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Kurzgeschichte von Magdalena Wutz: Schlägereien und Gerüchte


Eine Kurzgeschichte von Magdalena Wutz zum Thema "Beschützt".

Eine Kurzgeschichte von Magdalena Wutz zum Thema "Beschützt".

Von Magdalena Wutz

Als ich mit Luisa auf dem Pausenhof herumstehe, lehnt sie sich kichernd an mich. "Rate mal, was dann passiert ist", giggelt sie und gräbt ihre Finger in den Pappbecher, woraufhin der Kaffee gefährlich gegen den Rand schwappt. Ich greife blitzschnell danach, um das Getränk davor zu bewahren, den Pausenhofboden kennenzulernen. "Vorsicht!", sage ich, während ich den Pappbecher wieder ins Gleichgewicht bringe. "Oh!", gluckst Luisa und kichert.

Die Verliebtheitshormone scheinen ihr vorausschauendes Denken komplett zu benebeln. Ich seufze und beobachte ein paar Schüler, die mit einer Fanta-Dose Fußball spielen, bis ich auf etliche Jugendliche aufmerksam werde, die im Kreis herumstehen. Ich ziehe die Augenbrauen nach oben, schüttle den Kopf und befreie meinen Muffin aus seinem Förmchen, als mein Augenwinkel das Bild von braunen Locken einfängt. Es sind Wuschellocken, die aus der Gruppe herausstechen und mich nach Luft schnappen lassen. Mit einem Mal bin ich ohne jegliches Gefühl, weswegen mir der Muffin aus der Hand gleitet und mein Magen sich zu einem Klumpen zusammenkrampft, sobald ich mich unter die Jugendlichen mische. Ich muss einfach wissen, ob er es ist.

Hastig schiebe ich mich zwischen zwei Mädchen, wobei mein Blick sofort auf den Asphalt fällt. Es ist, als würde ein wilder Tiger meine Brust aufschlitzen und mir das Herz herausreißen. Er ist es.

Mein Freund. Er prügelt sich. Verdammt noch mal! Er schlägt gerade auf Henry ein und das taube Gefühl in mir lässt keinerlei Empfindungen zu. Das Blut rauscht in meine Ohren, während die Gegenwart an mir vorbeizieht wie ein Film. Luisa steht mit einem Mal neben mir, die Finger in den Pappbecher gekrallt. Sie öffnet den Mund und schließt ihn wieder, weil es ihr offenbar auch die Sprache verschlagen hat. Unfähig, mich zu bewegen, registriere ich, wie Henry meinem Freund in die Magengegend schlägt, der sich daraufhin schmerzerfüllt auf die Lippe beißt und Henry die Faust ins Gesicht rammt. Plötzlich ist mir speiübel und ich muss mich zusammennehmen, um meinem Frühstück - ein Honigbrot und Hagebuttentee - nicht zu erlauben, meine Speiseröhre hinaufzuwandern. Ich kann schon förmlich den aggressiven Geschmack der Magensäure auf meiner Zunge schmecken, als ein schrilles Pfeifen wie eine Erlösung auf mich wirkt, weil die Jungs daraufhin in ihren Bewegungen verharren.

Im nächsten Moment rennt ein Mädchen mit einer Trillerpfeife direkt auf uns zu, um sich dann bis ganz nach vorne zu den prügelnden Jungs zu drängen. Sobald sie das Mädchen, das nicht größer als ein Dreikäsehoch ist, bemerken, sehen sie zu ihr auf. Mein Freund kniet auf Henry, die Hand zurückgezogen, während Henry wie ein Brett unter ihm liegt und nicht wagt, sich zu bewegen.

"Warum prügelt ihr euch?", will das Mädchen wissen und verschränkt die Arme vor der Brust, wobei ihr der Bob fransig ins Gesicht fällt und mich das mulmige Gefühl beschleicht, dass sie nicht nur mit einem blauen Auge davonkommen würde, wenn sie nicht sofort verschwindet. "Was willst du hier? Die Sache geht dich nichts an, okay?", blafft Henry. "Klappe, Großmaul!", ruft die Kleine und verpasst Henry einen Tritt.

Mir fällt die Kinnlade runter und Luisa neben mir kichert. "Hör mal, das ist wirklich nichts für kleine Kinder. Ich denke, du solltest jetzt lieber zurück in die Klasse gehen", versucht mein Freund, sie zu beschwichtigen. "Siehst du hier irgendwo kleine Kinder?", will die Kleine wissen und zieht genervt die Augenbrauen nach oben. "Willst du mich verscheißern?", fragt Henry. Mein Freund verzieht gequält das Gesicht, sieht auf und sein Blick trifft meinen. Ich erstarre. Im nächsten Moment drehe ich mich um und stoße gegen Luisa. Und diesmal ist es mir egal, ob ihr Kaffee den Pausenhofboden kennenlernt. Verdammt! Ich pfeife auf das. Ich renne einfach nur. Und als ich an der Linde vorbeikomme, höre ich Schritte hinter mir. Sie sind mindestens so schnell wie meine. Und sie laufen den gleichen Rhythmus wie ich. Oh, ich weiß genau, wem diese Schritte gehören.

"Bleib stehen! Bitte!", ruft er. Nein. Ich werde nicht stehen bleiben. "Er hat sich geprügelt. Er ist ein Scheißkerl", schießt es mir sofort durch den Kopf. Ich beiße die Zähne aufeinander, laufe weiter und versuche, das stechende Gefühl in der Leistengegend zu ignorieren. "Hey, warte!", fleht er. Ich balle die Hände zu Fäusten und unterdrücke den Impuls, mich umzudrehen und ihm eine Ohrfeige zu verpassen. Stattdessen versuche ich, mich voll und ganz auf das Laufen zu konzentrieren. Doch seine Schritte kommen näher. Er wird mich gleich eingeholt haben. Aber ich kann nichts dagegen tun, weil ich völlig am Ende bin. Mein Mund ist trocken und das stechende Gefühl zieht sich bereits über meinen gesamten Unterleib. Ich muss stehen bleiben und als ich mich widerwillig umdrehe, sieht er mich mit aufgeplatzten Lippen und schuldbewusstem Blick an. Seine Locken hängen ihm unordentlich ins Gesicht, seine Brust hebt und senkt sich hektisch.

"Was?", zische ich, woraufhin er einen Schritt auf mich zukommt. "Hör zu, das ist keine Absicht gewesen…", beginnt er, doch ich schneide ihm einfach das Wort ab: "Keine Absicht? Du hast dich geprügelt!" Er beißt sich auf die Unterlippe. "Henry hat schlecht über dich geredet. Klar, Gewalt ist keine Lösung, aber nur deswegen habe ich ihn verprügelt - aus keinem anderen Grund", erklärt er. Meine Schultern sacken schlagartig nach unten und ich kann förmlich spüren, wie mein Gesicht fahl wird.

"Was hat er gesagt?", flüstere ich rau. Plötzlich habe ich keine Stimme mehr und spüre nur noch den stechenden Druck meines Herzens, das ein Stück tiefer rutscht. "Er hat dir die Schuld an Bettinas Tod gegeben. Er hat gesagt, dass du den Unfall absichtlich verursacht hättest", erzählt er. Die Worte treffen mich wie tausend römische Speere. "Ich kann nichts dafür, dass sie vom Roller geschleudert worden und gegen einen Baum geprallt ist - der Autofahrer hat mir die Vorfahrt genommen. Ich hätte nie meine allerbeste Freundin umbringen wollen!", platzt es aus mir heraus. "Hat er das wirklich gesagt?"

Tränen steigen in meinen Augen auf. Mein Freund nickt langsam. "Hat er", sagt er und hebt mich hoch, um sich dann meine Beine um seine Hüfte zu legen. "Ich habe dich beschützen müssen", flüstert er, sieht mich an, legt seine Lippen auf meine und ein angenehmer Druck lässt mein Herz wieder nach oben rutschen.

Magdalena ist 17 Jahre und kommt aus Rattenberg.

Magdalena ist 17 Jahre und kommt aus Rattenberg.