Regensburg/München

Polizei steht wegen ihrer Social-Media-Arbeit in der Kritik


Der Twitter-Account der Münchner Polizei ist auf einem Smartphone zu sehen. Ohne Twitter und Facebook geht es auch bei der Polizei nicht mehr.

Der Twitter-Account der Münchner Polizei ist auf einem Smartphone zu sehen. Ohne Twitter und Facebook geht es auch bei der Polizei nicht mehr.

Von Florian Reil, dpa

Ohne Twitter und Facebook geht es auch bei der Polizei nicht mehr: Die Bevölkerung warnen, Großeinsätze begleiten und manchmal auch kuriose Fälle öffentlich machen. Für Experten und Politiker eine heikle Entwicklung. Die Polizei könnte zu weit gehen.

Einsatz für die Streifenpolizisten: Ein Igel ist in ein Loch gefallen. Die beiden Beamten retten das kleine Tier aus seiner misslichen Lage - alles gefilmt und online gestellt auf der Facebook-Seite des Polizeipräsidiums Oberpfalz.

Das sei eine der "netten Geschichten gewesen, die den Polizeialltag darstellen", sagt Judith Kleinhanß. Sie gehört zum Social Media-Team des Polizeipräsidiums Oberpfalz. Längst setzen alle Präsidien der bayerischen Polizei auf die sozialen Medien: Kuriose Einsätze öffentlich machen, vor Gefahrenlagen warnen und Prävention leisten - mal lustig, mal ernst. Aber die Posts und Tweets sind auch umstritten.

Denn Experten warnen: Die Beamten könnten mit ihren Kanälen im Internet zu weit gehen und in Konkurrenz zu den Medien treten. "Die Polizei soll sich nicht am Wettbewerb um Aufmerksamkeit beteiligen", sagt der Münchner Professor für Kommunikationswissenschaft Christoph Neuberger. Grundsätzlich findet er die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei gut und wichtig: "Im Internet können alle publizieren - die Polizei spielt dabei eine große Rolle, weil sie Glaubwürdigkeit hat."

Aber die große Herausforderung sei, schnell zu sein und trotzdem mit großer Sorgfaltspflicht zu arbeiten, so Neuberger. Das bekannteste und beste Beispiel dafür sei die Arbeit der Münchner Polizei beim Amoklauf im Jahr 2016 gewesen. Die Posts und Tweets hätten auch das Image der Polizei verbessert. Umso mehr sei Zurückhaltung in kritischen Fällen geboten, fordert Professor Neuberger - vor allem wenn es um die Nationalität von Tätern oder Tatverdächtigen gehe.

Die Polizei in der Oberpfalz hat das selbst zu spüren bekommen. Als es Anfang des Jahres in Regensburg vier Angriffe auf Polizisten in nur einer Nacht gibt und zwei Einsatzkräfte verletzt werden, veröffentlicht das Social-Media-Team des Präsidiums den Fall auf seiner Facebook-Seite.

"Gute Besserung" steht in weißer Schrift auf blauem Hintergrund. Judith Kleinhanß und Dominic Faulhammer wollten mit dem Post ihren verletzten Kollegen Genesungswünsche übermitteln. Sie schildern, was in der Nacht passiert ist und nennen die Nationalität der Tatverdächtigen. "Der Post an sich hat nur den Pressebericht widergespiegelt", sagt Judith Kleinhanß im Rückblick.

Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: Viele wünschen den verletzten Polizisten eine schnelle Genesung. Andere verfallen in Hass und fremdenfeindliche Parolen. Sie hetzen gegen Flüchtlinge, greifen die Bundesregierung für ihre Flüchtlingspolitik an oder fordern "einfach mal zurückschlagen".

Mehr als 4000 Menschen kommentieren den Post. Die Zahl der Kommentare mit strafrechtlichen Inhalten lag nach Angaben der Polizei im dreistelligen Bereich. "Wir sind uns der Reaktionen bewusst, aber mit so einer Reichweite haben wir nicht gerechnet", sagt Dominic Faulhammer vom Polizeipräsidium. Wochenlang dauerte die Auswertung - auch das Interview für diesen Artikel musste deswegen um längere Zeit verschoben werden.

Andere Facebook-Nutzer greifen dagegen das Social-Media-Team der Polizei an, weil die Beamten die Nationalität der mutmaßlichen Täter nennen: "Entweder Alle, oder gar keine Nationalität, ich entnehme diesem Artikel die Höchste Form, von Rassismus, das dürfte nicht sein, denn "Staatsdiener"= Beamte, haben neutral zu sein, was hier offensichtlich nicht der Fall ist", kommentiert einer.

Die fraktionslose Landtagsabgeordnete Claudia Stamm sieht das genauso. "Wenn die Social-Media-Arbeit so läuft, dann muss diese Aktivität der bayerischen Polizei auf den Prüfstand", erklärt die Politikerin. In einem Antrag im Landtag fordert sie deswegen, dass die Richtlinien des Deutschen Presserats auch für die Öffentlichkeitsarbeit der bayerischen Polizei gelten sollten, wenn es keine neue Taktik gebe. Der Presserat schreibt unter anderem vor, dass Medien die Nationalität von Tätern nur nennen sollen, wenn es für den Tathergang oder die Motive relevant sei. Für die Facebook-Seiten der Polizei gilt dieses Gebot nicht.

Im Regensburger Fall wären die Informationen viel besser auf einer Pressekonferenz oder ausschließlich im Pressebericht aufgehoben gewesen als auf Facebook, sagt Professor Neuberger. "Sicherheitsbehörden sollten nicht Teil der öffentlichen Meinungsbildung sein." Aber genau das biete Facebook als Plattform.

Diese Gefahr sieht auch der Deutsche Presserat: "Früher hatte die Polizei-Pressestelle die Rolle eines Zulieferers für die klassischen Medien, und die Medien haben in eigener Verantwortung, nach eigenen Kriterien die Auswahl der von den Behörden zur Verfügung gestellten Informationen getroffen", sagt dessen Sprecher Manfred Protze auf einer Veranstaltung in Berlin. Heute erreiche die Polizei die Mediennutzer über Facebook und Twitter direkt. Für ihn ein "objektives Wettbewerbsverhältnis".

Das bayerische Innenministerium verteidigt die Arbeit der Polizei bei den sozialen Netzwerken: "Aus unserer Sicht haben die Social-Media-Auftritte der bayerischen Polizei ein großes Potenzial und sind in der heutigen Medienlandschaft nicht mehr wegzudenken", heißt es. Vor allem bei Gefahrenlagen und Großeinsätzen sei diese Form der Kommunikation wichtig.

Trotz der Kritik will die Polizei vorerst nichts an ihrem Auftreten im Internet ändern. Anders als in anderen Bundesländern oder bei der Bundespolizei soll es aber keinen Instagram-Account geben - auch nicht für unverfängliche Fotos von Polizeihunden oder vom Alltag der Streifenbeamten.