Landkreis Landshut

Auf diesem Schulweg haben Mädchen Sonderrechte


Im zersiedelten Landkreis Landshut haben Schüler oft einen weiten Weg zur nächsten Bushaltestelle in Richtung Schule. In besonderen Fällen genehmigt das Landratsamt eine Sonderbeförderung. Dann holt der Bus Kinder direkt von entlegenen Höfen ab. Dazu muss allerdings eine "besondere Gefährlichkeit" oder eine Wegstrecke von mehr als drei Kilometern vorliegen. Ein heikler Fall wird nun sogar vor dem Petitionsausschuss des Landtags behandelt. (Symbolbild)

Im zersiedelten Landkreis Landshut haben Schüler oft einen weiten Weg zur nächsten Bushaltestelle in Richtung Schule. In besonderen Fällen genehmigt das Landratsamt eine Sonderbeförderung. Dann holt der Bus Kinder direkt von entlegenen Höfen ab. Dazu muss allerdings eine "besondere Gefährlichkeit" oder eine Wegstrecke von mehr als drei Kilometern vorliegen. Ein heikler Fall wird nun sogar vor dem Petitionsausschuss des Landtags behandelt. (Symbolbild)

Von Alexander Bayer/idowa

Zwei Landtagsabgeordnete, ein Landrat, ein Polizeidienststellenleiter und drei Beamten des Landratsamtes. Ein beachtliches Aufgebot für einen Ortstermin, bei dem es um die Frage geht, ob der Schulweg eines einzelnen Kindes besonders gefährlich ist. Die Eltern eines Jungen im südlichen Landkreis Landshut hatten beim Landratsamt eine Sonderbeförderung beantragt. Am Dienstag trafen sich die Zuständigen zur Beratung auf dem Hof der Familie. Bürokratischer Wahnsinn und verprasste Steuergelder mag man denken. Bei dem Fall kommen jedoch viele Faktoren zusammen, die der Entscheidung Brisanz verleihen: Ein möglicher Präzedenzfall für hunderte Anträge, eine fragwürdige Unterscheidung zwischen Geschlechtern und ein sexueller Missbrauch.

Ein ungewöhnlicher Arbeitstag für den Landtagsabgeordneten Michael Hofmann (CSU): Bereits um 6.15 Uhr begleitete er einen 12-jährigen Jungen am Dienstagmorgen auf seinem Weg vom elterlichen Hof zum Schulbus. Der Weg führt über einen Kilometer wenig befahrene Gemeindestraßen. Der Schüler muss unter anderem über eine Kreuzung mit einer scharfen, unübersichtlichen Kurve. Am Wegesrand stehen hohe Maisfelder, die die Sicht zusätzlich behindern. Bei dem gemeinsamen Marsch ging es um die Frage, ob der Junge Anspruch auf eine Sonderbeförderung hat. Das heißt: Soll der Schulbus auf Kosten des Landkreises einen Umweg fahren, um den Jungen vor der Haustür abzuholen. Die Kosten dafür betrügen jährlich 1.500 Euro.

Landtagsabgeordneter: "Schulweg mit besonderer Gefährlichkeit"

Ihr Sohn befinde sich auf weiten Teilen der Strecke außerhalb der Sicht- und Rufweite zu Wohnhäusern, argumentieren die Eltern. Die Straßen seien zudem nicht beleuchtet. "Natürlich war heute etwas zu sehen, es ist Juli; im November ist es um 6.15 Uhr aber stockdunkel. Wenn da ein landwirtschaftliches Fahrzeug um die Kurve fährt, wird der Bub weggeräumt", formulierte MdL Michael Hofmann bei der anschließenden Besprechung mit Vertretern der Polizei und des Landratsamtes seine Bedenken drastisch aus. Hofmann attestierte dem Schulweg des 12-Jährigen "besondere Gefährlichkeit".

Nachdem das Landratsamt den Antrag auf Sonderbeförderung bereits im vergangenen Herbst abgelehnt hatte, wandte sich die Familie an den Petitionsausschuss des Landtags. Neben Michael Hofmann kamen die Landtagsabgeordnete Jutta Widmann (FW), der Leiter der Polizeiinspektion Vilsbiburg, Hermann Vogelgsang, drei Sachbearbeiter des Landratsamtes und Landrat Peter Dreier (FW) zum Ortstermin, um sich so einen Eindruck vom Schulweg des Jungen zu verschaffen.

Junge wurde vor fünf Jahren sexuell missbraucht



Alfred Absmaier vom Landratsamt hatte bereits im Herbst 2015 den Weg vom Hof zum Schulbus geprüft. Auf seinem Bericht basiert die Ablehnung des Antrags. Am Dienstagmorgen verteidigte Absmaier seine Entscheidung. Die Strecke werde wenig befahren. Den Schulweg des 12-Jährigen bezeichnete der Sachbearbeiter als "auf dem Land verkehrsüblicher Standard". Die Einwände der Eltern, der Weg sei schlecht beleuchtet und unübersichtlich, ließ der Beamte nicht gelten. Mit 12 Jahren müsse der Junge über entsprechende Verkehrskompetenzen verfügen.

Während die Sachbearbeiter des Landratsamtes und die Polizei Bedenken aufgrund des Verkehrs weitestgehend entkräfteten, spielte für die Eltern die Angst vor Übergriffen auf dem abgelegenen, dunklen Weg eine entscheidende Rolle. Und das kann ihnen niemand verdenken, denn der heute 12-Jährige wurde vor fünf Jahren bereits Opfer eines sexuellen Missbrauchs. Die Sachbearbeiter und Landrat Peter Dreier beteuerten zwar immer wieder Mitgefühl, in ihre Entscheidung einfließen lassen wollten sie die Vorgeschichte aber nicht.

Mädchen bei Sonderbeförderung bevorzugt

Zusätzlich brisant ist die Situation, weil das Landratsamt einem Mädchen, das auf einem Hof wenige hundert Meter entfernt wohnt, eine Sonderbeförderung gestattet hat. In seinem Bericht begründete der Sachbearbeiter die Entscheidung in erster Linie mit dem Geschlecht der Antragstellerin. Man dürfe zwischen einem Jungen und einem Mädchen im Alter von 11 und 12 Jahren keine scharfe Unterscheidung aufgrund des Geschlechts ziehen, mahnten die Eltern des 12-Jährigen und Hofmann gegenüber den Vertretern des Landratsamtes an.

Angst vor Präzedenzfall für hunderte Anträge

Landrat Peter Dreier äußerte Bedenken, im Fall einer Zustimmung zum Antrag der Familie einen Präzedenzfall zu schaffen. "Damit machen wir ein riesiges Fass auf", warnte er. Der Landkreis Landshut sei mit 1.350 Quadratkilometern groß und sehr zersiedelt. Polizeichef Vogelgsang stimmte zu: "Wenn man hohe Maisfelder als Kriterium nimmt, kommen in Zukunft viele Anträge." Stimme man diesem Antrag zu, würde die Argumentation bei anderen Fällen schwierig, waren sich die Vertreter des Landratsamtes einig. Aus jährlichen Kosten von 1.500 Euro für den Einzelfall könnte so durch zahlreiche Anträge schnell eine hohe Summe werden.

Letztlich bleibt die Entscheidung über den Fall des 12-Jährigen in Händen des Landratsamtes. Landrat Peter Dreier versprach, sich noch einmal mit seinen Sachbearbeitern zu beraten und bis Ende Juli eine Entscheidung zu fällen.