Landshut/Regensburg

Sie fühlen sich von Abmahn-Kanzleien über den Tisch gezogen


Christian Maurer (v. li.), Heiko und Sabrina Umling teilen ein Schicksal: sie wurden von Abmahn-Kanzleien illegaler Tauschbörsenangebote bezichtigt. Doch alle drei beteuern ihre Unschuld.

Christian Maurer (v. li.), Heiko und Sabrina Umling teilen ein Schicksal: sie wurden von Abmahn-Kanzleien illegaler Tauschbörsenangebote bezichtigt. Doch alle drei beteuern ihre Unschuld.

Von Matthias Jell und Redaktion idowa

Illegale Tauschbörsenangebote im Internet bescheren den betroffenen Medienkonzernen angeblich Jahr für Jahr milliardenschwere Verluste. Doch die Branche wehrt sich - mit Mitteln, die teils fragwürdig erscheinen, wie wir bei unseren Recherchen festgestellt haben.

Die Vorgehensweise ist oftmals austauschbar: Ein Medienkonzern beauftragt eine Anwaltskanzlei damit, Verstößen gegen das Urheberrecht juristisch nachzugehen und Abmahnungen an die vermeintlichen Datendiebe zu verschicken. Die Abmahnkanzleien arbeiten dabei teils mit einem Dienstleister zusammen, der sich um die technische Seite kümmert. Es geht darum, Belege dafür zu finden, dass über einen bestimmten Internetanschluss Medien illegal getauscht wurden. Soweit so richtig, könnte man meinen. Doch in Wirklichkeit ist es nicht so einfach, die tatsächlichen Täter zu ermitteln. Denn teils nutzen die Datendiebe, die Videos und Musik über illegale Tauschbörsen handeln, eine gestohlene Identität. So kann es passieren, dass ein Unschuldiger ein Anwaltsschreiben mit Unterlassungs- und Zahlungsanspruch erhält - und keine Ahnung hat, wieso.

Inwieweit den Konzernen beziehungsweise den Anwaltskanzleien bewusst ist, dass sie möglicherweise Unschuldige zur Kasse bitten, ist schwierig zu sagen. Tatsache ist, dass sich etliche Kanzleien auf Abmahnungen spezialisiert haben. Und wieder andere haben sich auf die Vertretung von Mandanten spezialisiert, die abgemahnt worden sind.

300 Euro Schadenersatz für 40 Sekunden

Einer, der zur Kasse gebeten wurde, ist Christian Maurer aus Baierbach im Landkreis Landshut. Seit mittlerweile zweieinhalb Jahren dauert der Schriftverkehr mit der Münchner Abmahnkanzlei Waldorf & Frommer an - eine anwaltliche Unterstützung hat der 28-Jährige nicht. Zunächst wurde Christian Maurer am 24. November 2014 im Auftrag des betroffenen Konzerns 20th Century Fox Deutschland abgemahnt. Der Vorwurf: Er soll am 8. Oktober 2014 für die Dauer von 40 Sekunden eine Folge der TV-Serie "Family Guy" im Internet illegal zum Download angeboten haben. Die Forderung: 300 Euro Schadenersatz.

Doch Christian Maurer denkt nicht daran, auf die Forderung einzugehen. "Weder ich noch meine Frau haben irgendeine TV-Serie im Internet zum Download angeboten", sagt er. Nach einem Schreiben der Kanzlei am 21. Januar 2015 herrscht dann plötzlich Funkstille. Keine gerichtlichen Androhungen mehr, keine Zahlungsaufforderungen. Erst am 16. November 2016, also mehr als eineinhalb Jahre später, meldet sich die Münchner Kanzlei wieder bei Christian Maurer. In diesem Schreiben wird ihm eine telefonische Beratung für eine einvernehmliche Lösung der Angelegenheit angeboten. Nachdem Christian Maurer das Angebot verstreichen lässt, erreichen ihn in der Folge noch drei weitere Schreiben der Kanzlei. Letztmalig wird ihm am 24. Februar 2017 mitgeteilt, dass die Vorbereitung seines Klageverfahrens nunmehr abgeschlossen sei und er zu einer gerichtlichen Zahlung von 619,50 Euro aufgefordert werde. Weiter heißt es in dem Schreiben der Kanzlei: "Für die Einleitung des Gerichtsverfahrens haben wir uns den 3. März 2017 vorgemerkt. Zahlungen, die bis zu diesem Zeitpunkt eingehen, können die Einleitung gerichtlicher Schritte rechtzeitig abwenden." Doch Christian Maurer zahlt nicht.

Staatsanwaltschaft räumt mögliche Falschverdächtigungen ein

Der 28-Jährige geht stattdessen zum Gegenangriff über und fordert nun seinerseits "Schmerzensgeld" in Höhe von 5.150 Euro von der Kanzlei. Außerdem erstattet er Anzeige wegen Betruges. Ein entsprechendes Ermittlungsverfahren wird allerdings von der Staatsanwaltschaft München abgelehnt. Laut Staatsanwaltschaft sei das Vorgehen der Kanzlei rechtmäßig. Es würde keine "(versuchte) Nötigung oder Erpressung" vorliegen. Gleichwohl räumt die Staatsanwaltschaft in ihrem Schreiben vom 16. März 2017 gegenüber Christian Maurer aber auch ein, dass "bei der Nutzung der jeweiligen Internetangebote häufig die Personalien anderer, tatsächlich existierender Personen angegeben werden." Weiter heißt es in dem Schreiben: "So kommt es, dass die Geltendmachung der Forderung dann gegenüber einem Unbeteiligten erfolgt."

Und was sagt die Kanzlei selbst zu dem Fall? Trotz mehrmaliger Anfragen, sowohl schriftlich als auch mündlich, will sich niemand äußern. Gleiches gilt für den Auftraggeber der Kanzlei, 20th Century Fox Deutschland. Vom Unternehmen erhalten wir keinerlei Stellungnahme.

Ein Fall der Abmahnkanzlei Daniel Sebastian



Dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt, merkt man schnell. Einer der bekanntesten Fälle ist der "Redtube"-Skandal von 2014. Dabei wurden reihenweise Verbraucher abgemahnt, weil sie durch das Streaming von Inhalten einer pornographischen Webseite eine Urheberrechtsverletzung begangen haben sollten. In Zusammenhang mit den Ermittlungen wurden damals die Kanzleiräume von Daniel Sebastian in Berlin durchsucht. Die Staatsanwaltschaft Köln wollte dadurch Informationen einholen, inwieweit die Kanzlei unzutreffende Angaben vor Gericht gemacht hat, um auf illegale Weise an die Daten von Nutzern zu kommen.

Druckmittel Gerichtsverfahren

Die Kanzlei ist weiterhin aktiv und übt regelmäßig mit einer kurzen Frist Druck auf betroffene Inhaber von Internetanschlüssen aus. Mit einem Abmahnschreiben, in dem sich Zitate aus für die Abmahnindustrie positiven Urteilen finden, wird eine aussichtslose Lage mit stets bestehender Haftung der Betroffenen suggeriert. Und dann wird ein Vergleichsangebot unterbreitet. Viele Beschuldigte zahlen in der Folge: Sie können oder wollen sich keinen Anwalt leisten, haben Angst vor einem drohenden Gerichtsverfahren.

So ergeht es auch dem jungen Ehepaar Umling im Jahr 2013. Damals wohnen der 37-jährige Heiko und die 28-jährige Sabrina, die mittlerweile mit zwei kleinen Kindern in Regensburg leben, noch in Geisenhausen im Landkreis Landshut. Eine Woche vor Heiligabend flattert ihnen die Hiobsbotschaft der Kanzlei Daniel Sebastian ins Haus. Der Vorwurf: ein illegales Tauschbörsengeschäft. Die Forderung: 1.600 Euro. Bei der jungen Familie bricht daraufhin Panik aus. Ihnen werden seitens der Kanzlei nur vier Tage Zeit gelassen, um die Forderung zu begleichen. Andernfalls wird mit einer gerichtlichen Geltendmachung gedroht, die den Umlings laut der Berliner Kanzlei summa summarum 4.086,23 Euro kosten würde. Das Ehepaar glaubt zunächst an ein Missverständnis. "Wir hatten angeblich verschiedene Tonaufnahmen diverser Musikinterpreten illegal im Internet verbreitet. Doch wir kannten weder diese Musikinterpreten, noch hatten wir mit diesen Tauschbörsengeschäften etwas zu tun", sagt Sabrina Umling.

Die Berliner Kanzlei Daniel Sebastian beharrt auf ihrem Standpunkt: Die Umlings seien per IP-Adresse eindeutig identifiziert worden. Dem jungen Ehepaar wird am 27. Februar 2014 eine Vergleichszahlung in Höhe von 1.300 Euro anstatt der zunächst geforderten 1.600 Euro angeboten, um eine außergerichtliche Lösung zu erzielen. Die Familie ist eingeschüchtert und zahlt den Betrag schließlich. Die Mutter von Heiko Umling springt in die Presche und stottert den Betrag mühsam in Raten ab. "Wir haben das Geld eigentlich schon lange abgeschrieben, aber es ärgert uns natürlich noch heute. Vor allem für meine Mutter tut es uns unwahrscheinlich leid", bekennt Heiko Umling.

Einschätzung der Verbraucherzentrale

Wie die Kanzlei vorgegangen wäre, wenn nicht gezahlt worden wäre, ist schwierig zu sagen. "Abmahnungen einiger Kanzleien sind insofern gefährlicher, als dass sie im Regelfall vor Ablauf der Verjährungsfrist wirklich klagen. Wohingegen andere Kanzleien (nach unserer Erkenntnis etwa auch Daniel Sebastian) nur außergerichtlich vorgehen", schreibt Julia Berger von der Verbraucherzentrale Bayern e. V. (+++ Service +++ Wie man sich als Betroffener von Abmahnkanzleien verhalten sollte, lesen Sie am Ende des Artikels in den Tipps der Verbraucherzentrale.)

Zurück zu Christian Maurer und seiner Auseinandersetzung. Er wehrt sich nach wie vor vehement gegen die Zahlungsaufforderung der Kanzlei Waldorf & Frommer und scheint einen langen Atem zu haben. Mit seinem Beispiel möchte er auch anderen Betroffenen Mut machen: "Mir war von Anfang an wichtig, dass solche Fälle publik werden, da viele Leute oft lieber zahlen, bevor sie sich auf so eine zeitintensive Nervenschlacht einlassen. Aber wenn solche Anwälte damit nicht mehr so viel Geld verdienen können, werden es vielleicht irgendwann weniger", hofft Christian Maurer. Seit dem Schreiben vom 24. Februar 2017 hat er bis heute nichts mehr von der Kanzlei Waldorf & Frommer gelesen.