauptverkehrsstraße. Wer da vorbeikommt, sieht erst die Brache, dann eine Hallenrückseite. Die ist fensterlos schwarz. Man hat sich bestimmt was gedacht dabei, dass man da die Rückseite hinstellt, vielleicht wegen der Sonne. Egal. Die Wirkung ist flach. Das war natürlich auch Stadtverwaltung und Bauausschuss klar. Ihr Gedanke war darum, dass auf der Brache Häuser gebaut werden, Geschäfte und Wohnen, dann sieht man den Flachbau nicht mehr. Aber die Brache gehört zwei Besitzern, und der eine hat Baupläne, der andere leider nicht unbedingt. Leider ist der mit den Nicht-Unbedingt-Plänen der mit dem größeren Grundstück und sagt: "Das hat Zeit." Viel Zeit, vermutlich.

Warum nicht ein Türmlein an der Persiluhr?

Es gibt in der Stadt ja noch viele andere unschöne Stellen, sagt er. Da hat er recht. Weil aber in Straubing eine gewisse Wohnungsknappheit herrscht, die in Richtung Wohnungsnot geht, sind flache Flächen und Bauten verschenkte Chancen. Denn mit Neubau-Gebieten tut sich die Stadt schwer. Hinterm Südring ein Wasserschutzgebiet, das Pillmoos im Norden Landschaftsschutzgebiet, westlich von Alburg Lehmschutzgebiet, und wo kein Schutzgebiet ist, ist Gäuboden, bestes Ackerland. Verdichtung ist da schon das Beste. Dazu gehört aber, dass man nicht allzu flach baut. Das passiert aber weiterhin.

Gleich drüben, der Spitz an der Persil-Uhr: Ein Geschäfts- und Wohnhaus ist da geplant. Der Bauherr hofft, dass er vier Stockwerke bauen darf. Warum nicht fünf oder sechs? Weil so ein Türmlein an der Stelle zu hoch wär? Ein Solitär? Und 99 Meter entfernt steht der Wasserturm und ist 65 Meter hoch und ist auch ein Solitär. Aber der ist von 1922, das zählt ja nicht mehr. Außerdem ist er ein Wahrzeichen. Aber ein, zwei Etagen mehr wären auch ein paar Wohnungen mehr. Brauchen wir keine?

Auch am Feiertagsacker wird's wieder flach. Eigentlich wollte die Stadt dort Wohnungen haben, Baugebiete sind knapp. Das Gebiet war schon ausgewiesen, es liegt perfekt: Zehn Fußminuten zum Zentrum, Lidl und Norma direkt vor der Tür, eigentlich prima. Dort hätte die Stadt sich einmal richtig trauen können, Häuser mit gleich drei Stockwerken hätte sie genehmigen können, ganz schön mutig für eine Flachbaustadt. Aber der Eigentümer will einen Baumarkt. Aus seiner Sicht verständlich, aus städtischer Sicht aber eher nicht.

Wäre nicht Schildbürger-Ring besser?

Baumärkte sind Flachbauten, und dass dort einer angesiedelt werden kann, liegt an der Stadt. Sie will schon lang einen Baumarkt im Westen. Den Platz hatte sie auch schon: im Gewerbegebiet ein paar Meter weiter hinter Norma und ehemaligem Real. Das Gewerbegebiet ist da seit Jahrzehnten. Das Dumme ist nur: Kein Baumarkt geht da freiwillig hin; die Zufahrt ist viel zu unübersichtlich.

Sagen wir's vorsichtig: Aus heutiger Sicht ist das eine städtische Fehlplanung. Sie ist nie korrigiert worden. Deshalb wird's so sein: Ein für Wohnen geplantes Gebiet wird Baumarkt. Ein für Baumarkt geplantes Gebiet wird nix. Zu erwarten ist, dass das so bleibt. Und, wie logisch klingt das? Andererseits: Wer sagt, dass das Leben logisch sein muss? Und dann diese Straße, die dieses Gewerbegebiet zur Regensburger Straße erschließen sollte, die aber direkt an einem Bahndamm endet: Warum heißt die Ludwig-Scherl-Ring? Wär da nicht Schildbürger-Ring besser? Oder ist der Vorschlag zu flach?

Und weil jetzt alle grantig sind, die Höhenablehner von der ÖDP, die Turmablehner von der CSU, der Baumarktansiedler und die Gewerbegebietsplaner, schnell noch ein Hieb gegen den alten Städtegründer Ludwig den Kelheimer. Es geht um die Stadtbusse am Ludwigsplatz. Denn der Kelheimer hat einen Stadtplatz gebaut, der als Busbahnhof ungeeignet ist. Man kann ihm diesen Vorwurf nicht ersparen. Der Herzog ist schuld. Leider ist der Ludwigsplatz aber als Busbahnhof alternativlos. Denn ein Gutachten sagt: Eine Verlagerung 150 Meter weiter zum hässlichen Platz vor der Dreifachturnhalle geht nicht, und an den Woolworth-Platz auch nicht: Beide Plätze zu klein. Erneut sehen wir: zu viel klein-klein.

Und jetzt: ein gelungener Flachbau!

Nun wäre zwar denkbar, dass man halt einen anderen Gutachter holt. Vor Gericht funktioniert das oft gut, da gibt es oft Gutachten und Gegengutachten. Zwei Juristen, drei Meinungen, sagt man ja oft, und über Architekten sagt man das auch. Aber sogar mir fehlt die Größe, das ernsthaft zu fordern. Es wird deshalb so sein, dass alle "Busse raus!"-Rufe scheitern. Dafür werden irgendwann die Parkplätze am Ludwigsplatz weg sein, um die Bus-Situation etwas zu entzerren: kleine Lösung, eh klar.

Aber wir wollen auch ein Beispiel für einen gelungenen Flachbau präsentieren, und wiederum in der Bahnhofstraße. Dort ist ein neuer Kreisel. Er ist sehr klein. Viele Autofahrer verdrießt das. Man kann, klagen sie, so schlecht herumfahren. Mir aber gelingt es mühelos, im Selbstversuch habe ich es getestet. Ich gebe zu, dass ich nur ein Kleinwagenfahrer bin, Panda, echt winzig, der winzigste Panda der Welt. Aber ich behaupte: Mit einem Audi schaff' ich das auch.

Der Kreisel ist nämlich ein Flachbau. Das ist nicht schlecht. Man kann über den Randstein fahren, es schadet weder Auto noch Kreisel. Ist das nicht gut? Die Bahnhofstraße ist wirklich sehr schön geworden. Vielleicht zaubert sogar irgendwer irgendwann diese Nachkriegs-Flachbauten weg. Es steigen ja immer mehr Immobilienleute aus Regensburg und anderswo in Straubing ein; vielleicht kommt ein bisserl Bewegung in unser Klein-klein, und unsere Höhenangst legt sich. Wer stellt sich schon Unterm Rain hin und lurt, ob er die Stiftskirche noch sieht? Ich sicher nicht. Ich geh jetzt heim durch die Bahnhofstraße, und morgen plan' ich München um. Die Löwen brauchen ein Stadion.