Freischreiben

Toleranz: Was ist gut, was könnte besser sein?


Julia Fritzsche weiß, wie es sich anfühlt, "Ausländer" zu sein. Sie lebt seit über einem Jahr in den Niederlanden.

Julia Fritzsche weiß, wie es sich anfühlt, "Ausländer" zu sein. Sie lebt seit über einem Jahr in den Niederlanden.

Von Julia Fritzsche, Johanna Graßl

Freiraum - das Sprachrohr von Freischreiben. Neuanfänge, Freundschaft, Liebe, Politik, Umwelt und vieles mehr - Ausgewählte Freischreiben-Autoren schreiben am ersten Freitag im Monat zu einem vorgegebenen Thema.

Unter dem Titel "Freiraum" können sie sagen, was sie denken. Dabei sind ihnen keine Grenzen gesetzt: Ob sie sich mit einem Kommentar, einem Gedicht, einer Geschichte oder einem Interview daran beteiligen, ist ganz ihnen überlassen. In diesem Monat geht's um Liebe. Was ist eigentlich Liebe? Welche Formen kann sie annehmen? Fragen über Fragen über die schönste Sache der Welt - Freischreiben-Autoren suchen eine Antwort.

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Aus der Erfahrung von Julia Fritzsche: Toleranz einmal von der anderen Seite betrachtet

Julia Fritzsche (20) lebt seit über einem Jahr in den Niederlanden. Zuerst hat sie als Au-pair gearbeitet, jetzt studiert sie dort. Wie es sich anfühlt, selbst "Ausländer" zu sein.

Aus den Nachrichten hört man immer wieder von fremdenfeindlichen Übergriffen oder rassistisch motivierten Gewalttaten, die vor allem im Zuge des Flüchtlingsstroms zugenommen haben sollen. Der Zuwachs der AfD bestätigt das eher traurige Bild eines offenen und herzlichen Deutschlands. Doch was, wenn man auf einmal selber ein "Ausländer" oder wie man in Bayern so schön sagt "a Zuagroasda" ist?

Ich habe mir Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit nie vorstellen können, da man das als Europäer eigentlich nie erlebt. Und doch habe ich in den Niederlanden auch das ein oder andere zu hören bekommen. Ich möchte an dieser Stelle aber betonen, dass dies kein Vergleich mit echtem Fremdenhass ist und ich die Niederlande viel mehr als sehr offenes und freundliches Land kennengelernt habe. Trotzdem gab es auch einige unschöne Erfahrungen.

Eines Nachmittags zum Beispiel saß ich an der Universität in Utrecht an meinem Laptop, neben mir ein mir unbekanntes Mädchen, das auf Englisch wohl mit einer Freundin telefoniert hat. Sie sagte, dass sie oft für eine Deutsche gehalten werde, dass aber sofort ablehnen würde, weil die Studenten hier nicht so gut auf Deutsche zu sprechen wären. Ich habe etwas beschämt aufgesehen und wollte das gar nicht glauben, weil ich sehr lieb von all meinen Kommilitonen vor allem für mein Niederländisch gelobt werde. Allerdings ist mein Studiengang ein international orientierter, in dem wohl eher kaum solche Menschen zu finden sind.

"Sorry, no internationals"

Auch findet man häufiger bei "Mitbewohner gesucht"-Anzeigen auf Facebook und Co. "Sorry, no internationals" oder selbst in der Sprachschule meinte eine meiner Lehrerinnen, dass sie für Ausländer höhere Kosten für ein Studium in den Niederlanden gut fände, weil diese das erlernte Wissen statt in den Niederlanden in ihrem Heimatland anwenden.

Dazu muss man aber gleich sagen, dass alle Europäer die gleichen Studiengebühren zahlen wie die Holländer selbst, aber zum Beispiel im Gegensatz zu Holländern keine finanzielle Unterstützung vom Staat bekommen, außer sie arbeiten so viel, dass sie Steuern zahlen. Nicht-Europäer zahlen das Vier- bis Neunfache an Studiengebühren.

Auf dem Spielplatz beschimpft

Doch das alles ist harmlos im Vergleich zu dem, was mir während meines Au-pair-Jahres auf dem Spielplatz passiert ist. Dort wurden mein ebenfalls deutsches Gastkind und ich von zwei etwa elfjährigen Mädchen mit Hitler und Hassliedern auf Deutsche beschimpft. Schockierend fand ich, dass sie diese scheinbar aus der Schule kannten und dort wären auch keine Ausländer und vor allem keine Deutschen willkommen. Die beiden ließen nicht locker. Nur durch einen Trick gelang uns die Flucht vom Spielplatz. Ich fühlte mich in dieser Situation völlig hilflos und weiß auch im Nachhinein nicht, wie ich hätte reagieren sollen.

Zum Glück traf ich die beiden nie wieder und die freundlichen Holländer, die mir begegneten und sich für meine deutsche Herkunft interessiert haben, machen diese schlechten Erfahrungen wett.

Warum Toleranz gut, aber nicht genug ist - Ein Kommentar von Johanna Graßl

Toleranz ist für Johanna Graßl (22) die Grundlage für friedliches Zusammenleben. Allerdings betont bloße Toleranz die Unterschiede zwischen verschiedenen Menschen noch mehr. Sie fordert, einen Schritt weiter zu gehen.

Der Begriff Toleranz ist in aller Munde. Nicht nur wer verreist, wird sich schwertun, wenn er oder sie nicht tolerant gegenüber neuen Menschen und offen für andere Lebensweisen ist. Auch, wer zum Beispiel einen neuen Arbeitsplatz annimmt, umzieht, Schule oder Universität wechselt, wird neuen Menschen und Umständen begegnen und gut beraten sein, wenn er tolerant und flexibel damit umgehen kann. Doch nicht nur von jedem und jeder Einzelnen wird in unserer Gesellschaft Toleranz erwartet, auch Parteien und politische Bewegungen schreiben sich Toleranz als Wert und Ideal zu. Doch was meinen wir eigentlich, wenn wir von Toleranz sprechen? Und wie tolerant sind wir wirklich?

"Dulden" oder "ertragen"

Wenn wir uns den Begriff Toleranz anschauen, werden wir feststellen, dass er sich vom lateinischen Wort "tolerare" ableitet, was so viel bedeutet wie "dulden" oder "ertragen". Toleranz beschreibt die Fähigkeit, es aushalten zu können, wenn andere anders denken oder handeln, als wir selbst es würden, sie also so sein zu lassen, wie sie sind und so leben zu lassen, wie sie wollen. Toleranz ist also nicht umsonst ein essenzieller Begriff unserer Zeit: Der Toleranzbegriff, von dem wir tagtäglich umgeben sind, wird oft auch mit Gleichberechtigung und Respekt in Verbindung gebracht. Toleranz ist Grundlage für ein friedliches Zusammenleben - gerade in einer globalen Gesellschaft, in der eine große Vielfalt an unterschiedlichen Weltanschauungen und Lebensstilen aufeinandertrifft.

Nichtsdestotrotz versteckt sich hinter dem Wort Toleranz - besonders, wenn es als politischer Kampfbegriff gebraucht wird - häufig eine problematische Haltung: Oft steckt dahinter, dass eine Gruppe von Menschen, die ein "Wir"-Gefühl besitzt, einen Teil ihrer Mitmenschen als "die Anderen” empfindet, diejenigen, die einer anderen Kultur oder Religion angehören als wir selbst. Oder die, die eine andere sexuelle Orientierung haben, die vielleicht Musik hören, die wir niemals hören würden, die eine Behinderung haben oder einfach anders denken als die meisten ihrer Mitmenschen.

Ausgesprochen arrogant

"Wir", die wir meinen, einer Mehrheit anzugehören, schreiben uns selbst diese Tugend der Toleranz zu, weil wir diejenigen Menschen, die wir als anders empfinden, ja schließlich so sein lassen, sie nicht diskriminieren, ihre wahrgenommene Andersartigkeit dulden. Doch diese Haltung betont eben diese Differenz und spaltet. Manchmal ist sie sogar ausgesprochen arrogant: Eine (Mehrheits-)Gruppe beansprucht, selbst die Norm zu sein, aus der die sogenannten "Anderen" herausfallen, was zu einem erheblichen Verlust von Augenhöhe führt. Wir alle - wirklich alle - sollten uns davon verabschieden, uns selber und unsere Mitmenschen in Schubladen einzuteilen, aufgrund derer wir urteilen und entscheiden, wem oder was gegenüber wir nun tolerant sind oder auch nicht. Wir sollten beginnen, Toleranz, das "Leben und leben lassen", als selbstverständliches Mindestmaß zu verstehen. Toleranz ist gut, aber nicht genug.

Wir sollten endlich anfangen, unsere Gemeinsamkeiten - nicht die einer bestimmten Gruppe, sondern die aller Menschen - zu erkennen und wertzuschätzen und uns selbst in jedem und jeder anderen Person wieder zu erkennen. Liebevolle Begegnungen auf Augenhöhe sollten unseren Alltag prägen und unser Ideal sein, nicht unser Selbstlob auf unsere ach so tolerante und offene Haltung.

Johanna Graßl findet: Toleranz sollte ein selbstverständliches Mindestmaß sein.

Johanna Graßl findet: Toleranz sollte ein selbstverständliches Mindestmaß sein.