Regensburg

Die Aufschneiderei - Besuch in der Leichenwerkstatt


Felix Krause ist Plastinationsassistent. Seinen Arbeitsplatz kennen andere nur aus Albträumen.

Felix Krause ist Plastinationsassistent. Seinen Arbeitsplatz kennen andere nur aus Albträumen.

2018 kommt Gunther von Hagens' Körperwelten-Ausstellung nach Regensburg. Wir haben uns angesehen, wo die Plastinate entstehen. Ein Besuch in der Leichenwerkstatt.

Dieser Artikel stammt aus dem Archiv unserer Mediengruppe und erschien bereits am 3. Februar 2018.

Am schlimmsten ist der Geruch. Als hätte jemand einen Eimer Nagellackentferner in eine Biotonne geschüttet, die zu lange in der Sonne stand. In diesem Dunst aus süßlichem Moder und beißender Chemie sitzt Felix Krause an einem Metalltisch und zerlegt ein Männerbein. Mit dem Skalpell schneidet er ein Stück fahle Haut vom Fußrücken, rupft mit einer Pinzette Fetzen von den Knochen und wirft sie in eine Plastikbox. "So gelb ist nur menschliches Fett", sagt Krause und lacht. Der gelernte Tierarzthelfer ist einer von 45 Plastinationsassistenten in Gunther von Hagens' Leichenwerkstatt. Hier entstehen Plastinate für die Ausstellung Körperwelten und anatomische Modelle für Universitäten - und jeder kann dabei zusehen.

Krauses Arbeitsplatz liegt in einem Backsteinbau zwischen Berlin und Dresden in der brandenburgischen Niederlausitz. Auf der einen Seite fließt die Neiße vorbei, gleich dahinter ist Polen. Auf der anderen Seite liegt die 17 000-Einwohner-Stadt Guben, in der vor 30 Jahren noch doppelt so viele Menschen gelebt haben. Hier, mitten im Nirgendwo, hat von Hagens (73) vor zehn Jahren in einer ehemaligen Hutfabrik seine Leichenwerkstatt eröffnet - das Plastinarium. Für einen Euro hat der Mediziner mit Markenzeichen Hut eine alte Hutfabrik gekauft und sie für vier Millionen Euro hergerichtet.

Ein Herz kostet 2.000 Euro, ein ganzer Körper 75.000

Die Wanderausstellung Körperwelten zeigt gehäutete, aufgehängte, ausgerollte und in Scheiben geschnittene Leichen. Etwa beim Schachspielen, Tanzen oder Karteln. Seine Plastinate brachten von Hagens den Spitznamen Dr. Tod ein. Seine Ausstellungen auf der ganzen Welt brachten ihm Millionen ein.

Das Bein auf Krauses Tisch präpariert der 25-Jährige zu einem "Body-3-Modell". Sehnen, Muskelstränge und Knochen sollen gut sichtbar sein. So hat die Universität Alabama das Bein bestellt. Also schabt und schneidet Krause das restliche Gewebe vom Bein. Der Geruch? Den merkt er schon gar nicht mehr. Krause und seine Kollegen präparieren Gliedmaßen, Organe oder ganze Leichen. Die können Unis und medizinische Einrichtungen dann aus einem Katalog bestellen. 2.000 Euro das Organ, 75 000 Euro das Ganzkörperplastinat. Sonderwünsche sind möglich.

Im gläsernen Präparationsraum ist es totenstill. Nur die Lüftung surrt. Am Tisch neben Krause sitzt Frank Zscholpig. Der 52-Jährige ist seit zehn Jahren Aufschneider und kennt jede Faser am menschlichen Körper. Vor Zscholpig liegt ein Kopf, von dem er vorsichtig kleine Fleischstücke herausschneidet. "So ein Kopf ist am schwierigsten, da ist alles sehr fein." Die Sehnen und Fasern unter der Haut sollen später am Modell gut rauskommen.

Zscholpig ist eigentlich Hutmacher. Aber wie so viele wurde er vor zehn Jahren hellhörig, als ein neuer großer Arbeitgeber in die Stadt kam. Einer, der richtig gut bezahlt. 2 100 bis 2 700 Euro brutto verdient ein Plastinationsassistent, für den tiefen Osten ist das ordentlich. Handwerklich geschickt war der Hutmacher, also warum sich nicht mal am Skalpell versuchen, dachte Zscholpig. Es gefiel ihm, er blieb. Jetzt interessieren sich alle für seinen Job. Wenn er Bekannte trifft, muss er abendfüllend erzählen, was er am Tag so zerlegt hat.

Plastinationsassistent kann jeder werden. Wichtig seien nur Geduld und handwerkliches Geschick, erklärt Rurik von Hagens (37), Dr. Tods Sohn. Heute leitet er das Unternehmen, der Vater leidet an Parkinson, steht nicht mehr selbst am Tisch. Angeblich kommt er aber regelmäßig vorbei und gibt Anweisungen für neue Ausstellungsexemplare. Vor sechs Jahren hat Rurik das Steuer übernommen und den Laden umgekrempelt. Gunther von Hagens war ein Fanatiker, alles lief über ihn. Sein Alltag: 16 Stunden Arbeit, zwei Stunden Freizeit, sechs Stunden Schlaf. Heute sind die Aufgaben verteilt. Rurik ist kein Mediziner, er ist Kaufmann. Aus dem kleinen Heidelberger Garagen-Start-up ist ein globales Unternehmen mit 75 Mitarbeitern geworden.

Auf dem Seziertisch landen zu 90 Prozent Bestellungen von Universitäten. Die Körperwelten-Ausstellungen sind gefüllt. Sie laufen von selbst, da gehe es eigentlich nur noch um die Logistik, sagt PR-Manager Oliver Diaz. Hin und wieder wolle man den Besuchern aber schon neue Modelle bieten.

"Lass das mit dem Elefantenzersägen sein"

Und die werden immer abgefahrener. Seit einiger Zeit steht im Gubener Plastinarium eine überdimensionale Säge. Damit schneiden die Leichenbastler Menschen oder Tiere in Scheiben, um sie dann in die Ausstellungen zu hängen - analoge Computertomographien quasi. Und weil Gunther von Hagens noch nie klein dachte, begnügt er sich nicht mit Menschenscheiben. Von Hagens hat einen Elefanten aufgeschnitten und eine Giraffe zersägt und scheibchenweise wieder in Form gebracht. "Mein Vater träumt davon, einen ganzen Blauwal zu plastinieren. Das macht er halt, weil er es will. Jeder Kaufmann sagt, lass das mit dem Elefantenzersägen, aber so sind wir halt", sagt von Hagens. Im Plastinarium will das Unternehmen Einblicke gewähren. In den menschlichen Körper und in die Plastination. "Die zerreißen sich über uns doch sowieso das Maul, was wäre da erst, wenn wir hinter verschlossenen Türen arbeiten", sagt der Geschäftsführer. Deshalb darf jeder in die Leichenwerkstatt kommen und beim Schneiden, Sägen und Körperausrichten zuschauen - für zwölf Euro. Die 30.000 Quadratmeter große Anlage ist Werkstatt, Dauerausstellung und Gunther von Hagens' Wohnort zugleich.

Ab und an schaut er dann auch vorbei, wenn Besuch im Haus ist. Er geht langsam, ist kaum zu verstehen. Seine Parkinson-Erkrankung macht ihm zu schaffen. Sein Sohn posiert mit ihm für Journalisten. Eine Mitarbeiterin zieht ihm Gummihandschuhe über, damit er für Schnappschüsse an einer Leiche herumtasten kann. Er prüft den Körper genau, klappt den Oberschenkelmuskel zur Seite, hebt den Magen an. Er ist in seinem Element. "Gute Arbeit, ich bin sehr zufrieden", nuschelt er und zupft am Filzhut. Krause sitzt daneben und hört gespannt zu. In einem Interview hat von Hagens verraten, dass er nach seinem Tod selbst zum Plastinat werden will. Gut möglich, dass Dr. Tod dann auf Krauses Tisch landet.

sized

Im Plastinarium in Guben (Brandenburg) sind tiefe Einblicke möglich. In den menschlichen Körper und in die Arbeit von Gunther von Hagens.

sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized
sized