Interview

SPD-Fraktionschef Rinderspacher: "Integration ist kein Selbstläufer"


"Integration ist kein Selbstläufer", betont SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher im Interview mit der Mediengruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung.

"Integration ist kein Selbstläufer", betont SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher im Interview mit der Mediengruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung.

Ein Integrationsgesetz - auf jeden Fall, aber nicht wie von der CSU erdacht. Unterstützung von Familien mit kleinen Kindern - ganz klar, aber bitte nicht mit dem geplanten Landesbetreuungsgeld. Markus Rinderspacher, SPD-Fraktionsvorsitzender im bayerischen Landtag, mag den Gesetzesplänen der Staatsregierung nicht viel abgewinnen. Die Mediengruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung traf den Oppositionsführer in München zum Interview.

Die Oberbürgermeister von München und Nürnberg, Ihre Parteifreunde Dieter Reiter und Ulrich Maly, fordern von der Bundesregierung eine baldige Reduzierung der Asylbewerberzahlen. Lautet das Motto der bayerischen SPD mittlerweile: Wir schaffen das nicht mehr lange?

Rinderspacher: Wir haben zwei Hauptaufgaben. Erstens müssen wir die Flüchtlinge, die berechtigt zu uns kommen, mitmenschlich aufnehmen, unterbringen und integrieren. Zum Zweiten müssen wir die Flüchtlingszahlen reduzieren, damit die Integration auch gelingen kann. Wir werden nicht jedes Jahr eine Million Flüchtlinge aufnehmen können.

Gerade die Reduzierung der Zahlen stellt sich als sehr schwierig dar.

Rinderspacher: Das geht nicht von jetzt auf nachher. Wir müssen den Schleppern das Handwerk legen, die EU-Außengrenzen konsolidieren und die Türkei dabei einbinden. Die Flüchtlingsunterkünfte im Libanon, in Jordanien, im Irak und in der Türkei gilt es so auszustatten, dass die Flüchtlinge sich nicht mehr unter Zwang sehen, den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer zu uns zu suchen. In den letzten zehn Jahren sind dort mehr als 30.000 Flüchtende ertrunken.

Das sind alles Maßnahmen, die nur langfristig greifen können. Was braucht es in Bayern, damit die Aufnahme sehr vieler Flüchtlinge auch in diesem Jahr gelingen kann?

Rinderspacher: Genügend Unterkünfte und schnellere Asylverfahren. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge etwa liegen immer noch 600.000 unbearbeitete Asylanträge. Die beschlossenen 3.600 neuen Bearbeiterstellen müssen schnellstens besetzt werden. Ein Einwanderungsgesetz wie in Kanada würde die legale Zuwanderung besser steuern und das Nadelöhr Asyl deutlich entlasten. Zum anderen müssen wir jetzt die Integration kraftvoll in Angriff nehmen.

Eine Aufgabe, bei der die gesamte Gesellschaft gefordert ist.

Rinderspacher: Und der Staat sollte diese Bemühungen unterstützen. Gerade die vielen Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe fühlen sich im Stich gelassen. Die SPD hat im Landtag beantragt, dass es in jedem Landkreis mindestens eine Koordinierungsstelle für die ehrenamtliche Arbeit geben muss, damit nicht dieselben Aufgaben drei-, vier-, fünfmal von Helferkreisen erledigt werden müssen. Im Wirtschaftsministerium braucht es eine Ansprechstelle für Mittelständler und Handwerksbetriebe, die Flüchtlingen bei sich eine Arbeitsmöglichkeit geben wollen. Nach unseren Vorstellungen muss Deutschunterricht in der Kita deutlich stärker gefördert werden. Bei der Wohnungsbauförderung hat Bayern vor 20 Jahren noch 12.000 Mietwohnungen jährlich gefördert, zehnmal mehr als heute. Da müssen wir wieder hin. Davon profitieren auch die Einheimischen.

Seit Jahren fordert die SPD ein Integrationsgesetz. Jetzt macht die Staatsregierung endlich eines und dann ist es Ihnen auch wieder nicht recht.

Rinderspacher: Die SPD-Gesetzentwürfe sahen eine Balance aus Fördern und Fordern vor. Wer jedoch wie die Staatsregierung den Zugereisten einen einseitigen Pflichtenkatalog auferlegt, muss hierfür auch die Voraussetzungen schaffen. Bußgeldkataloge zu entwerfen für den Fall, dass jemand an einem Integrationskurs nicht teilnimmt, sind zynisch, wenn der Staat solchen Unterricht nicht ausreichend zur Verfügung stellt. Das CSU-Gesetz spart ganz bewusst staatliche Integrationsförderung aus, schafft aber stattdessen ein bayerisches Nebenstrafrecht für Deutsche und Ausländer, das die Gerichte vor unlösbare Fragen stellen wird. Wie ist zum Beispiel die Abgrenzung von Respektlosigkeit und Beleidigung? Die Regierung sieht das eine als neue Ordnungswidrigkeit, das andere ist seit jeher eine Straftat. Diese unklare Normensetzung ist klar verfassungswidrig. So dient das CSU-Integrationsgesetz eben nicht gelingender Integration, sondern soll den rechtsnationalen, autoritär-konservativen Wählern Genugtuung verschaffen.

Was müsste also Ihrer Meinung nach unbedingt noch im Gesetz stehen?

Rinderspacher: Integration in Kita, Schule, auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt ist kein Selbstläufer. Statt Lippenbekenntnisse brauchen wir jetzt ein handfestes Maßnahmenpaket. Und Möglichkeiten der demokratischen Mitwirkung. In der Präambel ihres Gesetzentwurfs singt die Staatsregierung das Hohelied auf die Demokratie als wesentlicher Bestandteil der Leitkultur unseres Landes. Im Gesetz selbst sind demokratische Spielregeln und Mitbestimmungsrechte Fehlanzeige. Integrationsbeauftragter und Integrationsrat werden nicht etwa vom Landtag, auch nicht von den Migranten selbst gewählt, sondern per Dekret vom Ministerpräsidenten bestimmt. Demokratisches Miteinander als Leitbild vorzuleben, heißt auch: Mitarbeit in Gremien wie etwa dem Rundfunkrat, dem Medienrat und dem Landesseniorenbeirat zu ermöglichen.

"Müssen uns von zwei Lebenslügen verabschieden"



Grundsätzlich würden Sie aber schon zustimmen, dass Integration etwas ist, das man auch einfordern muss?

Rinderspacher: Selbstverständlich. Wir müssen uns von zwei Lebenslügen verabschieden. Von der Vorstellung früherer Zeiten, dass Integration irgendwie von alleine funktioniert. Diese These ist ebenso widerlegt wie die Lebenslüge der Konservativen, dass Bayern kein Einwanderungsland ist. Das war und bleibt falsch. So rufen wir den Zuwanderern zu: Wenn eure Kinder nicht Deutsch lernen, werden sie in diesem Land keine Zukunftschancen haben. Der Staat wird euch bei der Integration unterstützen.

Allein mit der Sprache ist es aber noch nicht getan.

Rinderspacher: Das Leitbild unseres Zusammenlebens ist in den ersten 20 Artikeln des Grundgesetzes und unserer bayerischen Verfassung festgeschrieben. Dazu gehören Glaubensfreiheit, Gleichberechtigung von Frau und Mann, Rechte von Minderheiten. Neben der deutschen Sprache muss auch diese Grundlage vermittelt werden.

Warum sperrt sich die SPD derzeit so gegen ein Landesbetreuungsgeld? Haben nicht auch Eltern, die ihre Kinder bis zum dritten Lebensjahr zu Hause erziehen, etwas Unterstützung verdient?

Rinderspacher: Die Staatsregierung veranschlagt bis zum Jahr 2021 eine satte Milliarde Euro als Prämie, wenn ein Kind nicht in die Kita geht. Das ist systemfremd. Wer nicht in die Oper oder ins öffentliche Schwimmbad geht, erhält ja auch keine Belohnung dafür. Wir können nur jeden Euro einmal ausgeben und brauchen das Geld dringend für die frühkindliche Bildung. In Bayern fehlen 20.000 Kitaplätze und 11.000 Erzieherinnen. Gerade in Niederbayern ist der Nachholbedarf groß.

Vielleicht ist hier der Bedarf aber auch nicht so groß wie anderswo.

Rinderspacher: Der Bedarf ist mitnichten gedeckt, und er wächst mit jedem Tag. Der Gemeindetag hat darauf hingewiesen, dass in Bayern alleine für die neuen Flüchtlingskinder zehntausend Betreuungsplätze obendrauf fehlen. Wie will man jetzt frühes Deutschlernen einfordern und zeitgleich einen finanziellen Anreiz fürs Fernbleiben von der frühkindlichen Bildung geben? Es geht mir aber vor allem um die einheimischen Familien. Sie äußern sich in Umfragen klar: 63 Prozent sagen: zuerst eine qualitätsvolle Kinderbetreuung! Nur 28 Prozent plädieren für das Betreuungsgeld. Die SPD ist in der Familienpolitik in der großen Koalition mit der Bürgerschaft.

Die CSU wirft Ihnen vor, dass Sie die Einführung des Betreuungsgeldes im Sozialausschuss des Landtags unnötig verzögern.

Rinderspacher: Umgekehrt gibt's 'nen Schuh. Was sich in Bayern nicht weiter verzögern darf, ist eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Eltern erwarten einen Qualitätsschub in den Kindertagesstätten: mehr Personal, zuverlässige Betreuung auch in den Ferien- und Randzeiten.

Aber braucht es wirklich noch einmal eine Expertenanhörung? Über das Betreuungsgeld wurde bereits in der Vergangenheit lange und ausführlich diskutiert.

Rinderspacher: Damals nur in der Theorie. Aber was hat die Praxis gebracht? Ich erwarte, dass die Familienwissenschaftler das Betreuungsgeld weiter für eine bildungspolitische Rolle rückwärts halten.

Und Sie meinen, das beeindruckt die CSU?

Rinderspacher: Sie ist sehr empfindlich, wenn sie in einer Sachfrage anhaltend gegen den Mehrheitstrend argumentiert. Das war beim Donauausbau, beim Büchergeld, bei den Studiengebühren und bei der Atomkraft so. Überall da konnte die SPD ihre Positionen durchsetzen. Deshalb sollte Seehofer auch bei der Unterstützung von Familien die Chance bekommen, den Purzelbaum in die richtige Richtung zu schlagen.