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Eine Kurzgeschichte von Annalena Leitermann: Der Kaffee am Morgen


Annalena ist 16 Jahre alt und kommt aus Eschlkam.

Annalena ist 16 Jahre alt und kommt aus Eschlkam.

Von Annalena Leitermann

Sechs Uhr am Wochenende: Als vom Aussterben bedrohter Frühaufsteher fällt es mir morgens besonders schwer, auf meine Eltern zu warten. Die befinden sich noch im Schlummerland. Da ich bereits verstanden habe, meine Eltern, amtierende Langschläfer, nicht zu wecken, da sonst wortwörtlich die Hölle los ist, beschließe ich, Frühstück zu machen.

Während ich meine Haare zu einem Dutt hochbinde und die lilafarbenen Flauschesocken überziehe, gehe ich die Liste für das Frühstück durch. Kaiserschmarrn wäre doch mal wieder nett oder soll ich es bei Müsli und Brot mit Aufstrich belassen? Ich entscheide mich für beides.

Als Gourmet in unserem Haus bin ich verantwortlich für die Küche. Meine Eltern und mein drei Jahre jüngerer Brüder würden die Küche wohl lieber abfackeln, als freiwillig einen Schritt hinein zu wagen. Außerdem ist mein Bruder zu faul, um überhaupt irgendetwas zu tun und meine Eltern völlig ausgelastet mit ihrer Arbeit. Zwar besuche ich zurzeit die elfte Klasse eines ziemlich unbekannten Gymnasiums, dennoch entspannt die Küchenarbeit eher, als das sie in irgendeiner Weise Stress verursacht.

Im oberen Küchenschrank krame ich nach dem Kaffeepulver. Ich finde es nicht. Laut überlege ich, wo es sein könnte. "Gestern war es noch hier und... Nein, die Packung darf nicht leer sein! Das darf doch nicht wahr sein!" Völlig fassungslos, dass ich heute auf Tee umsteigen muss, schlage ich meinen Vorderkopf gegen den Küchenschrank. Ich bin so dämlich. Ich wusste, dass ich etwas vergessen habe: den Kaffee! Er ist das Lebenselixier unserer Familie, das es überhaupt möglich macht, am Morgen vernünftig miteinander zu reden. Die Kaffeemaschine bleibt heute wohl unbenutzt.

Ohne die Geräusche der laufenden Maschine ist das Zubereiten des Frühstücks nicht dasselbe. Der Kaiserschmarrn ist auf den Seiten leicht angebrannt. Ich stolpere ein paar Mal über meine eigenen Füße. Ich fluche laut.

Am liebsten würde ich mir dafür fünf Mal hintereinander auf den Vorderkopf schlagen und dabei "Ich bin so dumm!" schreien. Die Tasse mit dem Tee kippt um. Das Marmeladenbrot fällt mir auf den Boden. Den unangenehm schmeckenden Kaiserschmarrn spucke ich ins Waschbecken.

Bevor meine Dummheit noch stärkere Kreise zieht, höre ich schlurfende Schritte im Gang. Schnell beseitige ich den Schlamassel und warte, bis meine überaus liebenswerte Familie hereinschneit.

"Was riecht denn hier so angebrannt?" Sie müssen wohl meinen verdutzten Gesichtsausdruck gesehen haben, als sie alle anfangen, mich auszulachen. Der Morgen fängt ja gut an, denke ich mir. "Unsinn, hier riecht es fantastisch nach Kaiserschmarrn. Ich wollte dich nur ein wenig ärgern", erklärt sich mein Vater. Damit nicht genug: Mein Bruder fängt an zu quengeln. Er will Kaffee. "Tja, blöd gelaufen. Heute legen wir einen Detox-Tag ein, da wir keinen mehr haben."

Vor allem am Anfang der Pubertät sind Jungs wirklich schwer zu ertragen, da sie sich aufführen, als könnten sie alles haben. Mein Bruder liefert mir zu dieser These einen grundlegenden Beweis: "Dann kauf' doch Kaffee. Ich kann nicht ohne Kaffee am Morgen leben."

Ich beschließe, ihn ab sofort zu ignorieren, weil er erstens vergessen hat, dass wir in der Ödnis schlechthin wohnen und zweitens eine Diskussion mit ihm nur überflüssiges Gerede wäre und er weiterhin stur auf seiner Meinung beharren würde - kleine Brüder eben! Nachdem ich den Morgen hinter mich gebracht habe, durfte ich mich zu meinen Eltern gesellen, die einen Hausputz für heute geplant haben. Wie wunderbar für meinen Bruder, dass er heute ausgerechnet ein Referat für die Schule machen muss. Vor allem ist er außer Haus, sodass meine Eltern das sogenannte "Referat" nicht überprüfen können.

So kommt es, dass der Wohnzimmerschrank unter seiner Last und der zusätzlichen Kraft, die durch das Schieben zur Seite auf ihn wirkt, zusammenbricht und wir - mein Vater und ich - vor einem Haufen zerbrochenen Porzellans und zersplittertem Holz stehen. Wir denken uns einen Fluchtplan vor Mama aus.

Zu spät: Schon höre ich das entsetzende Gekreische meiner Mutter, die den zerstörten Schrank vom Gang aus entdeckt. "Was habt ihr gemacht? Das war das wertvolle Porzellan meiner Oma. Hättet ihr nicht ein wenig besser aufpassen können? Könnt ihr überhaupt irgendetwas richtig machen? Alles muss man selber machen", murmelt sie beim Hinausgehen. Vermutlich holt sie Besen und Schaufel und ein paar Kisten, in denen man das halbwegs heile Porzellan aus unserer Nähe schaffen kann. Und das alles nur wegen des fehlenden Kaffees am Morgen!

Bei dem einen Fiasko bleibt es nicht, denn mein Vater setzt noch das gesamte Bad unter Wasser. Er hat den Wasserhahn beschädigt und mit aller Kraft versucht, das Rohr irgendwie zu verstopfen.

Obwohl die Versuche meines Vaters ziemlich sinnlos sind, ist es ganz lustig, ihm beim Versagen zuzusehen. Mama stellt schließlich die Wasserversorgung ab und stellt uns zur Rede. Sie beteuert, dass der Kaffee nicht daran Schuld ist, sondern einzig und allein unsere Dummheit.

Um das Fiasko abzurunden, reißt der Staubsauger ein Loch in den Teppich. Dieses Mal ist unsere alles könnende, perfekte Mutter schuld. Sie versucht sich mit der "Jedem-kann-mal-so-etwas-passieren"-Nummer raus zu reden - ohne Erfolg.

Später in der Nacht, als ich im Bett liege und der Schlaf auf sich warten lässt, wird mir klar, dass der Tag doch nicht so schlecht war, wie es scheint. Mir ist klargeworden, dass es auch schlechte Tage geben muss. Wenn ich selbst nicht vollkommen bin, wie kann ich dann erwarten, dass meine Umgebung vollkommen ist? Oft ist es auch das Schlechte, das uns zeigt, dass es auch Gutes gibt. Auf schlechte Tage folgen gute und auf gute Tage folgen schlechte. Mein Leben ist nicht in einer runden Seifenblase eingeschlossen, sondern es wird im Laufe meines Lebens immer Höhen und Tiefen geben.

Mit dem Gedanken, dass es morgen wieder Kaffee gibt, beginnt ein neues Hoch.