Landkreis Dingolfing-Landau

Gefangen im falschen Körper


In die Öffentlichkeit traut sich Samira momentan meistens nur in Männerkleidung. Das soll sich nach der Hormontherapie ändern.

In die Öffentlichkeit traut sich Samira momentan meistens nur in Männerkleidung. Das soll sich nach der Hormontherapie ändern.

Samira M. (Name von der Redaktion geändert) ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt im Landkreis Dingolfing-Landau. Vor zwei Jahren wird ihr bewusst, dass sie in ihrem Leben etwas ändern muss - etwas ganz Grundlegendes: ihr Geschlecht.

Hellblauer Kapuzenpulli, grünes T-Shirt, Jeans: So zieht sich Samira M. an, wenn sie das Haus verlässt. "Wir Transsexuellen passen uns im Alltag meist an, um nicht aufzufallen", sagt sie. Samira ist eine Frau, gefangen in dem Körper eines Mannes. Eigentlich würde sie lieber Kleider tragen - wie bei sich Zuhause. Aber wegen der Blicke, die ihr andere dann zuwerfen könnten, traut sie sich momentan noch nicht.

Vor zwei Jahren fand die nun 45-Jährige heraus, warum sie lieber Frauenkleider als Männerhosen trägt. "Ich konnte es erst nicht einordnen, hab das erst einmal gegoogled, bis ich herausgefunden habe, dass es Transgender gibt", sagt Samira. Als Kind habe sie bereits gerne die Kleider ihrer Schwestern getragen. Sie lächelt schüchtern, als sie das erzählt.

Aufgewachsen ist sie in Ostdeutschland, zu DDR-Zeiten. Ihr Faible für Kleider sei damals eher spielerisch gewesen. "Da wurden wir in der Schule nicht aufgeklärt. Dass es Transsexuelle gibt, wussten wir damals einfach nicht", erzählt sie.

Mit 18, nach dem Fall der Mauer, kam Samira dann zur Bundeswehr - eine nicht ganz einfache Zeit. "Unter all den Männern habe ich mich aber nicht zugehörig gefühlt. Es hat mir sogar ein wenig Angst gemacht", sagt sie rückblickend. Es wäre auch das erste Mal gewesen, dass sie mit so vielen Männern allein etwas unternommen hätte. "Davor war ich immer nur mit Mädchen befreundet."

Neustart mit Mitte Vierzig

Mit 45 Jahren steht Samira vor einem Neuanfang. In wenigen Monaten soll die Hormonbehandlung starten, die sie schrittweise ihrem Wunsch, auch körperlich eine Frau zu sein, näher bringen soll. Damit sie diese Behandlung machen darf, fährt sie regelmäßig zu einem Psychologen in München. "Man geht eigentlich zum Psychologen, um ein Gutachten zu bekommen. Das braucht man für die Hormonbehandlung. Aber es tut auch gut, mit jemanden zu reden, der von A bis Z Bescheid weiß."

Samira lebt mit ihrer Familie in einem kleinen Ort im Landkreis Dingolfing-Landau - als Mann. Geoutet hat sie sich in der Gemeinde noch nicht. Damit wartet Samira noch, bis die Behandlung weiter fortgeschritten ist. Ihr geht es vor allem darum, ihre Frau und die drei Kinder zu schützen. "Meiner Frau habe ich es im Oktober vergangenen Jahres gesagt. Sie hatte natürlich erst einmal einige Fragen und musste mit dem Outing zurechtkommen. Aber ich habe das Gefühl, es hat unserer Beziehung gut getan", erzählt Samira. Geoutet habe sie sich auch deswegen, weil es ihr wichtig war, selbst mit der Wahrheit herauszurücken. "Ich wollte nicht, dass es jemand anders irgendwann macht."

Auch die Kinder hätten das Outing gut aufgenommen. "Wenn ich im Nachthemd daheim rumlaufe, reagieren sie natürlich noch manchmal etwas irritiert, aber sie verstehen es und stehen hinter mir", sagt Samira. Das Outing innerhalb der Familie habe sie sich schwerer vorgestellt. Tatsächlich sei es nur im ersten Moment schwierig gewesen. Als der erste Schock bei allen überwunden war, sei ihr ein riesiger Stein vom Herzen gefallen. Ihre Geschwister hätten sehr gelassen reagiert: "Sie meinten, jetzt haben wir halt eine Schwester mehr", sagt Samira und lächelt. Man spürt Erleichterung.

Wunsch nach mehr Toleranz: Offizielles Sprachrohr fehlt

Zuhause kann sich Samira kleiden, wie sie möchte.

Zuhause kann sich Samira kleiden, wie sie möchte.

In der Öffentlichkeit versteckt sich Samira meistens immer noch unter dem burschikosen Kapuzenpulli. So zu sein, wie sie wirklich ist, traut sie sich derzeit nur im privaten Umfeld. Von der Gesellschaft wünscht sich Samira insgesamt mehr Toleranz und Offenheit. "Vereinzelt ist schon viel Verständnis für Transgender da, aber das gilt nicht für ganz Deutschland", kritisiert sie. Das läge auch daran, dass sich viele Transgender wie sie eben nicht in die Öffentlichkeit trauen und ein richtiges Sprachrohr fehle. Ja, das mit dem Sprachrohr... Beispielsweise teilt das Landratsamt Dingolfing-Landau auf Presse-Anfrage lediglich mit, dass man zuvor noch keine Anfragen zu diesem Thema erhalten hätte. Die Stadt Dingolfing hat auf eine ähnliche Anfrage zum Thema Transgender in der Region bislang noch gar nicht geantwortet (Stand 22. März 2018).

Von offizieller Seite fordert Samira mehr Unterstützung. "Es gibt kaum Infos über Transgender und im Internet ist die Suche schwierig, weil man erst herausfinden muss, welchen Quellen man Vertrauen schenken kann." Auch in Schulen sollte ihrer Meinung nach mehr Aufklärung betrieben werden. "Mir hätte es als Jugendlicher sehr geholfen, wenn ich mehr oder überhaupt etwas über Transgender gewusst hätte. Aber bei uns gab es ja damals keine Aufklärung, wir kannten das nicht."

Das Leben nach der Hormontherapie

Auch wenn die Hormonbehandlung erst in einem knappen halben Jahr beginnt, macht sich Samira schon viele Gedanken, wie sich ihr Alltagsleben verändern wird, wenn sie auch körperlich immer mehr zur Frau wird. "Ich gehe gerne schwimmen. Deswegen habe ich beim Caprima nachgefragt, wo ich in Zukunft duschen solle oder ob ich dann auch in die Damensauna darf." Man habe ihr daraufhin geraten, ausschließlich den gemischten Saunabereich zu nutzen. "Das Leben miteinander wäre einfacher, wenn man nicht sofort eine Schublade aufmachen würde, um jemanden einzusortieren", sagt sie.

Auf Nachfrage durch idowa erklärt ein Sprecher des Hauptamts Dingolfing in der Sache schließlich, dass es für Transgender durchaus Möglichkeiten zur Nutzung des Schwimmbades gäbe: "Wir haben im Caprima Einzelumkleiden und die Möglichkeit, eine Einzelkabine (eine frühere Behindertenumkleide) zur Umkleide, Dusche und für das WC zu benutzen. Also keine Probleme!" Jeder Transgender-Frau empfehle man die Nutzung der gemischten Sauna, heißt es in dem Statement ebenso.

Warum sie als Transgender-Frau in der Damenumkleide oder der Damensauna nicht gern gesehen sei, kann Samira kaum verstehen. "So wie ich momentan aussehe, würde ich ja auch nicht im Bikini ins Schwimmbad gehen", sagt sie.

Auch in einem Fitnessstudio hat sich Samira erkundigt, ob sie dort ganz einfach trainieren dürfe. "Man hat mir gesagt, so einen wie mich hätten sie noch nie gehabt. Aber trainieren hätten sie mich lassen", erzählt sie.

Reaktionen aus dem Umfeld

Am meisten stört Samira das Getuschel hinter ihrem Rücken. "Ich schätze es, wenn man einfach direkt mit mir redet und mir Fragen persönlich stellt, anstatt dieses Hintenrum", erklärt sie. Während ihre Familie ihr Outing überwiegend positiv aufgenommen hat, gab es in Samiras Freundeskreis nicht nur positive Rückmeldungen. "Eine Freundin hat sich nach meinem Outing gar nicht mehr bei mir gemeldet. Das finde ich sehr schade. Aber das kann ich auch nicht ändern."

Man habe aber nicht nur negative Erlebnisse, sagt Samira. Der Hausarzt und der Zahnarzt hätten sehr positiv auf das Geständnis reagiert. "Mein Zahnarzt hat dann gemeint, er sei schon sehr gespannt, wie ich mich weiterentwickeln werde", erzählt sie und lächelt. Es scheint Hoffnung zu sein, die da lächelt.