Bogenschießen

Ab durch die Mitte!


(Fotos: Pfeffer)

(Fotos: Pfeffer)

Von Redaktion idowa

Der Holzbogen reicht mir bis weit über die Nase. Es ist brütend heiß. Ich bin nervös. Sehr sogar. Die eingeschworene Schießgruppe schaut mir, der Neuen, neugierig zu. Ich habe Angst, mich zu blamieren. Der Pfeil fällt mir aus der Hand. Einmal, zweimal. Langsam schauen sie mich mitleidig an. Ich stehe an der roten Schießlinie auf dem Gelände der Bogenschützen des TSV Natternberg, dem ältesten Bogenschützenverein Niederbayerns. Der Verein hat knapp 75 Mitglieder. Vielleicht bekommen sie heute noch eine mehr, denn ich stecke in meiner ersten Bogenschießstunde.

Doch bevor man auf den Schießplatz darf, gibt es eine kleine Theorieeinheit. Florian Stadler ist der Leiter der Sparte Bogenschießen. Er erklärt mir, wie dafür gesorgt wird, dass sich niemand verletzt: "Der Bogen ist keine Waffe, sondern ein Sportgerät. Niemand darf hier auf andere zielen - egal ob mit einem Pfeil oder ohne." Schließlich können die Pfeile mit einer Geschwindigkeit von 330 Stundenkilometern durch die Luft schießen. "So ein Pfeil geht einfach durch den Körper durch. Das ist tödlich", warnt er mich eindringlich.

Beim Bogenschießen wird vor allem die Schulter- und Rückenmuskulatur beansprucht. Deswegen ist zu Beginn der Stunde erst einmal aufwärmen und lockern angesagt. Ich lockere meine Finger, die Schultern und die Arme. Dann streiche ich mir noch mal die Haare aus dem Gesicht, atme tief durch und strecke die Hand nach meinem ersten Bogen aus. Stattdessen gibt mir Florian aber ein zusammengeknotetes Theraband. "Anfänger bekommen erst das", sagt er bestimmt. Und während die anderen schon Pfeil für Pfeil auf die Scheiben schießen, trotte ich hinter Florian her - weg vom Schießplatz.

Flache Schuhe und enge Kleidung

Florian zeigt mir die richtige Haltung. Die Beine stelle ich etwa hüftbreit nebeneinander, die Fußspitzen zeigen nach vorne. "Deine Schuhe sind schon mal super", lobt Florian meine weißen Chucks. "Zum Bogenschießen braucht man gebundene Schuhe mit flachem Fußbett und ein enges T-Shirt, weil sich die Sehne sonst darin verheddern kann." Jetzt zeigt er mir die Armhaltung: "Streck den linken Arm auf Schulterhöhe in die Schussrichtung. Auch den Kopf drehst du in diese Richtung, aber halte deinen restlichen Körper gerade." Das ist gar nicht so einfach, wie sich das anhört. Ständig will ich meinen Oberkörper auch in die Richtung meiner Arme drehen.

Mit den Fingern meiner rechten Hand forme ich eine Kralle, aber nur mit Zeige-, Mittel- und Ringfinger. In dieser Kralle liegt jetzt das grüne Theraband, normalerweise wäre das die Sehne des Bogens. Das andere Ende wickelt sich um den Daumen meiner linken Hand. Jetzt darf ich das erste Mal aufziehen. Auch ohne Bogen fühle ich mich schon fast wie eine perfekte Indianersquaw. "Bleib gerade, Schulter nach unten", sagt Florian. Mit seinen langen schwarzen Haaren und einer Größe von knapp 1,90 Meter sieht er ein bisschen so aus wie der Indianerfreund aus meiner Vorstellung. Nur die Brille wird es zu Winnetous Zeiten noch nicht gegeben haben. Dass man damals auch ohne Sehhilfe die Ziele getroffen hat, hat einen einfachen Grund, erklärt mein Trainer: "Um ein guter Bogenschütze zu sein, muss man nicht gut sehen können. Es kommt auf die richtige Haltung an, nicht aufs Zielen. Dann trifft man nämlich von allein."

Das Gehirn vertraut uns nicht

Damit ich aber heute meine Ziele treffe, zeigt er mir einen einfachen Trick. "Das Visier ist ein runder Kreis mit einem Punkt drin. Ziele niemals mit dem Punkt genau auf die Mitte der Scheibe", warnt er. Ich bin verwirrt. Wie soll ich denn dann die Mitte treffen, wenn ich nicht drauf ziele? "Schau einfach, dass der Kreis in etwa um die Scheibe reicht. Dann triffst du." Das Gehirn glaubt nicht, dass hinter dem Punkt wirklich das liegt, was wir vermuten, erklärt er. Deshalb verrutscht es automatisch das Visier etwas nach links, rechts, oben oder unten. Einfach um nachzuschauen, ob das Ziel wirklich noch dahinter liegt. Und deshalb treffen wir dann nie den Punkt, den wir treffen wollen. Verstanden. Mein Gehirn trickst mich also aus. Gut, dann trickse ich zurück. Ich will endlich sehen, ob ich das kann. Ich will schießen.

Florian versteht mich gut. Der 26-Jährige schießt schon sein halbes Leben mit Pfeil und Bogen. 2003 war er sogar Vize-Europameister. Er sucht einen passenden Bogen für mich. "Die Bögen sind in etwa so groß wie der Schütze selbst", erklärt er und greift zu einem Exemplar mit rotem Griff. 16 Kilo zieht man damit nach hinten. Noch ein paar Pfeile, Finger- und Armschutz und schon kann's losgehen. Jetzt werde ich nervös. Richtig nervös. Florian legt mir den Armschutz an. Das Plastik-Plättchen soll meinen Unterarm vor dem Pfeil schützen. Der Fingerschutz, Tab genannt, ist ein kleiner Lederlappen, den ich mir zwischen meine Finger klemme. So schneidet sich die Sehne des Bogens nicht in das Fleisch meiner Finger.

Treffer versenkt

Ich trete an die rote Schusslinie - 90 Grad zur Linie gedreht und zehn Meter vor der Scheibe. Alle Schützen an der Anlage hören auf, zu schießen, und stellen sich in einem Kreis um mich auf. Sie sehen jede falsche Bewegung. Ich habe das Gefühl, sie warten nur darauf, dass ich den Pfeil in den nächsten Baum befördere. Der Schweiß läuft mir den Rücken hinunter. Ich habe Angst, mich zu blamieren. Ich hebe den Bogen an, strecke den linken Arm aus. Florian platziert den ersten Pfeil in meinem Bogen. Ich soll die Sehne aufziehen, sagt er. Mit dem Handgelenk bis unters Kinn ziehen. Ich ziehe und ziehe und der Bogen wird schwerer und schwerer. Ich versuche, durch das Visier mein Ziel zu erkennen. Es geht nicht. Mein linker Arm wackelt zu sehr vor Anstrengung. Meine Muskeln zittern so stark, dass ich gleich nicht mehr kann. Wie lange denn noch? "Jetzt lösen!", sagt Florian. Damit meint er, ich solle die Sehne loslassen. Ich habe Angst davor. Hinter mir höre ich ein Kichern. "Loslassen!", sagt er nochmal, jetzt schon bestimmter. Ich versuche mich auf mein Ziel zu konzentrieren, meine Finger sind verkrampft, ich spüre sie fast nicht mehr. Irgendwie schaffe ich es doch, loszulassen. Ich schließe meine Augen. Die Schützen hinter mir jubeln. Ich habe die Scheibe getroffen! Ich reiße meine Arme samt Bogen in die Höhe und tanze meinen eigenen kleinen Freudentanz. Florian freut sich mit mir, holt mich aber auf den Boden der Tatsachen zurück: "Das war eine zwei. Da muss noch viel mehr gehen." Die Scheiben sind in verschieden farbige Kreise eingeteilt. Von außen nach innen erhöht sich die Punktzahl, die man bei einem Treffer bekommt. Der äußere Ring von weiß ist ein Punkt bis zum inneren gelben Kreis, zehn Punkte.

Nach dem dritten Schuss darf ich den Pfeil schon selbst einspannen. Das ist gar nicht so leicht, dass er beim Aufziehen nicht runterfällt. Florian korrigiert immer wieder meine Haltung und beweist mir tatsächlich: Obwohl ich nicht richtig ziele, treffe ich die Scheibe immer besser. Nach zehn Schüssen bin ich sehr zufrieden mit mir. Kein einziger ist neben der Scheibe gelandet. Dann ist Schluss für mich, die anderen Anfänger wollen auch noch üben und mein linker Oberarm beschwert sich schon über die Anstrengung. Das Gegenhalten des Bogens, während ich aufziehe, ist sehr anstrengend. Florian ist überrascht. "Mit deinem Bogen schießt sonst ein Zwölfjähriger", sagt er und lacht. Dass ich zwei Stunden später sogar einen Muskelkater im Oberarm habe, weiß er da noch nicht. Aber eine echte Squaw wie mich stört das nicht auf der Jagd nach den gelben Ringen dieser Welt.

Von Tanja Pfeffer


Mitglied werden beim Bogenschützverein des TSV Natternberg

Wer selbst mal Bogenschießen ausprobieren möchte, kann sich bei den Bogenschützen des TSV Natternberng melden. Unter www.bs-natternberg.de findet ihr alle Informationen, Mitgliedsbeiträge und Kontaktdaten der Trainer.

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Florian Stadler leitet die Sparte Bogenschießen beim TSV Natternberg.

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Florian hilft einer Schützin, die richtige Haltung zu finden.

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Raphael Maier zeigt die richtige Haltung beim Bogenschießen.