Landshut

Wie viele Jahre für ein Messer im Rücken?


Am Anfang stand ein Streit aus nichtigem Anlass. Am Ende hatte Rabiya A. ein Fleischermesser im Rücken.

Die 23-Jährige habe nur "dank einer ganzen Armee von Schutzengeln" überlebt, sagte später der Rechtsmediziner im Prozess gegen ihren gleichaltrigen Ehemann Fatih A. vor der ersten Strafkammer des Landgerichts, der vor einem Jahr mit einem Schuldspruch wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung endete. Dieser Schuldspruch ist rechtskräftig.

Was die Rechtsfolgen betrifft, so wurde das Urteil jedoch im März nach einem Revisionsantrag von Verteidiger Ingo Gade vom Bundesgerichtshof aufgehoben. Die erste Strafkammer hatte ihn zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und sich die Unterbringung des Türken in einer Sicherungsverwahrung vorbehalten. "Das ist mir schon zu hoch", sagt Fatih A.

Seit Mittwoch muss sich die sechste Strafkammer mit dem Fall auseinandersetzen, der ursprünglich als versuchter Totschlag angeklagt war. Rabiya A. hatte ihren Mann am Vormittag des 26. Dezembers 2013 zum Semmeln holen geschickt. Nachdem dieser erst eine Stunde später wieder heimgekommen war, kam es zum Streit zwischen den Eheleuten in der gemeinsamen Wohnung in Landau an der Isar. A. drohte ihrem Mann nicht zum ersten Mal, mit dem drei Monate alten Baby zu ihren Eltern in die Oberpfalz zurückzukehren. Als der Streit bereits beendet und die junge Frau schon auf dem Weg von der Küche ins Wohnzimmer war - "ich wollte mich beruhigen", hatte sie im ersten Verfahren gesagt -, wurde sie von Fatih A. gepackt und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt. Anschließend rammte er ihr sechs Mal ein Fleischermesser in den Rücken. Nachdem er von ihr abgelassen hatte, packte er das kleine Mädchen ein und fuhr damit zu seinem Onkel.

"Ich wollte sie bestimmt nicht töten!"

Die erste Strafkammer war vor einem Jahr nach dreitägiger Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen, dass Fatih A. "ganz klar mit einem Tötungsvorsatz" gehandelt hat. A. hingegen beteuerte am Mittwoch erneut, dass er vor lauter Panik, seine Frau würde ihm die Tochter wegnehmen, die Kontrolle verloren habe. Der 23-Jährige sprach von einem Blackout. "Ich wollte sie aber bestimmt nicht töten." Der Vorfall tue ihm unendlich leid und es sei ihm bewusst, dass das Verhalten seiner Frau keine Entschuldigung für seine Tat sei, aber mit ihrer Drohung, ihm die Tochter wegzunehmen, habe sie ihn permanent unter Druck gesetzt, so der Angeklagte. Rabiya habe nie in die Arbeit gehen müssen, sich aber dennoch nicht um den Haushalt gekümmert. "Koch' Dir Deinen Scheiß selber", habe sie des Öfteren zu ihm gesagt, wenn er von der Arbeit nach Hause gekommen sei. Auch das gemeinsame Kind habe sie nur notdürftig versorgt. "Es lag ihr immer mehr am Laptop als an unserem Baby." Das junge Paar hatte sich im Sommer 2012 über das Internet kennengelernt. Bereits ein halbes Jahr später wurde geheiratet. Zeugen zufolge scheint Streit zwischen den Eheleuten aber schnell an der Tagesordnung gewesen zu sein. Meistens sei Rabiya schuld daran gewesen, sagte gestern etwa der Onkel: "Die Haushaltsführung passte nicht."

Die Kammer versuchte vergebens herauszufinden, warum Fatih A. ausgerechnet am 25. Dezember nach einem der üblichen Streitereien derart ausgeflippt ist. "Eigentlich waren Sie die Drohungen doch gewohnt", sagte Vorsitzender Richter Ralf Reiter. Einen Blackout nahm er dem Angeklagten nicht ab. Der 23-Jährige habe nach der Tat in aller Ruhe das Kind und sich selbst angezogen und das Mädchen in den MaxiCosi gepackt. Dann sei er zu seinem Onkel gefahren, weil er sogar noch daran gedacht habe, den Vater mit seinen beiden Bypässen zu schonen. "Sie konnten also ganz klar denken." Reiter konnte auch nicht nachvollziehen, was Fatih A. sich von der Revision erhofft hatte. Die Frau habe nur durch ein Wunder überlebt. "Sie hätten auch mit Lebenslang herausgehen können."

"Erklärungsversuche eines verzweifelten jungen Menschen"

Wie schon im ersten Verfahren nimmt Dr. Gregor Groß als psychiatrischer Gutachter an dem Prozess teil. Groß hatte den Angeklagten vor einem Jahr für voll schuldfähig erklärt und die anschließende Sicherungsverwahrung empfohlen, da bei A. "ein Hang zu Gewalttaten" bestehe. Wenn es etwa in Zukunft mal Ärger wegen des Sorgerechts gebe, so könne sich das sofort wieder negativ für Rabiya A. auswirken. Wie Groß damals berichtete, hat der 23-Jährige, bei dem er dissoziale Persönlichkeitsmerkmale und antisoziale Tendenzen festgestellt hatte, im Rahmen der psychiatrischen Begutachtung noch vier Monate nach seiner Tat seine Frau als Hexe bezeichnet, die die Tat verdient hat. Er bedauere es nur, dass er deswegen im Gefängnis sitzen müsse, so A. damals.

Das seien "Erklärungsversuche eines verzweifelten jungen Menschen" gewesen, sagte Verteidiger Gade am Mittwoch. Er sei psychisch angeschlagen gewesen, als er das gesagt habe, meinte A. selbst. "Es ist nicht einfach im Gefängnis." Mittlerweile sei er bereit, sich bei seiner Ex-Frau zu entschuldigen. Bei der ersten Verhandlung wollte Fatih A. das nicht: "Sie hat bei ihrer Aussage zu viel gelogen."

Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.